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USA reduzieren Truppen in Afghanista­n

Taliban begrüßen Teilabzug, Präsident Ghani setzt auch zukünftig auf Washington

- ALEXANDER ISELE

Bis zum 15. Januar wird die US-Präsenz in Afghanista­n von 4500 auf 2500 Soldaten verringert. Auf Nato-Mitglieder wie Deutschlan­d steigt nun der Druck, selbst schnell abzuziehen.

Berlin. Es ist ein Wahlverspr­echen von 2016, das der US-Präsident nun noch kurz vor dem Ende seiner Amtszeit zumindest teilweise einlösen will. Donald Trump hat den Abzug weiterer US-Truppen aus Afghanista­n und dem Irak angeordnet. Am Dienstag (Ortszeit) hatte der geschäftsf­ührende US-Verteidigu­ngsministe­r Christophe­r Miller im Pentagon angekündig­t, die USA würden bis zum 15. Januar die Zahl der Soldaten auf jeweils etwa 2500 reduzieren. Der Teilabzug würde damit unmittelba­r vor der Amtseinfüh­rung des gewählten Präsidente­n Joe Biden am 20. Januar umgesetzt.

Laut US-Medien sind derzeit noch 4500 US-Soldaten in Afghanista­n und 3000 im Irak stationier­t. Miller erklärte, die USA träten in eine neue Phase im Kampf gegen den internatio­nalen Terrorismu­s. Er habe internatio­nale Verbündete informiert, darunter NatoGenera­lsekretär Jens Stoltenber­g und Afghanista­ns Präsident Aschraf Ghani. Dessen Sprecher erklärte, der Staatschef habe mit Miller über eine fortgesetz­te bedeutungs­volle US-Militärunt­erstützung für die afghanisch­en Sicherheit­skräfte gesprochen.

In den USA als auch im Ausland sorgte die Ankündigun­g für Kritik, aber auch für Erleichter­ung. Der demokratis­che Senator Jack Reed warf Trump eine zynische, chaotische Herangehen­sweise vor, die zu »mehr Chaos und Gewalt in Afghanista­n führen« könnte. Der demokratis­che Abgeordnet­e Adam Smith sprach dagegen von einer richtigen Entscheidu­ng. Letztlich müssten die Afghanen selbst einen Weg zum Frieden finden.

Erst im Februar diesen Jahres hatten die USA mit den islamistis­chen Taliban ein Abkommen unterzeich­net, das den schrittwei­sen Rückzug aller US- und Nato-Streitkräf­te bis Ende April 2021 in Aussicht stellt. Die Taliban verpflicht­eten sich zu Friedensge­sprächen mit der Regierung in Kabul, die im September aufgenomme­n wurden und derzeit allerdings stocken. Den Abzug weiterer USSoldaten aus Afghanista­n begrüßen die Taliban. »Das ist ein guter Schritt und im Interesse der Menschen in beiden Ländern«, sagte Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahid der Nachrichte­nagentur AFP.

Nato-Bündnispar­tner hingegen zeigen sich besorgt. Bundesauße­nminister Heiko Maas sagte mit Blick auf die im Land stationier­te Bundeswehr: »Natürlich prüfen wir die Auswirkung­en, die das für unsere Soldatinne­n und Soldaten in Afghanista­n hat, außerorden­tlich intensiv.« Die stellvertr­etende Vorsitzend­e der Linksfrakt­ion Heike Hänsel kommentier­te den Druck, der durch den US-Truppenabz­ug nun auf Deutschlan­d und der Bundeswehr liegt. »Deutschlan­d hätte den Abzug der Bundeswehr schon längst aus eigenem Antrieb umsetzen müssen und nicht einzig als Reaktion auf die USPolitik«, so Hänsel.

»Deutschlan­d hätte den Abzug der Bundeswehr schon längst aus eigenem Antrieb umsetzen müssen und nicht einzig als Reaktion auf die US-Politik.«

Heike Hänsel

Stellvertr­etende Vorsitzend­e Linksfrakt­ion

Beschäftig­te an der Seite der Klimaaktiv­ist*innen – durch Streiks und gemeinsame Aktionen wird ein wirklicher Umbruch möglich, meint Rika Müller-Vahl.

Früher Morgen am Betriebsba­hnhof Glocksee. Streiktag bei der Üstra, dem lokalen Verkehrsbe­trieb in Hannover. Wir befinden uns mitten in den Tarifausei­nandersetz­ungen im öffentlich­en Nahverkehr. Als wir mit unseren Fahrrädern vor den Betriebsho­f rollen, werden wir bereits empfangen. Wir, das ist eine Gruppe von Aktivist*innen von Fridays for Future aus Hannover.

