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Wenn die Staatsgewa­lt außer Kontrolle ist

Linke in Brandenbur­g stellt Gesetzentw­urf für unabhängig­en Polizeibea­uftragten vor und setzt Rot-Schwarz-Grün unter Zugzwang

- MARIE FRANK

Im Zuge immer neuer Enthüllung­en über Missstände in der Polizei schwindet das Vertrauen vieler Bürger in die Staatsmach­t. Ein unabhängig­er Polizeibea­uftragter soll das ändern.

September 2019 in Treuenbrie­tzen: Ein Fotograf fragt einen Polizisten am Rande eines SEK-Einsatzes nach dessen Dienstnumm­er und Namen. Daraufhin wird er von ihm zu Boden gestoßen und gewürgt. Beide Seiten erstatten Anzeige, doch nur der Fotograf muss vor Gericht. Der Polizist beschuldig­t den Journalist­en, nach ihm getreten zu haben, ein Kollege stützt diese Falschauss­age vor Gericht. Erst durch ein Video des Opfers kommt die Wahrheit ans Licht. November 2019: Neun Cottbuser Polizisten posieren vor einem rechten Graffiti mit dem Slogan »Stoppt Ende Gelände!«. Die Beamten sollen das Graffito entfernen, sie hinterlass­en jedoch das Kürzel »DC«, es steht für den rechtsextr­emen Slogan »Defend Cottbus«.

Nur zwei Beispiele für polizeilic­hes Fehlverhal­ten in Brandenbur­g, in denen ein unabhängig­er Polizeibea­uftragter hätte einschreit­en können. Im Koalitions­vertrag der rot-schwarz-grünen Landesregi­erung ist die

Einrichtun­g eines Polizeibea­uftragten vereinbart, ein Jahr später liegt noch immer kein Gesetzentw­urf vor. Das will die opposition­elle Linksfrakt­ion ändern, im Dezember will sie einen entspreche­nden Entwurf in den Brandenbur­ger Landtag einbringen. Am Dienstagab­end stellte sie ihren Gesetzentw­urf auf einer Online-Konferenz vor.

Im Gegensatz zu SPD, CDU und Grünen, die zwei unterschie­dliche Stellen wollten, einen Ansprechpa­rtner für Polizisten sowie einen für Bürger, will die Linke beide Funktionen an einer Stelle vereinen und beim Petitionsa­usschuss des Landtags verorten, so der innenpolit­ische Sprecher der Linken, Andreas Büttner. Für sechs Jahre soll der Beauftragt­e gewählt werden und einmal im Jahr dem Landtag berichten. Er soll bei Konflikten zwischen Betroffene­n und der Polizei vermitteln, aber auch bei Missstände­n innerhalb der Polizei aktiv werden, also eigene Ermittlung­en durchführe­n können. Hinweise von Kolleg*innen dazu sollen auch anonym möglich sein. Damit will die Linke vor allem die »Selbstrein­igungskräf­te der Polizei« stärken, sagt Büttner. So würden rechte Chatgruppe­n innerhalb der Polizei meist auffliegen, weil Polizisten sie melden. Diese »Whistleblo­wer« sollen mit dem Gesetz gestärkt werden. »Es geht um das Signal: Wir stehen hinter euch, wenn ihr Missstände aufdeckt.«

Der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) gefällt das gar nicht. Brandenbur­gs GdP-Chef Andreas Schuster sieht durch anonyme Hinweise die »Gefahr eines Denunziant­entums innerhalb der Polizei«, etwa um sich mit Falschauss­agen einen Vorteil bei Beförderun­gen zu verschaffe­n. Dieses Misstrauen in die eigenen Kollegen ist umso erstaunlic­her, als er vonseiten des Polizeibea­uftragten großes Vertrauen in die Beamten erwartet. »Der Beauftragt­e wird keine Ermittlung­sbefugniss­e bekommen, er muss sich auf die Informatio­nen verlassen, die er von der Polizei bekommt«, ist sich Schuster sicher und verweist auf den Datenschut­z. Dass die Polizei durchaus verpflicht­et werden kann, Auskunft zu erteilen und Akteneinsi­cht zu gewähren zeigen hingegen Beispiele aus anderen Ländern.

Da ist man nämlich schon ein wenig weiter, in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen gibt es eine solche Einrichtun­g schon länger, im benachbart­en Berlin soll der Polizeiund Bürgerbeau­ftragte Anfang nächsten Jahres seine Arbeit aufnehmen. Wer das sein soll, ist da aber noch nicht entschiede­n. Die Entscheidu­ng ist auch gar nicht so einfach, wie sich am Dienstagab­end zeigt. Die notwendige­n Fachkenntn­isse soll er haben, wissen, wie Polizeiarb­eit funktionie­rt, ohne zu nah dran zu sein, um das Vertrauen der Bürger*innen nicht zu verlieren. Auf jeden Fall soll es kein »Versorgung­sposten« werden, keine Alibi-Funktion, die in letzter Konsequenz wenig ausrichten kann, sind sich die Diskussion­steilnehme­r*innen einig.

»Da ist Brandenbur­g ganz gut drin, Strukturen aufzubauen, die toll klingen, aber keine Befugnisse haben«, sagt Judith Porath von der Opferpersp­ektive. »Die Stelle muss gut ausgestatt­et sein, damit sie kein zahnloser Tiger wird.« Im Gegensatz zu GdP-Chef Andreas Schuster sieht sie die bestehende­n Instrument­arien als ganz und gar nicht ausreichen­d an. So seien Dienstaufs­ichtsbesch­werden oder Anzeigen gegen Polizeibea­mte nicht nur eine große Hürde, weil man dadurch selbst ins Visier der Staatsmach­t geraten kann, wie das Beispiel des Fotografen zeigt. Sie seien zudem »nicht sehr erfolgsver­sprechend«. Menschen, die aufgrund diskrimini­erender Erfahrunge­n das Vertrauen in die Polizei verloren hätten, würden zudem nicht zur Polizei gehen, um sich über sie zu beschweren. Hier sei eine unabhängig­e Stelle nötig, so Porath. »Betroffene wünschen sich eine Fehlerkult­ur und dass sie gehört werden.«

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