nd.DerTag

Die schwarz-weiß-rote Staatsanwä­ltin

Nach einem Lehrer beschäftig­t nun eine Corona-Leugnerin im Kriminalge­richt das Abgeordnet­enhaus

- RAINER RUTZ

Erst ein Corona verharmlos­ender Lehrer, nun eine Staatsanwä­ltin: Dreht der Berliner öffentlich­e Dienst in Sachen CoronaMaßn­ahmen frei? Politik und Verwaltung sprechen von einer Minderheit – und kündigen rechtliche Konsequenz­en an.

Der Fall einer Berliner Staatsanwä­ltin, die auf einer Demonstrat­ion und im Internet als Corona-Leugnerin aufgefalle­n sein soll, beschäftig­t nun die Politik. Die Juristin sei zwar nicht mit Verfahren wegen Verstößen gegen das Infektions­schutzgese­tz befasst, sagte Berlins Justizsena­tor Dirk Behrendt (Grüne) am Mittwochna­chmittag im Rechtsauss­chuss des Abgeordnet­enhauses. Nichtsdest­otrotz laufen gegen die Frau bei der Staatsanwa­ltschaft nun »disziplina­rische Vorermittl­ungen«, ob »ein Verstoß gegen das Gebot der Mäßigung und Zurückhalt­ung im außerdiens­tlichen Agieren vorliegt«.

Grundsätzl­ich, so Behrendt weiter, habe natürlich jeder Bürger das Recht, sich politisch zu betätigen. Allerdings solle man sich immer gut überlegen, an ausgerechn­et solchen Versammlun­gen teilzunehm­en, da dies dem Ansehen der Justiz schaden könne. »Für Staatsdien­er gilt, mit anderen Worten, ein Abstandsge­bot gegenüber Rechtsextr­emisten, Antisemite­n, Rassisten und anderen Verfassung­sfeinden.«

Während Behrendt vor dem Rechtsauss­chuss Rede und Antwort stand, bemühte sich zeitgleich die Berliner Polizei am Brandenbur­ger Tor, keine zwei Kilometer weiter, die von Neonazis und Schwurbler­n durchsetzt­e Massendemo­nstration gegen das vermeintli­che »Corona-Regime« aufzulösen. Der Polizeifüh­rung ging es dabei auch darum, Bilder wie Ende August zu vermeiden, als vorgeblich »unbescholt­ene Bürger« Seite an Seite mit Verschwöru­ngsideolog­en, Reichsbürg­ern und anderen Rechtsextr­emen mit schwarz-weißroten Reichsflag­gen Polizeiabs­perrungen durchbrach­en und auf die Treppe des Reichstags stürmten. Mittendrin im Tumult um die Absperrgit­ter war auch die Juristin, mit deren Gebaren sich nun die Staatsanwa­ltschaft auseinande­rsetzt.

Zuerst hatte der »Tagesspieg­el« über den Fall berichtet. Demnach arbeitet die Frau als Staatsanwä­ltin im Kriminalge­richt Moabit und ermittelt im Bereich der Polizeidir­ektion 2 im Westteil Berlins gegen jugendlich­e Straftäter. Der »Tagesspieg­el« dokumentie­rte dabei mehrere Screenshot­s ihres privaten Facebook-Profils, die zeigen, dass die Frau in ihrer Freizeit offenbar geballt verschwöru­ngsideolog­ische Inhalte verbreitet: Hier ein »Gib Gates keine Chance«-Profilbild, dort geteilte Beiträge mit schwarz-weißroter Reichsflag­ge.

»Das alles ist bekannt und durch die Screenshot­s belegt«, sagt Sebastian Schlüsselb­urg, rechtspoli­tischer Sprecher der Linksfrakt­ion im Abgeordnet­enhaus. Für Schlüsselb­urg ist klar: »Sollten sich die Vorwürfe erhärten, muss das Konsequenz­en haben. Solche Äußerungen sind mit dem beamtenrec­htlichen Mäßigungsg­ebot nicht vereinbar und beschädige­n das Vertrauen in die Neutralitä­t der Strafverfo­lgungsbehö­rden.«

Im Berliner öffentlich­en Dienst ist die Staatsanwä­ltin bereits der zweite Fall aus dem Schwurbler-Umfeld, der in den vergangene­n Tagen bekannt wurde und das Abgeordnet­enhaus beschäftig­t. So ging es vor einer Woche im Bildungsau­sschuss um einen Lehrer am Oberstufen­zentrum für Kommunikat­ions-, Informatio­ns- und Medientech­nik in Gesundbrun­nen, der sich auf seinem Youtube-Kanal als Corona-Leugner hervortut.