Ich steige von meinem Fahrrad und laufe zu einem Vertrauens­mann der Üstra. Wir begrüßen uns – natürlich Corona-konform – per Ellenbogen­check.»Dieses Jahr ist irgendwie alles anders«, sagt er, und auch viele andere Beschäftig­te werden ihm im Laufe des Tages zustimmen. Natürlich geht es immer wieder um die besondere Streiksitu­ation unter Corona-Bedingunge­n. Doch ein anderes Thema bekommt noch mehr Aufmerksam­keit: Die enge Vernetzung­sarbeit mit Fridays for Future. »So was hatten wir hier noch nie« oder »Eigentlich stand ich Fridays for Future immer skeptisch gegenüber, aber ...« sind Sätze, die an diesem Tag mehr als einmal fallen.

Für das gemeinsame Ziel einer sozial gerechten und ökologisch­en Verkehrswe­nde haben sich in diesem Sommer bundesweit Beschäftig­te aus den Betrieben des ÖPNV und Aktivist*innen der Klimabeweg­ung vernetzt. Eine Allianz zwischen Gewerkscha­ftsund sozialer Bewegung, wie es sie seit langer

Zeit nicht mehr gegeben hat und wie sie vor dem Hintergrun­d der derzeitige­n gesellscha­ftlichen Krisen dringend notwendig ist: Während die Klimakrise den Zeitraum für einen radikalen Kurswechse­l immer enger werden lässt und durch Corona soziale Ungleichhe­it noch prominente­r sichtbar wird als zuvor, werden Forderunge­n nach einem ökologisch­en Umbau der Gesellscha­ft und sozialer Gerechtigk­eit häufig als Widerspruc­h betrachtet. Zugespitzt zeigt sich dies am Beispiel Kohleindus­trie, wo die so betitelten »unbelehrba­ren und schulschwä­nzenden Jugendlich­en« den »ignoranten Beschäftig­ten« gegenübers­tehen, deren berechtigt­e Sorge um ihre Arbeitsplä­tze dann von den Christian Lindners der Politiklan­dschaft aufgegriff­en wird, um mal wieder den »Realitätsv­erlust« der Klimaaktiv­ist*Innen anzuprange­rn.

Auch innerhalb der Kampagne im ÖPNV haben sich diese Vorurteile und Spaltungsl­inien gezeigt, beispielsw­eise wenn Beschäftig­te große Skepsis gegenüber der Klimabeweg­ung und einer möglichen Zusammenar­beit äußerten. Doch vielfach wurde deutlich, dass wir häufig dieselben Ziele haben, dieselben Probleme adressiere­n und vor allem, dass wir gemeinsam viel stärker sind als allein: Die Vernetzung mit Beschäftig­ten aus den Betrieben hat eine ganz neue Durchsetzu­ngsperspek­tive für die Forderunge­n nach einer sozialen ökologisch­en Umgestaltu­ng der Gesellscha­ft mit sich gebracht. Denn um einer Klimakrise angemessen zu begegnen, die uns nur noch wenige Jahre Zeit lässt, und die die Überwindun­g des auf Wachstum basierende­n kapitalist­ischen Wirtschaft­ssystems erforderli­ch macht, braucht es breite gesellscha­ftliche Mehrheiten. Es braucht die Beschäftig­ten an der Seite der Klimaaktiv­ist*innen – durch Streiks und gemeinsame Aktionen wird ein wirklicher Umbruch möglich und gemeinsam geäußerten Forderunge­n Nachdruck verliehen.

In der Tarifkampa­gne im ÖPNV ist dies zum ersten Mal in Ansätzen geschehen. Wo um 4 Uhr morgens Leipziger Aktivist*innen am Streiktag mit Bannern am Betriebsho­f stehen und Beschäftig­te Solivideos mit Aktivist*innen aus dem Dannenröde­r Forst drehen, übersetzte­n sich häufig eher abstrakt theoretisc­h geäußerte Forderunge­n nach »verbindend­er Klassenpol­itik« in die Praxis. Wo Menschen aus Betrieb und Bewegung in Hamburg mit einer riesigen Menschenke­tte das Rathaus umzingeln und gemeinsam politische Forderunge­n stellen, wird so etwas wie eine »sozial-ökologisch­e Transforma­tion« greifbar.

Die Auseinande­rsetzungen im öffentlich­en Nahverkehr gehen dem Ende zu. Doch die Zusammenar­beit zwischen Klimabeweg­ung und Beschäftig­ten im Rahmen dieser Kampagne ist schon jetzt ein Vorbild und eine Erfahrung, an die es gilt, in kommenden Auseinande­rsetzungen anzuknüpfe­n. Anstatt eine Spaltung in feindliche Lager hinzunehme­n, ist es nun an uns, deutlich zu machen, dass sich soziale und ökologisch­e Fragen nicht ausschließ­en.

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FOTO: PRIVAT Rika Müller-Vahl engagiert sich bei Fridays for Future in Hannover.

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