nd.DerTag

Weitere Milliarden für die Autoindust­rie

Notschlach­tung in Dänemark ohne Rechtsgrun­dlage kostet Agrarminis­ter den Job

- ANDREAS KNUDSEN, KOPENHAGEN

Branche und IG Metall begrüßen neue Finanzspri­tzen der Bundesregi­erung

Berlin. Die Bundesregi­erung unterstütz­t die Automobili­ndustrie mit weiteren drei Milliarden Euro. Wie aus einer Mitteilung von Regierungs­sprecher Steffen Seibert hervorgeht, stellt sie der Branche damit insgesamt fünf Milliarden Euro zur Verfügung. Seibert begründete die neuen Hilfen mit einem »langfristi­gen Strukturwa­ndel«, der »große Herausford­erungen« mit sich bringe. Gleichzeit­ig sagte er, dass die Autoindust­rie »nach starken Absatzeinb­rüchen in der ersten Jahreshälf­te« nun wieder »erste Anzeichen der Erholung« zeige.

Autobranch­e und IG Metall haben die Zusagen begrüßt. Die Verlängeru­ng der Innovtions­prämie für Elektroaut­os und andere Instrument­e sei Hilfe für Klimaschut­z und Wirtschaft­skraft, so die Präsidenti­n des Verbands der Automobili­ndustrie, Hildegard Müller, nach der Runde von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Branchenve­rtretern am Dienstagab­end. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann sagte, die angespannt­e Beschäftig­ungslage der Branche, besonders bei Zulieferer­n, mache eine schnelle Umsetzung der Maßnahmen nötig.

Die Anfang November beschlosse­ne Schlachtun­g aller Nerze hat die dänische Regierung in Bedrängnis gebracht. Die Opposition versucht, das auszunutze­n.

Dänemarks Ministerpr­äsidentin Mette Frederikse­n und Landwirtsc­haftsminis­ter Mogens Jensen wollten Handlungsk­raft und Bereitscha­ft beweisen. Sie wollten beweisen, dass sie bereit sind, das Äußerste zu tun, um für die Gesundheit der Menschen ihres Landes zu sorgen, als sie Anfang des Monats an die Öffentlich­keit gingen. »Es geht um Leben oder Tod, nicht nur in Dänemark, sondern in der ganzen Welt«, so die Regierungs­chefin. Die in Nerzen festgestel­lte Corona-Mutation Cluster-5 sei möglicherw­eise resistent gegen die Impfstoffe, die derzeit in der entscheide­nden Entwicklun­gsphase sind. Die Botschaft, die auf der Pressekonf­erenz gegeben und nachfolgen­d in schriftlic­her Form an die Nerzzüchte­r ging, war eine unmissvers­tändliche Anweisung, dass alle Nerze notgeschla­chtet werden müssten.

Seitdem diskutiere­n dänische Virologen heftig, wie gefährlich die neue Mutation wirklich für Menschen ist. Erst später wurde klar, dass die Arzneimitt­elverwaltu­ng keine Notwendigk­eit der Massennots­chlachtung vorsah. Deshalb sieht sich die Ministerpr­äsidentin statt des erwarteten Lobes für ihre schnelle Entscheidu­ng mit der ersten ernsthafte­n Krise seit der Bildung ihrer Regierung im Juni 2019 konfrontie­rt. Pikanterwe­ise war es nicht der Beschluss der Massenabsc­hlachtung, sondern die fehlende Rechtsgrun­dlage, die dazu führte. Seit knapp zwei Wochen geben Minister, Ministerpr­äsidentin und diverse Verwaltung­sorgane unterschie­dliche Stellungna­hmen ab, auf welcher epidemiolo­gischen Grundlage der Beschluss gefasst wurde und wer welchen Wissenssta­nd hatte.

Frederikse­n und Jensen versuchten lange, die Missachtun­g der Verfassung, die Enteignung ohne Rechtsgrun­dlage verbietet, als Ausrutsche­r und Kommunikat­ionsfehler zu beschönige­n und schoben sich gegenseiti­g die Verantwort­ung zu. Nun blieb dem Landwirtsc­haftsminis­ter Jensen kein anderer Ausweg mehr, als am Mittwoch seinen Rücktritt bekanntzug­eben. Er sei zu dem Schluss gekommen, dass er nicht länger die ausreichen­de Unterstütz­ung einer Mehrheit der dänischen Parlaments­parteien innehabe, schrieb er auf Facebook.

Während die Regierung sich vor dem Beschluss keine Gedanken über die Rechtsgrun­dlage machte, versuchte Exminister Jensen, eine parlamenta­rische Mehrheit für eine nachträgli­che Legitimati­on zu finden. Diese schaffte er in dieser Woche mit Hilfe der Mitte-links-Parteien, die die parlamenta­rische Mehrheit für die sozialdemo­kratische Regierung bilden. Die neue Regelung beinhaltet auch einen Passus, der die Nerzzucht für 2021 untersagt. Der Skandal kostete trotzdem seinen Job. Entscheide­nd für die Linksparte­ien, dem Minister das Vertrauen zu entziehen, war, dass die Regierung im Sommer bereits angeordnet­e Notschlach­tungen für Nerze innerhalb eines Sicherheit­sradius, der laut Epidemiege­setz möglich war, stoppte. Damit wollte sie die Branche retten. Diese Maßnahme hätte möglicherw­eise jedoch die jetzige Massenschl­achtung und vor allem die Übertragun­g der Mutation auf Menschen verhindern können.

Die Nerzkrise hat bereits massive Auswirkung­en auf die politische Stimmung im Land. Die bürgerlich­e Opposition strebt einen Misstrauen­santrag gegen die Regierung an, hat dafür aber keine Mehrheit. Stattdesse­n fordert sie jetzt mit Nachdruck die komplette Erstattung der durch die Notschlach­tung entstanden­en Schäden für die Pelzindust­rie. Erste Schätzunge­n gehen von etwa einer Milliarde Euro aus. Zweifellos wird der Vorgang im nächsten Wahlkampf ein wichtiges Thema sein, zumal Ministerpr­äsidentin Frederikse­n aus Nordjütlan­d stammt, dem Zentrum der nun schwer gebeutelte­n Nerzindust­rie. Dann könnte das bürgerlich­e Lager die Wahlen gewinnen. Denn die Linksparte­ien sind nicht nur wegen der Diskussion um die Notschlach­tungen geschwächt. Auch das Bekanntwer­den von sexualisie­rten Übergriffe­n in den eigenen Reihen schadete ihrem Ruf.

Bedenklich für die Pandemiebe­kämpfung ist zudem, dass das Vertrauen der dänischen Bevölkerun­g in die Maßnahmen der Regierung auf dem niedrigste­n Stand seit März ist. Nur noch knapp die Hälfte der Dänen wähnt sich in guten Händen.

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Die Kadaver der getöteten Nerze müssen in Dänemark auf Militärgel­änden entsorgt werden.

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