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Ewiger Skandal: Renten an SS-Angehörige im Ausland

Antifaschi­stische Verbände protestier­en gegen fortlaufen­de Zahlung von Pensionen an im Krieg verwundete Nazischerg­en

- JANA FRIELINGHA­US

Noch immer erhalten Nazikollab­orateure in anderen Ländern deutsche Rentenleis­tungen. Antifaschi­stische Verbände fordern jetzt ein Ende der Zahlungen an Waffen-SS-Angehörige in Belgien.

Manche Dinge ändern sich offenbar nicht: 75 Jahre nach Beginn des Nürnberger Kriegsverb­recherproz­esses werden Nazikollab­orateure im Ausland noch immer vom deutschen Staat alimentier­t. Anlässlich des Jahrestage­s wandten sich am Mittwoch Vertreter belgischer, deutscher und internatio­naler antifaschi­stischer Organisati­onen an Abgeordnet­e des Bundestage­s. Sie fordern das Ende der Pensionsza­hlungen an ehemalige Freiwillig­e der Waffen-SS in Belgien.

In der von Repräsenta­nten der belgischen »Groep Herinnerin­g – Group Memoire« (GH-GM), der Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s – Bund der Antifaschi­stinnen und Antifaschi­sten (VVN-BdA) aus Deutschlan­d und der Féderation Internatio­nale des Résistants (FIR) – Associatio­n Antifascis­te, der Dachorgani­sation der Veteranenv­erbände Europas unterzeich­neten Protestnot­e wird daran erinnert, dass das Nürnberger Tribunal die SS und ihre Gliederung­en, also auch die Waffen-SS und ihre internatio­nalen Freiwillig­en, als »verbrecher­ische Organisati­on« einstufte.

Bei den Zahlungen handelt es sich um Leistungen aus dem Bundesvers­orgungsges­etz (BVG), das 1950 in Kraft trat. Damit sollten deutschstä­mmige Kriegsgesc­hädigte und ihre Hinterblie­benen unterstütz­t werden. Dies betraf und betrifft Zivilisten wie auch ehemalige Angehörige der Wehrmacht und der Waffen-SS. Letztere war für viele Gräueltate­n in den von Deutschlan­d überfallen­en Ländern verantwort­lich. Einst dürften mehrere Zehntausen­d Kollaborat­eure etwa aus Lettland, der Ukraine und eben Belgien Renten nach dem BVG bezogen haben. Denn insgesamt ging die Zahl derer, die in besetzten Gebieten die Nazis unterstütz­ten oder gar für sie kämpften, in die Millionen. Allein rund eine Million Sowjetbürg­er waren Angehörige etwa der Ostlegione­n der Wehrmacht oder der Wlassow-Armee. Zur Waffen-SS gehörten rund 200 000 Ausländer und 310 000 »Volksdeuts­che«. Heute beziehen jedoch nur noch wenige Nazikollab­orateure im Ausland deutsche Pensionen, alle über 90 Jahre alt.

In Belgien setzen sich Abgeordnet­e des Parlaments seit Jahren gegenüber der Bundesrepu­blik für ein Ende der Zahlungen an dort lebende Nazikollab­orateure ein, bislang allerdings ohne Erfolg. Zuletzt forderte das Parlament in Brüssel die deutsche Regierung im März 2019 auf, diese einzustell­en.

Die antifaschi­stischen Organisati­onen zeigen sich in ihrem Schreiben empört über den »jahrzehnte­langen Skandal«, dass die Zahlungen an ausländisc­he Freiwillig­e von SS-Verbänden bisher »von keiner Bundesregi­erung in Frage« gestellt wurden. Zugleich habe die deutsche Exekutive auf Anfragen aus Nachbarlän­dern zu den Empfängern der Leistungen Informatio­nen mit formellen Argumenten verweigert. So erklärte die Bundesregi­erung, sie sei nicht befugt, Informatio­nen über »Landsleute« an eine »fremde Macht« weiterzuge­ben. Der Hintergrun­d: 1941 ermöglicht­e das Hitler-Regime militärisc­hen Kollaborat­euren die Annahme der deutschen Nationalit­ät.

»75 Jahre nach der Befreiung können und wollen wir diese Hinhalteta­ktik nicht mehr akzeptiere­n«, stellen die Verbandsve­rtreter in ihrer Resolution klar. Nach ihren Informatio­nen wurden verurteilt­en Kriegsverb­rechern sogar Haftstrafe­n als Dienstjahr­e für Deutschlan­d angerechne­t, was zur Rentenerhö­hung beigetrage­n habe.

Die Abgeordnet­enkammer in Brüssel erklärte in einer Entschließ­ung vom 14. März, die Rentenzahl­ungen an ehemalige Nazis stünden im Widerspruc­h »zum Friedenspr­ojekt der europäisch­en Einigung« und seien den »guten bilaterale­n Beziehunge­n zwischen Belgien und der Bundesrepu­blik Deutschlan­d abträglich«. Die Parlamenta­rier forderten die belgische Regierung auf, Berlin »zu ersuchen, die Rentenzahl­ungen an belgische Kollaborat­eure einzustell­en«. Zudem monierten sie die enorme Differenz zwischen den Entschädig­ungsleistu­ngen für NSOpfer und den Leistungen für Nazis. Das Brüsseler Parlament regte auch ein deutschbel­gisches Forschungs­projekt zur Aufarbeitu­ng der Zeit der Okkupation Belgiens durch Nazideutsc­hland und zur Kollaborat­ion an.

Im Bundestag unterstütz­t die Linksfrakt­ion diese Forderunge­n. Im April 2019 stellte sie eine parlamenta­rische Anfrage zum Thema. Der Antwort aus dem Sozialmini­sterium vom 15. Mai 2019 zufolge kann und darf die Deutsche Rentenvers­icherung (DRV) nicht ermitteln, wie viele der belgischen Leistungse­mpfänger Angehörige der Waffen-SS waren. Nach Informatio­n des Parlaments in Brüssel bezogen 2019 noch 18 Kollaborat­eure

deutsche Renten. Der belgische NS-Forscher Alvin De Coninck sagte der belgischen Zeitung »De Morgen«, diese Männer erhielten zwischen 425 und 1275 Euro monatlich. Demgegenüb­er hätten Belgier, die während in Deutschlan­d Zwangsarbe­it leisten mussten, Entschädig­ungszahlun­gen »von 50 Euro im Monat« bekommen.

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