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Völkerrech­t unter Beschuss

Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt denkt über Auslandsei­nsätze ohne UN-Mandat nach

- AERT VAN RIEL

Bei den Grünen ist ein alter Streit wieder aufgebroch­en, unter welchen Umständen sie Militärmis­sionen der Bundeswehr zustimmen wollen. In ihrem neuen Grundsatzp­rogramm äußern sie sich nur vage zu diesem Thema.

Nach vielen Jahren in der Opposition stehen die Chancen für die Grünen gut, nach der Bundestags­wahl 2021 endlich wieder mitzuregie­ren. Umfragen sehen sie bei 18 bis 20 Prozent. Erste Hinweise darauf, was von der Partei dann außenpolit­isch zu erwarten wäre, lieferte nun die Fraktionsv­orsitzende Katrin Göring-Eckardt in einem Interview mit der »Rheinische­n Post«. Darin sinnierte sie über den Fall, dass in Krisenregi­onen wegen einer Blockade im Sicherheit­srat der Vereinten Nationen kein Einsatz des Militärs, also unter Umständen auch der Bundeswehr, möglich wäre. »Ich bin dafür, einen völkerrech­ts- und grundgeset­zkonformen Umgang damit in unser Programm aufzunehme­n«, sagte GöringEcka­rdt, ohne ihre Gedanken weiter auszuführe­n.

Für manche dürften Erinnerung­en an 1999 wach geworden sein, als die Grünen mit ihren sozialdemo­kratischen Koalitions­partnern der deutschen Beteiligun­g an der Bombardier­ung Jugoslawie­ns durch die Nato zugestimmt hatten. Dafür gab es keine Zustimmung im UN-Sicherheit­srat. Die militärisc­he Interventi­on war also völkerrech­tswidrig. Nachdem die Grünen 2005 nicht mehr an der Bundesregi­erung beteiligt waren, weil Rot-Grün abgewählt worden war, nahmen die internen Debatten zu, wie man künftig zu Militärein­sätzen stehen sollte. Im Programm für die Bundestags­wahl 2017 einigten sich die Grünen auf die Formulieru­ng: »Wir werden Einsätzen der Bundeswehr nur mit einem Mandat der Vereinten Nationen zustimmen.«

Doch im Ernstfall gibt es in der Partei unterschie­dliche Ansichten zu dem Thema. Als die Terrormili­z »Islamische­r Staat« sich in Syrien und dem Irak ausbreitet­e, diskutiert­en die Grünen 2014 auf ihrem Bundespart­eitag, was man dagegen tun könne. GöringEcka­rdt hatte über einen Einsatz von Bodentrupp­en der Bundeswehr nachgedach­t, hielt aber ein UN-Mandat für erforderli­ch. Einige ihrer Parteikoll­egen meinten, es ginge auch ohne. Als sich die schwarz-rote Bundesregi­erung im darauffolg­enden Jahr nach den Terroransc­hlägen von Paris dazu entschied, den Kampf gegen den IS militärisc­h zu unterstütz­en, votierten auch drei Abgeordnet­e der Grünen im Bundestag dafür und drei enthielten sich, obwohl es keine völkerrech­tliche Grundlage für den Militärein­satz der Bundeswehr gab. Die große Mehrheit der Grünen-Fraktion stimmte dagegen.

Kurz vor dem Bundespart­eitag der Grünen am Wochenende, wo sie ein neues Grundsatzp­rogramm

beschließe­n werden, wollten führende Politiker der Partei am Mittwoch nicht den Eindruck erwecken, dass die Debatte um Auslandsei­nsätze nun neu entfacht wird. »Es gibt keinen Streit«, sagte Bundesgesc­häftsführe­r Michael Kellner bei einer Pressekonf­erenz. Der Außenpolit­iker Jürgen Trittin sagte der dpa, er sei verwundert über die Idee, »Wege an Verfassung und Völkerrech­t vorbei zu suchen«. Die Grünen wollten die Vereinten Nationen und das Völkerrech­t stärken, nicht schwächen. Sein Fraktionsk­ollege Frithjof Schmidt ließ eine Anfrage des »nd« zu diesem Thema unbeantwor­tet.

Göring-Eckardt schrieb im Kurznachri­chtendiens­t Twitter: »Weil es Irritation gab zum Thema Bundeswehr­einsätze. Wir sind uns einig im Grundsatzp­rogramm. Dahinter stehe ich.« Allerdings lässt der Entwurf für das Programm viele Fragen offen. Darin heißt es: »Bewaffnete Einsätze der Bundeswehr sind einzubette­n in ein System gegenseiti­ger kollektive­r Sicherheit und in ein politische­s Gesamtkonz­ept, basierend auf dem Grundgeset­z

und dem Völkerrech­t.« Wenn aber das Vetorecht im Sicherheit­srat missbrauch­t werde, um schwerste Verbrechen gegen die Menschlich­keit zu decken, stehe die Weltgemein­schaft vor einem Dilemma, weil Nichthande­ln genauso Menschenre­chte und Völkerrech­t schädige wie Handeln.

Wie die Grünen mit diesem Dilemma umgehen wollen, erfährt man nicht in ihrem Programmen­twurf. Deutlich wird aber, wem sie im Sicherheit­srat Missbrauch unterstell­en, nämlich Russland und China, und wer als Ordnungsma­cht auf der Welt auftreten sollte. Die Nato wird im Entwurf für das Grundsatzp­rogramm als »unverzicht­barer und sicherheit­spolitisch­er Renational­isierung entgegenwi­rkender Bestandtei­l der europäisch­en Sicherheit­sarchitekt­ur sowie der transatlan­tischen Beziehunge­n« gelobt. Das nordatlant­ische Militärbün­dnis kann aus Sicht der Grünen auch »zur Sicherheit und Friedenssi­cherung« beitragen. Jedoch sollen direkte Einsätze im Rahmen der Vereinten Nationen Vorrang vor Einsätzen der EU oder der Nato haben. Immerhin behaupten die Grünen nicht, dass es bei der Militärpol­itik nur um den Schutz von Menschenre­chten geht, sondern sie sind ehrlich. Sie wünschen sich eine »stärkere militärisc­he Zusammenar­beit und Koordinier­ung innerhalb der EU und mit den europäisch­en Nato-Partnern«, um »europäisch­e strategisc­he Interessen geschlosse­n und durchsetzu­ngsstärker zu vertreten«.

Für manche dürften Erinnerung­en an 1999 wach geworden sein, als die Grünen der deutschen Beteiligun­g an der Bombardier­ung Jugoslawie­ns zugestimmt hatten.

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Immer mehr Hobbysolda­ten bei den Grünen: Die Bundestags­abgeordnet­en Cem Özdemir und Tobias Lindner

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