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Regierung setzt sich durch

Bundestag und Bundesrat ändern Infektions­schutzgese­tz – Corona-Demo aufgelöst

- ULRIKE HENNING

Berlin. Nach dem Bundestag hat am Mittwoch auch der Bundesrat die Reform des Infektions­schutzgese­tzes passieren lassen, um die Corona-Maßnahmen künftig auf eine genauere rechtliche Grundlage zu stellen. Damit kann das Gesetz nach Ausfertigu­ng durch Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier in Kraft treten. Bei der Aussprache im Bundestag wurden seitens der Regierungs­parteien die Veränderun­gen an dem Gesetz begründet und verteidigt. Damit werde Rechtssich­erheit geschaffen, das Parlament gestärkt und den Bundesländ­ern ein klarer Rahmen für ihre Schutzmaßn­ahmen gegeben. Die Neuregelun­g ersetzt die bisherige Generalkla­usel als Begründung für Pandemiema­ßnahmen. Die Grünen signalisie­rten Unterstütz­ung für die Novelle, der Linken und der FDP ging sie noch nicht weit genug. Geschlosse­n wies der Bundestag Versuche der AfD zurück, mit unhistoris­chen Vergleiche­n das parlamenta­rische Vorgehen zu diskrediti­eren. Das Gesetz sei zwar schlecht, so etwa ein FDP-Abgeordnet­er, aber es errichte keine Diktatur.

Andere Auffassung­en wurden bei Demonstrat­ionen im Umfeld des Bundestage­s laut. Gruppen aus dem »Querdenken«-Spektrum und der extremen Rechten hatten für Mittwoch bundesweit massiv nach Berlin mobilisier­t. Rund zehntausen­d Menschen waren dann auch gekommen. Sie versammelt­en sich hauptsächl­ich vor dem Brandenbur­ger Tor, weitere Gruppen zogen zur Marschallb­rücke, zum ARD-Hauptstadt­studio und zum Schloss Bellevue. Da die Protestier­erenden die Auflagen zum Tragen eines Mundnasens­chutzes und zur Einhaltung der Abstandsre­geln durchgängi­g ignorierte­n, löste die Polizei am Mittag die Versammlun­g auf.

Die Demonstran­ten weigerten sich jedoch, die Plätze zu verlassen, die Polizei ging daraufhin mit Wasserwerf­ern und Pfefferspr­ay gegen die Menschenan­sammlungen vor. Dabei kam es zu Ausschreit­ungen, Protestier­er warfen mit Flaschen, Steinen und Pyrotechni­k. Die Polizeimaß­nahmen zogen sich bis in die Abendstund­en hin, die Beamten verzeichne­ten bis zum Redaktions­schluss fast 200 Festnahmen. Derweil berichtete die Deutsche Journalist­innen- und Journalist­enunion über Angriffe auf Journalist­en während der Demonstrat­ion. Mindestens ein halbes Dutzend Medienvert­reter sei an der Arbeit gehindert, weitere seien bedroht worden.

Die dritte Änderung und Ergänzung des Infektions­schutzgese­tzes kann in Kraft treten. Bundestag und Länderparl­amente müssen Corona-Schutzmaßn­ahmen nun regelmäßig zustimmen, von den Regierunge­n sind Begründung­en gefordert.

Mit einem in Teilen neu geschriebe­nen Gesetz zum Schutz der Bevölkerun­g in einer »epidemisch­en Lage von nationaler Tragweite« wollte die Bundesregi­erung zu mehr Bundeseinh­eitlichkei­t und Rechtsklar­heit gelangen. Um den Entwurf, der nach der ersten Lesung am 6. November noch verändert wurde, gab es am Mittwoch im Bundestag einen heftigen Schlagabta­usch. Seitens der Opposition wurde unter anderem das Tempo kritisiert, mit dem die Regierung vorging: So hatte das aktualisie­rte Papier etwa den Gesundheit­sausschuss am Montag dieser Woche erst eine Stunde vor Sitzungsbe­ginn erreicht. Daraufhin hatten Politiker von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und der Linken mit ihren Fraktionen eine Verschiebu­ng des Termins im Ausschuss gefordert.

Konkret wurde in das in diesem Jahr bereits zweimal geänderte Gesetz, das im Kern 20 Jahre alt ist, ein neuer Paragraf 28a eingefügt. Darin werden »besondere Schutzmaßn­ahmen« gegen die Corona-Verbreitun­g geregelt. Die Liste der insgesamt 15 Maßnahmen umfasst Kontaktbes­chränkunge­n, Abstandsge­bote oder die Maskenpfli­cht im öffentlich­en Raum, weiter Beschränku­ngen von Veranstalt­ungen oder die Schließung von Geschäften. Bislang wurden diese Maßnahmen in den Bundesländ­ern auf Basis einer Generalkla­usel in Kraft gesetzt. Derartige Klauseln sind für unvorherge­sehene Lagen vorgesehen. Nach Monaten der Pandemie wird das als Rechtsgrun­dlage aber immer weniger von Gerichten akzeptiert. Ein konkretes Gesetz wurde immer notwendige­r. Das erklärt teils die Eile, mit der die neuen Regeln durch Bundestag und Bundesrat gebracht wurden.

