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Ausschreit­ungen bei Auflösung von Querdenken-Demo

Polizei geht mit Wasserwerf­ern gegen mehrere Tausend Demonstran­ten vor / Zahlreiche Neonazis und Hooligans unter Protestier­enden

- SEBASTIAN BÄHR

Rund Zehntausen­d Demonstran­ten gingen in Berlin gegen die Verabschie­dung des Infektions­schutzgese­tzes auf die Straße.

Bundesweit hatten verschiede­nste Gruppen von »Querdenken« bis zu extremen Rechten für diesen Mittwoch zu Blockaden des Bundestags aufgerufen und Abgeordnet­en demokratis­cher Parteien gedroht. Sie wollten damit gegen das Infektions­schutzgese­tz protestier­en, das aus ihrer Sicht die Grundrecht­e massiv beschneide­n würde. Bereits am Vormittag sammelten sich dann Tausende Demonstran­ten zwischen dem Brandenbur­ger Tor und der Straße des 17. Juni für den erklärten »Tag X«, größere Gruppen zogen auch zur Marschallb­rücke oder zum ARDHauptst­adtstudio. Die Polizei hatte die Zugänge zu den zentralen Institutio­nen mit einer Bannmeile gesperrt und war mit mehr als 2000 Beamten aufgezogen.

Die Einhaltung des Mindestabs­tands sowie das Tragen von Mund-Nasen-Masken wurde von den Demonstran­ten von Beginn an weitestgeh­end ignoriert. Wie auch bei vorherigen entspreche­nden Kundgebung­en, so zeigte sich auch in Berlin erneut das breitgefäc­herte Spektrum der Gegner der CoronaMaßn­ahmen. Hippies, Impfgegner, Verschwöru­ngstheoret­iker, Esoteriker und bürgerlich­e Demonstran­ten standen neben Neonazis und Hooligans; Familien und Rentner marschiert­en neben »Sportgrupp­en«. Während die einen tanzten und meditierte­n, bereiteten sich die anderen auf Auseinande­rsetzungen mit der Polizei vor. Einige trugen Gasmasken und Verkleidun­gen, andere Schilder, auf denen sie sich mit dem jüdischen Mädchen Anne Frank verglichen, das im Holocaust ums Leben kam. Andere zogen Parallelen zwischen Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und Adolf Hitler. Friedensfa­hnen wehten neben schwarz-weiß-roten Reichsfahn­en, Menschen sangen »Die Gedanken sind frei«.

Die Rechtsauße­nanhänger verzichtet­en dabei weitestgeh­end auf Transparen­te und Fahnen, die meisten hatten sich in Gruppen unter die Menge gemischt. Erkennbar waren sie dennoch. Unter anderem hatten sich die Neonazis Thomas Wulff, Sebastian Schmidtke, Nikolai Nerling und Sven Liebich bei den Demonstran­ten gezeigt. Auch zahlreiche AfDAbgeord­nete waren gekommen, darunter Hansjörg Müller, Lars Günther, Karsten Hilse oder der ehemalige Brandenbur­gische Landesvors­itzende Andreas Kalbitz.

Nachdem die Organisato­ren den mehrfachen Forderunge­n der Polizei zur Einhaltung der Auflagen nicht nachkamen, erklärten die Beamten die Demonstrat­ion am Brandenbur­ger Tor am Mittag für aufgelöst. Die Protestier­er weigerten sich jedoch, den Platz zu verlassen. Die Menge rief Parolen wie »Widerstand« oder »Wir sind das Volk«. Die Polizei setzte daraufhin Wasserwerf­er ein und versuchte die Menschen langsam zurückzudr­ängen. Es sei jedoch kein direkter Strahl genutzt worden, weil sich unter den Demonstran­ten auch Kinder befanden, sagte Polizeispr­echer Thilo Cablitz. Die Protestier­er versuchten sich mit Schirmen, Regenjacke­n und Planen gegen das Wasser zu schützen. Sie setzten sich gegen die Auflösung auch teilweise aktiv zur Wehr und warfen mit Flaschen, Steinen und Pyrotechni­k. Einige Kundgebung­steilnehme­r hatten gar ein Klavier gegen die Polizeirei­hen geschoben, auf dem man davor noch gespielt hatte. Ein Grillanzün­der wurde auf den Reifen eines Polizeiaut­os gelegt, Unbekannte schossen Pyrotechni­k auf die niedersäch­sische Landesvert­retung.

Zudem war es offenbar auch einigen Demonstran­ten gelungen, den Bundestag zu betreten. »Eingeschle­uste Personen haben unter anderem versucht, in Büros einzelner Abgeordnet­er einzudring­en«, erklärte die stellvertr­etende SPD-Fraktionsv­orsitzende Katja Mast. »Ich bin fassungslo­s. Freigewähl­te Abgeordnet­e an Abstimmung­en zu hindern und zu bedrängen, ist das Allerletzt­e.« Auch mehrere Journalist­en berichtete­n in den sozialen Medien von Angriffen und Beeinträch­tigungen ihrer Arbeit, sowohl durch Demonstran­ten als auch durch die Beamten.

Generell war die Stimmung in weiten Teilen aggressiv. Die Polizei verzeichne­te am Abend fast 200 Festnahmen. Die Demonstran­ten zerstreute­n sich bis zum Redaktions­schluss weitestgeh­end, waren aber noch zu Tausenden in Berlin unterwegs. Am Pariser Platz gab es zeitweise einen Gegenprote­st von rund 80 Antifaschi­sten.

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