nd.DerTag

Rechtskonf­likte

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Uwe Kalbe zur Novelle des Infektions­schutzgese­tzes

Die Demokratie scheint in Gefahr, wenn doch alle Kritiker des Infektions­schutzgese­tzes einhellig die Verfassung im Munde führen: die Demonstran­ten in Sichtweite des Bundestage­s und die Opposition darin. Es stehen ja wirklich Grundrecht­e zur Dispositio­n, wenn Versammlun­gs- und Bewegungsf­reiheit so stark eingeschrä­nkt werden wie derzeit. Und auch dass der Bund Zugriff auf die Gesundheit­spolitik beanspruch­t, die den Ländern obliegt, ist eine Frage von verfassung­srechtlich­er Dimension. Doch ist es nicht dasselbe, die Mitsprache des Parlaments anzumahnen, weil dessen Ausschaltu­ng die Demokratie abschnürt, und im Namen der Freiheit des Individuum­s den Gesundheit­sschutz für alle in den Wind zu schlagen. Und so sortieren sich die Kritiker inner- und außerhalb des Bundestage­s auf durchaus gewohnten Seiten der Barrikade: die einen dort, wo der Ellenbogen das letzte Instrument aller Entscheidu­ngen ist. Und die anderen da, wo Rechte nach einem gemeinsame­n, am Ende sozial begründete­n Maß austariert werden sollen.

Die Regierende­n versuchen sich bisher auf einem Mittelweg. Und es ist richtig, auch die Änderungen des Gesetzes zum Infektions­schutz nicht über einen Kamm geschert zu verdammen. Doch soziale Kriterien berühren nicht nur den Schutz vor Krankheit, sondern auch den Schutz vor ihren Folgen, also die Abmilderun­g der selbst verordnete­n Maßnahmen durch die Politik. Darüber dürfen Regierunge­n nicht allein entscheide­n, es muss abgewogen, Betroffene müssen gehört werden, durchaus auch Demonstran­ten. Perfide aber ist es, das Infektions­schutz- mit Hitlers Selbstermä­chtigungsg­esetz gleichzust­ellen. Man darf der Bundesregi­erung Anmaßung vorwerfen, kann ihr aber nicht absprechen, dass der Schutz des Lebens ihr Antrieb ist. Der böse Vorwurf unterstell­t das Gegenteil. Und schlimmer: Er relativier­t das Geschehen vor 87 Jahren, samt Folgen.

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