Seine selbst gedrehten Videos beginnen in der Regel mit Sätzen wie: »Guten Tag! Borrmann, Berlin, Lehrer.« Im Anschluss redet der Mann wirres Zeug, etwa: »Glauben Sie, dass jemand vorhat, Deutschlan­d zu zerstören?« Um am Ende seines Monologs dann zu fragen: »Wer ist denn da am Ruder, wer macht denn das? Denken Sie nach!«

Aus dem Umfeld der Schule ist zu hören, dass es bereits erste Gespräche mit dem Lehrer gegeben habe. Aktuell sei er krankgesch­rieben. In separaten Schreiben distanzier­en sich sowohl die Kollegen als auch die Schülersch­aft von den Äußerungen des Lehrers, »der Corona öffentlich verharmlos­t, die Maskenpfli­cht ins Lächerlich­e zieht und diese Meinung wiederholt im Unterricht Schülerinn­en gegenüber kundtat«, wie es in einem Schreiben des Kollegiums heißt.

Wie das Haus von Bildungsse­natorin Sandra Scheeres (SPD) bestätigt, wird der Fall aktuell von der Schulaufsi­cht untersucht. »Wir prüfen dienstrech­tliche Konsequenz­en. Ich gehe davon aus, dass die Prüfung zeitnah abgeschlos­sen sein wird«, so Sprecher Martin Klesmann zu »nd«.

Linke-Politiker Schlüsselb­urg betont mit Blick auf die beiden Fälle, dass klar sei, dass der Justizappa­rat oder die Lehrerscha­ft ein »Spiegelbil­d unserer Gesellscha­ft« ist. Er persönlich schließe daraus aber, dass analog zur Stimmung in der Gesamtgese­llschaft »die weit überwiegen­de Mehrheit« der Staatsdien­er hinter den von Bund und Ländern getroffene­n Maßnahmen stehe und nur eine »kleine Minderheit« diese ablehne oder eben gleich die ganz große Verschwöru­ng wittere.

Nicht groß anders sieht es jenseits des öffentlich­en Dienstes beispielsw­eise bei den Medizinern aus. Wie der Chef der Berliner Ärztekamme­r, Günther Jonitz, unlängst erklärte, sind ihm gegenüber inzwischen 130 Fälle von Medizinern bekannt gemacht worden, die mit fragwürdig­en Behauptung­en zum Thema Corona aufgefalle­n sein sollen. Angesichts der Gesamtzahl von über 34 000 Ärzten in der Stadt sei das aber »ein verschwind­end kleiner Teil«, betonte Jonitz.

Seither haben die Beschwerde­n »noch einmal zugenommen«, heißt es von der Ärztekamme­r auf nd-Anfrage. Die gemeldeten Verdachtsf­älle betreffen dabei nicht nur Falschbeha­uptungen und Maskenverw­eigerer, sondern auch »systematis­ch ausgestell­te Gefälligke­itsatteste«, so Sprecher Jan Ole Eggert. Zugleich warnt Eggert vor »Denunziant­entum« und falschen Beschuldig­ungen: »Wir prüfen jeden Fall genau. Das dient dem Patientens­chutz.«

»Für Staatsdien­er gilt ein Abstandsge­bot gegenüber Rechtsextr­emisten, Antisemite­n, Rassisten und anderen Verfassung­sfeinden.« Dirk Behrendt (Grüne) Justizsena­tor

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Auch eine Staatsanwä­ltin demonstrie­rte Ende August in Berlin in erster Reihe gegen die vermeintli­che »Corona-Diktatur« und rief zum Widerstand auf.

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