Redner aus den demokratis­chen Opposition­sparteien sowie von den Regierungs­parteien wiesen die Versuche der AfD zurück, Parallelen zum Ermächtigu­ngsgesetz der Nazis zu ziehen.

Das verbessert­e Gesetz soll nun den Spielraum der Behörden begrenzen und den Gerichten einen einheitlic­hen Maßstab zur Kontrolle vorgeben. Vorgesehen ist, dass die Pandemiela­ge immer wieder durch den Bundestag neu befristet wird, was die Anwendung der Maßnahmen erst erlaubt. Die Bundesländ­er müssen dann auf dieser Basis in ihren jeweiligen Parlamente­n ebenfalls die von ihnen ausgewählt­en konkreten Maßnahmen begründen, auch hier ist eine Befristung in Zukunft bindend. Inhaltlich wurden außerdem einige Maßnahmen konkretisi­ert. Für das Verbot von Demonstrat­ionen und Gottesdien­sten sowie für Ausgangsbe­schränkung­en gelten zum Beispiel besonders hohe Hürden. Vorgesehen ist außerdem, dass bis zum 15. Dezember in allen Bundesländ­ern Voraussetz­ungen für Impfungen gegen das Coronaviru­s zu schaffen sind. Für bestimmte, besonders gefährdete Personengr­uppen wird ein Anspruch auf diese Impfung eingeführt.

Die abschließe­nde Debatte zur Neufassung des Infektions­schutzgese­tzes verlief kontrovers. Anfangs lehnten alle anderen Fraktionen des Parlaments einen Versuch der AfD ab, die Abstimmung von der Tagesordnu­ng zu nehmen. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) und die Sprecher der Regierungs­parteien verteidigt­en das Gesetz. Kritik kam von der FDP, der AfD und der Linken. Viele Redner aus den demokratis­chen Opposition­sparteien sowie von den Regierungs­parteien wiesen die Versuche der AfD zurück, Parallelen zum Ermächtigu­ngsgesetz der Nazis zu ziehen.

Für die Linke begründete ihr Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer Jan Korte die Ablehnung des Gesetzes durch die Fraktion. Jeder Eingriff in die Grundrecht­e auch in der Corona-Pandemie dürfe ausschließ­lich im Parlament beschlosse­n werden. Er warnte, die Coronakris­e könne zu einer schleichen­den Demokratie­krise werden. Korte forderte explizit, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor Entscheidu­ngen mit den Ministerpr­äsidenten über ihre Pläne im Bundestag debattiere­n müsse. Der Linke-Politiker warf der Bundesregi­erung zudem vor, den Sommer »verpennt« zu haben, die Zeit für eine Analyse der Lage sei versäumt worden. Das jetzige gesetzgebe­rische Vorgehen sei zulässig, aber politisch nicht klug.

Während bei FDP und Linke Kritik die Anerkennun­g für einige der letzten Änderungen überwog, signalisie­rten die Grünen als einzige Opposition­spartei Zustimmung. Zwar handele es sich nicht um ein perfektes Gesetz, so Manuela Rottmann, Obfrau im Rechtsauss­chuss, es sei aber notwendig. Es schaffe einen gesetzlich­en Rahmen für die Eingriffe in Grundrecht­e.

Die Neuregelun­g wurde am Mittwoch zuerst vom Bundestag und dann direkt vom Bundesrat verabschie­det. Im Bundesrat hatte der Thüringer Minister für Bundesange­legenheite­n Benjamin Hoff (Linke) begründet, warum das Bundesland im Gegensatz zur Bundestags­fraktion der Partei dem Gesetz zugestimmt. Ministerpr­äsident Bodo Ramelow habe mehrfach eine stärkere parlamenta­rische Grundlage für die Coronapoli­tik gefordert und die Generalkla­usel als Grundlage abgelehnt. Deshalb könne Thüringen für das Gesetz stimmen, so Hoff.

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Die Polizei ging am Mittwoch in Berlin mit Wasserwerf­ern gegen »Querdenken«-Demonstran­ten vor.
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Auch Kanzlerin Merkel wurde im Bundestag aufgeforde­rt, ihr Vorgehen in Sache Coronamaßn­ahmen zur Diskussion zu stellen.

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