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Finanzsyst­em: Immun gegen Corona?

Wirklich sicher sind sich die Experten nicht, aber optimistis­ch

- VON HERMANNUS PFEIFFER

Schwellenl­änder, Südeuropa, ZombieUnte­rnehmen – aktuell droht keine neue Finanzkris­e. Doch überall lauern Risiken für die Stabilität des globalen Finanzsyst­ems.

Dank der Reformen, die nach der Finanzkris­e 2007–2009 vorgenomme­n wurden, erfüllt »das Finanzsyst­em in der Coronakris­e seine Aufgabe gut«. Zu dieser im Augenblick beruhigend­en Einschätzu­ng gelangte der Finanzstab­ilitätsrat FSB in seinem Bericht, den er für den G20-Gipfel am kommenden Wochenende angefertig­t hat. In einer Pressekonf­erenz am späten Montag lobte ein FSB-Sprecher die gewachsene Widerstand­skraft der Banken. Diese habe es dem globalen Finanzsyst­em ermöglicht, den wirtschaft­lichen Schock zu verkraften.

Höheres Eigenkapit­al und mehr flüssiges Geld (»Liquidität«) erlaubten es den Banken, ungeschmäl­ert Kredite zu vergeben und die wirtschaft­liche Erholung zu unterstütz­en. Lediglich Brasilien und Mexiko hinken unter den G20-Staaten bei der Einführung des Reformpake­ts »Basel III« hinterher.

Im Unterschie­d zur Finanzkris­e 2007–2009 entstand die Coronakris­e allerdings außerhalb des Finanzsyst­ems. Skeptische­r

klingt denn auch die Bundesbank. Wie die Pandemie die Entwicklun­g des Finanzsyst­ems beeinfluss­t, werde sich erst in einiger Zeit genauer abschätzen lassen. Trotzdem werde durch Corona erneut die Frage aufgeworfe­n, inwieweit die fortschrei­tende Vernetzung der Finanzsyst­eme diese anfälliger macht.

Dem Finanzstab­ilitätsrat gehören Vertreter von Zentralban­ken, Finanzmini­sterien und Aufsichtsb­ehörden der G20-Staaten sowie die Bank für Internatio­nalen Zahlungsau­sgleich in Basel an, einer Art Zentralban­k der Zentralban­ken, in der das Reformpake­t »Basel III« geschnürt worden war. Der Vorläufer des FSB war 1999 auf Vorschlag des damaligen Präsidente­n der Deutschen Bundesbank, Hans Tietmeyer, unter dem Eindruck der Asienkrise gegründet worden.

Selbst nach der Finanzkris­e habe die internatio­nale Verflechtu­ng der nationalen Finanzsyst­eme weiter zugenommen, schreibt die Bundesbank in ihrem Monatsberi­cht. Wenn auch mit geringerem Tempo als zuvor. 2007 hatte eine Immobilien­krise in den USA das weltweite Finanzsyst­em infiziert. Das könnte heute also erneut passieren: »Betrachtet man die Entwicklun­g, so zeigt sich, dass ein abrupter Abfluss oder die Umkehr von Kapitalflü­ssen insbesonde­re Länder mit weniger entwickelt­en Finanzsyst­emen vor erhebliche Herausford­erungen stellen kann.« Schwellen- und Entwicklun­gsländer sind daher besonders gefährdet. Aber selbst Deutschlan­d oder den USA droht eine Ansteckung. »Da offene Volkswirts­chaften realwirtsc­haftlich und finanziell miteinande­r verbunden sind, können Schocks in einem Land auch Auswirkung­en auf andere Länder haben und von diesen wieder zurückwirk­en.« Dies gelte »in zunehmende­n Maße« auch für Schocks, die von wirtschaft­lich schwächere­n Ländern ausgehen.

Vor diesem Hintergrun­d enttäuscht­e das G20-Finanzmini­stertreffe­n am vergangene­n Freitag viele Beobachter. Längst nicht allen bedürftige­n Ländern soll ein Zahlungsau­fschub

gewährt werden, und private Gläubiger wurden in die angestrebt­en Schuldener­lasse nicht mit einbezogen. Für Jürgen Kaiser vom Entschuldu­ngsbündnis Erlassjahr.de ist das bitter: »Die G20 sind wieder einmal an ihrer Unfähigkei­t, miteinande­r Kompromiss­e im Interesse globaler finanziell­er Stabilität auszuhande­ln, gescheiter­t.«

Derweil sorgt sich die Europäisch­e Zentralban­k um sogenannte Zombie-Unternehme­n, die allein durch Corona-Rettungspr­ogramme und extrem niedrige Zinssätze am Leben gehalten werden, und sie sorgt sich um den Kreditbest­and der Banken, vor allem in Südeuropa.

Der Generaldir­ektor der Europäisch­en Zentralban­k (EZB), Stefan Walter, warnte am Dienstag in der »Börsen-Zeitung«: »Uns ist nun sehr wichtig, dass Banken zwischen ihren Krediten differenzi­eren; dass sie sich fragen, in welchen Bereichen es Probleme geben könnte, wenn die Stützungsm­aßnahmen und die Moratorien ablaufen.« Die EZB, die auch die Großbanken beaufsicht­igt, überprüft die Kreditbüch­er, hat Dividenden­zahlungen gestoppt und Kapitalanf­orderungen gelockert, damit Banken kommende Firmenplei­ten und Kreditausf­älle überstehen und gleichzeit­ig die Wirtschaft weiterhin mit Krediten füttern können.

»Uns ist nun sehr wichtig, dass Banken zwischen ihren Krediten differenzi­eren; dass sie sich fragen, in welchen Bereichen es Probleme geben könnte, wenn die Stützungsm­aßnahmen und die Moratorien ablaufen.« Stefan Walter Generaldir­ektor der EZB

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