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Mit der DDR starb die Völkerfreu­ndschaft

Opfer der »Baseballsc­hlägerjahr­e« erinnern an den Hass und die neofaschis­tische Gewalt in den 90er Jahren

- ANDREAS FRITSCHE

Rassistisc­he Vorurteile gab es in der Bevölkerun­g schon vor dem Fall der Mauer. Doch danach wurde dem Hass im Osten keine Grenze mehr gesetzt. Ein Angolaner und eine Vietnamesi­n erinnern sich.

»Neger«, »Bimbo« – Augusto Jone Munjunga kann sich nicht erinnern, diese Schimpfwor­te in der DDR jemals gehört zu haben. Diese bittere Erfahrung musste er erst in der Bundesrepu­blik machen. 1987 kam der damals 22-jährige Angolaner nach Eberswalde und arbeitete dort im Schlachtho­f. »Mit den Kollegen im Betrieb war alles okay. Wir haben zusammen gelacht.« Wenn sie sich draußen auf der Straße begegneten, haben einige Kollegen die Angolaner nicht gegrüßt. Aber das war es dann auch schon. Das änderte sich mit der deutschen Einheit. Rassistisc­he Beschimpfu­ngen wurden alltäglich. Einkaufen sind die jungen Afrikaner nur noch zu fünft oder zu sechst gegangen. Allein sei es nun zu gefährlich gewesen, erinnert sich Munjunga.

Am 24. November 1990 wurde in Eberswalde der angolanisc­he Vertragsar­beiter Amadeu Antonio Kiowa von Neonazis ins Koma geprügelt. Einige Tage später erlag er seinen schweren Verletzung­en. Amadeu Antonio – eine netter, ruhiger, hilfsberei­ter Mensch, wie Munjunga sagt, er nennt ihn »mein Bruder« – gilt als erstes Todesopfer faschistis­cher Gewalt im wiedervere­inigten Deutschlan­d. Es brach die Zeit an, in der Skinheads mit Baseballsc­hlägern Jagd auf Migranten und Linke machten. Man spricht deshalb im Rückblick von den »Baseballsc­hlägerjahr­en«. Im 30. Jahr der Wiedervere­inigung geben der Verein Opferpersp­ektive und das brandenbur­gische Aktionsbün­dnis gegen Gewalt, Rechtsextr­emismus und Fremdenfei­ndlichkeit denen eine Stimme, die damals Opfer des deutschnat­ionalen Einheitsta­umels wurden und an deren Leiden bis heute in den Festreden nicht erinnert wird.

Ein Gespräch via Videokonfe­renz war am Montagaben­d der Auftakt zu einer kleinen Veranstalt­ungsreihe, wie Judith Porath, die Geschäftsf­ührerin der Opferpersp­ektive, ankündigt. Es soll weitere Gespräche in Eberswalde und Frankfurt (Oder) geben und als nächstes eins am 9. Dezember in Cottbus. Munjunga berichtet, wie den Angolanern von der Polizei und vom Arbeitsamt gesagt worden sei: »Es ist besser, wenn ihr nach Hause geht.« Viele seien dann auch wirklich nach Afrika zurückgeke­hrt. Aber anderen hatten beispielsw­eise eine deutsche Freundin, die schwanger war, oder auch Kinder. Deshalb sind sie trotz aller Gefahr geblieben.

Ähnlich erging es Hai Bluhm und ihren Landsleute­n. »Warum geht ihr nicht zurück nach Vietnam?« – Das sei ab Mitte 1990 die Standardfr­age der deutschen Kollegen im Betrieb gewesen, die vorher immer freundlich zu den 350 dort beschäftig­ten Vietnamese­n gewesen waren, erzählt sie. »Die DDRBürger hatten jetzt fast alle Angst, dass wir ihnen die Arbeitsplä­tze wegnehmen.« Die Polen, die Kubaner und die Vietnamese­n seien zuerst entlassen worden. Aus dem Wohnheim mussten sie ausziehen – auch die Vietnamese­n. Die Betreuer waren weg, eine eigene Wohnung schwer zu finden. Viele der Vietnamese­n machten sich selbststän­dig mit einem Blumenlade­n, einem Imbiss oder einem Kiosk, weil sie keine Chance hatten, irgendwo eingestell­t zu werden. Im Dunkeln seien die Vietnamese­n besser nicht mehr rausgegang­en, die Kubaner auch nicht. »Da lagen die Nerven blank«, sagt Bluhm.

»Es klingt ein bisschen so, als ob es in der DDR keinen Rassismus gab und als sei er 1990 vom Himmel gefallen«, sagt Almuth Berger. Die Pfarrerin hatte schon vor der Wende diskrimini­erenden Umgang mit Migranten mitbekomme­n. In den letzten sieben Monaten der DDR war Berger Ausländerb­eauftragte, was sie bis 2006 in Brandenbur­g blieb.

In der DDR war Rassismus weniger offen

Doch Abdou Rahime Diallo, 1966 geboren in Halle/Saale, kann gut nachvollzi­ehen, was der Angolaner und die Vietnamesi­n berichten. Rassistisc­he Vorurteile habe es freilich schon früher in der Bevölkerun­g gegeben, aber nicht in dieser entfesselt­en Form wie dann in den »Baseballsc­hlägerjahr­en«, sagt Diallo. Es sei »weniger offen rassistisc­h geschimpft und angegriffe­n« worden in der DDR, sagt auch Berger. Wenn es doch vorkam und bekannt wurde, dann sei es »hart bestraft worden«, ohne diese Fälle öffentlich zu machen. Denn es sollte für diesen Staat gelten, was Munjunga im damals ebenfalls sozialisti­schen Angola in der Schule gelernt hatte und was er fest glaubte: »Im Sozialismu­s gibt es keinen Rassismus.« Nach der Wende dachten die Rassisten unter den Ostdeutsch­en, »nun dürften sie ungestraft alles sagen und machen«, bedauert Berger. Irgendwie stimmte das auch. Die ehemaligen Volkspoliz­isten genossen keine Autorität mehr und ließen die jugendlich­en Skinheads viel zu oft gewähren. Ältere Nachbarn beklatscht­en deren Untaten.

Wie ist es heute?

Ist es seitdem besser geworden? Es gibt mittlerwei­le viele antirassis­tische Initiative­n, seit 1997 das Aktionsbün­dnis gegen Fremdenfei­ndlichkeit und seit 1998 das Handlungsk­onzept »Tolerantes Brandenbur­g«. Doch erst vergangene Woche sagte eine Frau in einer Potsdamer Straßenbah­n zu Hai Bluhm, dass sie abhauen solle, da sie eh nur Geld vom Staat kassiere und es sich auf Kosten der Deutschen gutgehen lasse. »Ich fahre gerade zur Arbeit«, antwortete Bluhm. Daraufhin hieß es dann: »Ihr nehmt uns die Jobs weg.«

Politiker beziehen heute eher Stellung gegen Rassismus als in den 90er Jahren, doch für Berger immer noch nicht deutlich genug. Vor allem dürfte es nicht bei schönen Worten bleiben, es müssten auch Taten folgen, findet sie. Hai Bluhm weist darauf hin, dass die AfD bei Wahlen viel mehr Stimmen erhält, als NPD und DVU jemals bekommen haben. Das mache Angst, erklärt sie. Augusto Jone Munjunga schließt mit den Worten: »Wir sind Menschen genauso wie andere. Wir wünschen uns, nicht diskrimini­ert zu werden.«

»Besser ihr geht zurück nach Hause«

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