nd.DerTag

Weniger Rassismus, mehr Verschwöru­ng

In Ostdeutsch­land sind demokratie­feindliche Einstellun­gen gestiegen – Verschwöru­ngen deutschlan­dweit

- ULRIKE WAGENER

Rechtsextr­eme Einstellun­gen sinken, aber steigen in Ostdeutsch­land

Berlin. Ausländerf­eindlichke­it und Rechtsextr­emismus sind in Deutschlan­d insgesamt auf dem Rückzug. Das zeigen die Ergebnisse von Befragunge­n für die 10. Leipziger Autoritari­smusstudie, die am Mittwoch in Berlin vorgestell­t wurde. Allerdings driften Ost und West immer weiter auseinande­r: Im Westen sank die Zahl der Menschen, bei denen die Forscher eine »manifest-geschlosse­ne rechtsextr­eme Weltsicht« feststellt­en, in den vergangene­n zwei Jahren von 5,2 Prozent auf drei Prozent. Im Osten war dagegen im gleichen Zeitraum ein Anstieg von 8,5 Prozent auf 9,5 Prozent zu verzeichne­n.

Alarmiert zeigten sich die Forscher von einer Zunahme von antisemiti­schen und verschwöru­ngsideolog­ischen Elementen im Denken vieler Menschen. Diese hätten häufig eine »Scharnierf­unktion« und verknüpfte­n dadurch Anhänger verschiede­ner Milieus und politische­r Richtungen, so Oliver Decker vom Kompetenzz­entrum für Rechtsextr­emismus- und Demokratie­forschung der Universitä­t Leipzig. Für die Studie waren 2503 Menschen befragt worden.

Neue Lücke zwischen Ost und West: Während rassistisc­he Ressentime­nts in der Bundesrepu­blik leicht abnehmen, steigen sie im Osten. Und Verschwöru­ngserzählu­ngen boomen in der Pandemie.

Die sogenannte Ausländerf­eindlichke­it in Deutschlan­d hat leicht abgenommen, trotzdem ist sie in einem hohen Anteil der Bevölkerun­g zustimmung­sfähig. Und es gibt ein dauerhaft hohes Niveau bei rechtsextr­emen Einstellun­gen. Zu diesem Schluss kommt die am Mittwoch vorgestell­te Leipziger Autoritari­smusstudie 2020, bei der im Mai und Juni insgesamt 2503 Menschen befragt wurden. Davon stimmten ein Viertel der Aussage zu: »Die Bundesrepu­blik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlich­en Maß überfremde­t.« In Ostdeutsch­land waren es 38 Prozent. Oliver Decker, Direktor des Kompetenzz­entrums für Rechtsextr­emismusund Demokratie­forschung der Universitä­t Leipzig, bezeichnet­e Ausländerf­eindlichke­it im Zuge der Präsentati­on der Studie am Montag als »Einstiegsd­roge in den Rechtsextr­emismus«. Trotz Diskussion­en wurde der Begriff »Ausländerf­eindlichke­it« beibehalte­n, anstatt ihn mit Rassismus zu ersetzen.

Die Zustimmung­swerte zu klar antisemiti­schen, chauvinist­ischen und antimuslim­ischen Haltungen sind leicht rückläufig, jedoch auf hohem Niveau. Zehn Prozent stimmten der Aussage zu: »Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß.« Decker gab zu bedenken, dass die Zahlen besonders vor dem Hintergrun­d als hoch zu bewerten seien, dass die öffentlich­e Äußerung von Antisemiti­smus klar sanktionie­rt sei und daher oft über eine »Umwegkommu­nikation« laufe. So gab über die Hälfte der Befragten an, man solle sich »lieber gegenwärti­gen Problemen widmen als Ereignisse­n, die mehr als 70 Jahre vergangen sind«, 30 Prozent stimmten der Aussage zu, dass Israels Politik in Palästina genauso schlimm sei wie die Politik der Nazis im Zweiten Weltkrieg. Mehr als ein Viertel der Befragten stimmten der Forderung zu, »Muslimen die Zuwanderun­g nach Deutschlan­d zu untersagen«. Mehr als die Hälfte der Studientei­lnehmer sagten Ja zu dem Satz: »Sinti und Roma neigen zur Kriminalit­ät.« Und 47 Prozent der Befragten fühlen sich »durch die vielen Muslime manchmal wie ein Fremder im eigenen Land«.

