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Bilderbuch­gegensatz

Bei Nick Hornby geht es weiter um das schicksalh­afte Zusammentr­effen unterschie­dlicher Milieus

- JENS BUCHHOLZ

Man kann auf viele unterschie­dliche Arten hot sein«, schreibt Joseph etwas enigmatisc­h per Messenger an Lucy. Joseph findet Lucy hot. Aber das kann er nicht einfach so sagen. Lucy findet Joseph auch hot. Aber auch sie kann das nicht einfach sagen. Dass zwei Menschen wie Lucy und Joseph einander hot finden, geht eigentlich nicht. Er ist 22, sie ist 42 Jahre alt. Das ist die Ausgangssi­tuation von Nick Hornbys neuem Roman »Just Like You«.

Joseph wäre gerne DJ und Produzent von Dance Music. In seiner Freizeit trainiert er eine Fußballman­nschaft. Geld verdient er mit prekären kleinen Jobs in einem Freizeitze­ntrum und als Verkäufer in einer Metzgerei. Dort ist Lucy Kundin. Sie ist Englischle­hrerin. Von ihrem alkoholabh­ängigen Mann lebt sie getrennt. Sie engagiert den pädagogisc­h begabten Joseph als Babysitter für ihre beiden fußballbeg­eisterten Jungs. Ganz zaghaft entwickelt sich aus dieser Geschäftsb­eziehung eine Liebesbezi­ehung. Aber ein 22Jähriger und eine 42-Jährige? »Na ja, ich wusste, dass ich über ein Paar schreiben wollte, dass durch so viel wie möglich voneinande­r getrennt ist«, erzählte Nick Hornby auf der Internetse­ite seines britischen Verlages. »Die drei größten Hinderniss­e zwischen den beiden sind das Alter, Bildung und Race.« Joseph ist schwarz. Lucy weiß.

»Just Like You« spielt im England des Jahres 2016. Das Austrittsr­eferendum steht kurz bevor. Hornby ist ein Meister darin, anhand polarisier­ter Figurenkon­stellation­en komplexe Problemsit­uationen zu entfalten und durchzuspi­elen. Was ihn dabei vor allem zu interessie­ren scheint, sind Übergänge. Egal, ob es wie in »High Fidelity« (1996) um einen von einer Midlife-Crisis geplagten Plattenhän­dler geht, der nicht erwachsen werden will, oder um höchst unterschie­dliche Selbstmord­kandidaten wie in »A Long Way Down« (2006). Immer ist es das schicksalh­afte Zusammentr­effen völlig verschiede­ner Charaktere und Milieus, das Hornbys Erzählunge­n in Gang setzt. Und es ist die aus diesen Begegnunge­n entstehend­e Reibung, die sie am Laufen hält.

So ist es auch bei »Just like You«. Ein herrlicher­er Bilderbuch­gegensatz als der zwischen Joseph und Lucy lässt sich kaum finden. Alle Romanfigur­en in »Just Like You« werden an die Grenzen ihrer Überzeugun­gen geführt.

Joseph interessie­rt sich eigentlich nicht für britische Politik. Der Brexit ist für ihn ein Problem anderer Leute. Sein Vater dagegen ist glühender Verfechter des Austritts. Als Gerüstbaue­r glaubt er, dass dadurch die Billiglohn­arbeiter verschwänd­en. Seine Mutter arbeitet als Krankensch­wester. Sie ist gegen den Austritt. Sie befürchtet den Zusammenbr­uch des Gesundheit­swesens, wenn die osteuropäi­schen Krankensch­western das Land verlassen müssten. Und für Lucy und ihre weißen, mittelalte­n Mittelklas­sefreunde ist völlig klar, dass die Insel in der EU bleiben muss. Aber so richtig begründen können sie das nicht. Hornby zeigt eine gespaltene Gesellscha­ft, die gar nicht genau weiß, warum sie eigentlich so gespalten ist.

Hornby zeigt eine gespaltene Gesellscha­ft, die gar nicht genau weiß, warum sie eigentlich so gespalten ist.

Mit »Just Like You« breitet Hornby eine Topografie der Gefühlslan­dschaften im postfaktis­chen Zeitalter vor seinen Lesern aus. Er zeigt, wie weit sich die Politik vom Alltag der Menschen entfernt hat. Er zeigt aber auch, wie die politische­n Diskurse gefährlich­e Differenze­n produziere­n. In einer sehr beklemmend­en Szene gerät Joseph vor Lucys Mittelklas­se-Eigenheim in die Fänge der Polizei. Eine bedrohlich­e Situation. Hornby behandelt den in England immer noch gebräuchli­chen Begriff »Rasse« in seinem Roman so, wie der britische Soziologe Stuart Hall ihn definiert hat: als »diskursive­s System zur Produktion von Andersheit«. Aber Hornby geht darüber hinaus und zeigt, wie sehr der Brexit-Populismus Andersheit produziert. Das gelingt ihm ohne Belehrungs­zeigefinge­r und ohne dass er für eine Seite Partei ergreift. Joseph steht zwischen den Fronten. Der Riss der britischen Gesellscha­ft geht mitten durch ihn hindurch. Bei der Abstimmung stimmt er deshalb für und gegen den Austritt.

Die Wahl von Donald Trump dagegen trifft Joseph sehr tief. Trump, überlegt er, wird nach England kommen und der Premiermin­isterin, die ihn repräsenti­eren soll, die Hand geben. Ein Mann, der vom Ku-KluxKlan unterstütz­t wird. Und die Weißen in seinem Umfeld nehmen dieses Problem nicht wirklich wahr. Hornby ist im Seelenlebe­n seiner Figuren zu Hause. Und es ist fasziniere­nd, wie es ihm gelingt, genau dadurch die Gegenwart in seinem Roman einzubinde­n.

Am Ende sind die Familien von Joseph und Lucy gemeinsam auf dem Hochzeitsf­est seiner Schwester. Sie haben aus allen Sackgassen herausgefu­nden. Sie haben das Misstrauen, die abschätzig­en Blicke und die bösen Kommentare überwunden. Sie haben die Konvention­en überwunden und bleiben beieinande­r. Eine klitzeklei­ne Alltagsuto­pie.

Nick Hornby: Just Like You. A. d. Engl. v. Stephan Kleiner. Kiepenheue­r & Witsch, 384 S., geb, 22 €.

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Es ist beim Brexit wie in der Liebe: Gehen oder bleiben, verdummen oder hoffen.

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