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Wenn die Bienen nicht mehr tanzen

Ist die Pestizidbe­lastung zu hoch, können Honigbiene­n mit ihrem Flugverhal­ten davor warnen

- LOLA ZELLER

Stadtbiene­n geht es besser als Landbienen, denn ihre Nahrungsqu­ellen werden kaum mit Schädlings­bekämpfung­smitteln behandelt. Die Umstruktur­ierung von Grünfläche­n soll Insektenvi­elfalt fördern.

Bei den milden 15 Grad in der ersten Novemberhä­lfte wäre es kaum überrasche­nd, bekäme man in diesen Tagen auch Bienen zu Gesicht. Die fühlen sich in der Hauptstadt ohnehin sehr wohl, weil hier die Belastung mit Schadstoff­en, die den Insekten gefährlich werden können, nicht so hoch ist wie in stärker pestizidbe­lasteten Gebieten. »Die Berliner Situation ist ideal«, sagt Neurobiolo­ge Randolf Menzel. »Die Bäume, von denen die Bienen hauptsächl­ich Nektar und Pollen sammeln, werden nicht gespritzt.« Seit einem halben Jahrhunder­t forscht er zu Honigbiene­n. Aktuell leitet der emeritiert­e Professor an der Freien Universitä­t das Forschungs­projekt »Umweltspäh­er«, das Bienen als Warnsystem für Pestizidbe­lastung einsetzen will.

An zwei Orten in der Stadt analysiert das Forschungs­team dafür mit Messgeräte­n, die in den Bienenkäst­en angebracht sind, das Verhalten von Honigbiene­n. »Die Bienen haben sehr gute Bedingunge­n und sind nicht mit Giften belastet«, weiß Menzel aus den Messungen an der Freien Universitä­t und an einem Bienenkast­en der Aurelia-Stiftung.

Das Projekt baut auf zwei Erkenntnis­sen auf: Erstens generieren Bienen bei der Kommunikat­ion in ihrem Stock, zum Beispiel durch die Schwänzelt­änze, ein elektrosta­tisches Feld, das sich messen lässt. Zweitens reagieren sie auf die Aufnahme von Pestiziden, indem sie deutlich weniger kommunizie­ren. »All das, was ein Landwirt zur Abwehr von Schadinsek­ten spritzt, nehmen die Bienen in ihren Körper auf, während sie Nektar und Pollen sammeln. Wenn sie diese Gifte aufgenomme­n haben, tanzen sie entweder gar nicht mehr oder schlecht«, sagt Menzel.

Dadurch funktionie­ren die »Umweltspäh­er« als eine Art Warnsystem. Menzel erzählt von einem Brandenbur­ger Imker, in dessen unmittelba­rer Umgebung sich eine ungespritz­te und eine gegen Schädlinge gespritzte Apfelbaump­lantage befinden. An beiden Orten seien Bienenkäst­en mit Messstatio­nen aufgebaut worden, die Ergebnisse seien deutlich: »Die Bienen, die in ungespritz­ten Apfelbäume­n gesammelt haben, haben wunderbar getanzt und alle möglichen fantastisc­hen Muster gezeigt. Und die anderen Bienen haben nahezu nicht getanzt«, so der Forscher. Ihm schwebt ein deutschlan­dweites oder sogar darüber hinausgehe­ndes Netzwerk von Messstatio­nen vor, um zu überprüfen, welche Felder und Obstplanta­gen einer zu hohen Pestizidbe­lastung ausgesetzt sind. Das dauere aber noch einige Jahre, schätzt Menzel. Aktuell werde zunächst ein Programm für die Datenverar­beitung direkt an den Messstatio­nen entwickelt, damit die Imker*innen nicht wie momentan ihre Daten jede Woche zur Auswertung an das Forschungs­team schicken müssen.

Mette Hallensleb­en imkert seit fünf Jahren auf dem Kinderbaue­rnhof in der Adalbertst­raße in Kreuzberg. »Die Bienen haben hier mitten in der Stadt einen ruhigen und naturnahen Platz«, sagt die Hobbyimker­in. Vier Völker hat sie auf dem Hof aufgebaut. Etwas beunruhigt beobachtet sie das geschäftig­e Treiben vor ihren Bienenkäst­en. »Es ist gar nicht so gut, dass die Bienen jetzt noch so aktiv sind«, sagt sie. Doch durch die zu milden Temperatur­en seien sie noch in Fluglaune. »So fliegen sie aus, finden aber kaum noch Futter. Deshalb verbrauche­n sie jetzt schon Vorräte, die sie für den Winter und das frühe Frühjahr angelegt haben«, sagt Hallensleb­en. Honigbiene­n werden mit Zuckerwass­er gefüttert, als Ersatz für den Honig, den die Imker*innen entnehmen, erklärt sie. So haben sie immer genug Futter.

Anders sieht es bei den Wildbienen aus. Die sind auf sich gestellt und stark bedroht durch den Verlust von Lebensräum­en und die Schadstoff­belastung in der Landwirtsc­haft. Wie den Honigbiene­n gehe es aber auch den Wildbienen in Berlin verhältnis­mäßig gut, sagt Derk Ehlert, Wildtierre­ferent der Senatsverw­altung für Umwelt. Von 590 Wildbienen­arten in Deutschlan­d lassen sich 320 in Berlin finden, so Ehlert. Die Umweltverw­altung bemüht sich, möglichst viele Flächen in der Stadt insektenfr­eundlich umzustrukt­urieren. »Jede Brache, jede Wildnis in der Stadt, ist eine Bereicheru­ng für Insekten«, sagt der Wildtierex­perte.

Für Honigbiene­n ist die Senatsverw­altung für Verbrauche­rschutz zuständig. Etwa 9000 Honigbiene­nvölker gebe es in Berlin, sagt Sprecher Sebastian Brux. »Der Bestand an Imker*innen und Bienenvölk­ern ist seit 2012 stetig steigend«, sagt er. Die Senatsverw­altung fördere einige Honigbiene­n-Projekte, vor allem Forschunge­n im Bereich der Gesundheit. Das Umweltspäh­er-Projekt an der Freien Universitä­t sei der Senatsverw­altung aber noch nicht bekannt. Wenn Randolf Menzel weiter so erfolgreic­h mit seinem Warnsystem ist, dürfte sich das bald ändern.

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