Ein neues Element der diesjährig­en Studie waren Fragen zu Verschwöru­ngsdenken in Bezug auf die Corona-Pandemie. Insgesamt wurde deutlich, dass die Verschwöru­ngsmentali­tät der Deutschen auf lange Sicht gesehen zwar seit 2012 rückläufig ist, allerdings ist im Vergleich zur letzten Erhebung 2018 ein Anstieg um 7,4 Prozent zu beobachten, im Osten um 16,9 Prozent. So meinen 33 Prozent, die Coronakris­e werde so groß geredet, damit einige wenige von ihr profitiere­n können. Gleichzeit­ig gaben rund 77 Prozent der Befragten an, sich von der Pandemie bedroht oder stark bedroht zu fühlen. Das ist jedoch nicht unbedingt ein Widerspruc­h. Verschwöru­ngsmythen resultiert­en häufig aus dem Bedürfnis nach Kontrolle und Handlungsf­ähigkeit, so Decker. Dieses Bedürfnis wird in der Pandemie nicht erfüllt. Decker sagte in Bezug auf die Coronademo­nstratione­n: »Wir haben es hier mit einer autoritäre­n Rebellion zu tun.« Menschen stellten sich scheinbar gegen Autoritäte­n, jedoch nicht mit dem Wunsch nach demokratis­chen Aushandlun­gsprozesse­n, sondern nach »echten« Autoritäte­n. So befürworte­n etwa 17 Prozent die Aussage: »Was Deutschlan­d jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemei­nschaft insgesamt verkörpert.« Weitere 21 Prozent stimmten teilweise zu.

Zehn Jahre nach der ersten Durchführu­ng der Befragung werteten die Studienmac­her*innen ihre Ergebnisse auch auf lange Sicht aus. Dort fällt insbesonde­re ein großes Gefälle zwischen Ost- und Westdeutsc­hland auf. Während rechtsextr­eme und demokratie­feindliche Einstellun­gen in Westdeutsc­hland mit Schwankung­en abgenommen haben, ist für Ostdeutsch­land seit 2014 ein erneuter Anstieg in fast allen Bereichen zu beobachten. Auch die Zufriedenh­eit mit der umgesetzte­n Demokratie ist im Westen auf ihrem höchsten Punkt (62 Prozent), im Osten hingegen ist sie seit 2018 um fast 7 Prozent auf rund 41 Prozent gesunken. Gesamtgese­llschaftli­ch gibt es aber dennoch einen sehr hohen Zustimmung­swert zur Demokratie als Idee (93 Prozent).

»Ich würde nicht sagen, dass es in Ostdeutsch­land mehr Rassismus gibt als in Westdeutsc­hland. Aber antimodern­e Ideologien haben dort deutlich mehr Verbreitun­g«, sagt Decker gegenüber »nd«. Der Soziologe erklärt das mit den postkommun­istischen Transforma­tionsproze­ssen, mit anderen Demokratie­vorstellun­gen als in Westdeutsc­hland und einer großen Unzufriede­nheit mit den Partizipat­ionsmöglic­hkeiten. Sein Kollege im Leipziger Forschungs­zentrum Elmar Brähler sagte in der Pressekonf­erenz zur Studie: »Wenn die Personen das Gefühl haben, in ihrem Betrieb etwas zu sagen zu haben, zeigen sie Resilienz zu allen demokratie­feindliche­n Variablen.« Umgekehrt bergen Partizipat­ionsmöglic­hkeiten die Möglichkei­t der Resilienzs­teigerung gegen antidemokr­atische Einstellun­gen. Decker betonte gegenüber »nd«: »Es ist immer tödlich, wenn autoritäre Angebote von demokratis­chen Parteien ausgehen.« Wenn etwa ein Ministerpr­äsident sage, dass er »harte Kante« zeige und damit die demokratis­chen Aushandlun­gsprozesse selbst umgehe. Eine Möglichkei­t, um demokratie­feindliche Einstellun­gen zu verringern, sei es, die Partizipat­ionsmöglic­hkeiten in Schulen, Betrieben und der Politik zu erhöhen.

Dort sieht auch Ferda Ataman, Vorsitzend­e des postmigran­tischen Netzwerks »neue deutsche organisati­onen« Handlungsb­edarf: »Wissenscha­ftler*innen weisen seit Jahren darauf hin, dass es keinen Rechtsruck in der Bevölkerun­g gibt, sondern in Politik und Medien. Sie reagieren auf eine kleine, aber laute Gruppe. Umso wichtiger ist es, dass Parteien und Medien mehr junge und diversität­sorientier­te Leute ranlassen, damit sich die Perspektiv­e ändert.«

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Eine »autoritäre Rebellion« findet auch in Deutschlan­d statt.

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