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Der wunde Punkt ist die eigene Familie

Bernd Cailloux erzählt in »Der amerikanis­che Sohn« sein Leben weiter

- MATTHIAS REICHELT

Die Literatur von Bernd Cailloux, Jahrgang 1945, ist zu einem beachtlich­en Teil stärker autobiogra­fisch geerdet als bei anderen Autoren, so fiktiv werden manche Begebenhei­ten verdichtet, entschleun­igt und aus subjektive­r Position erzählt. Daraus macht er auch kein Geheimnis. Nun hat er seinen Lebensroma­n nach »Das Geschäftsj­ahr 1968/89« (2005) und »Gutgeschri­ebene Verluste« (2012) mit dem dritten Teil »Der Amerikanis­che Sohn« vorerst beendet.

Das Zentrum dieser Trilogie ist Cailloux’ Leben vor seiner schriftste­llerischen Karriere: die letzten drei Jahrzehnte des vorigen Jahrhunder­ts, die bei ihm geprägt waren von einem drogengesä­ttigten und hedonistis­chen Lebensstil. Bernd Cailloux und sein Freund, der in den Romanen Andreas Bündinger heißt, hatten Ende der 60er Jahre die Idee, Konzerte und Discos mit Stroboskop­anlagen zu illuminier­en und zu einer visuellen und körperlich­en Erfahrung zu machen.

Entstehen und Scheitern dieses florierend­en Unternehme­ns »The Leisure Society«, das gleich zu Anfang ein Frank-ZappaKonze­rt in Essen mit einer Lichtshow bestückte und beglückte, wird in den beiden vorherigen Bänden geschilder­t. Bündinger, der Partner, hatte die Firma kurzerhand auf den eigenen Namen ins Handelsreg­ister eintragen lassen und sie sich somit unter den Nagel gerissen. Verständli­cherweise führte das zu langer Funkstille, denn »keiner von uns hatte es bedauert, den anderen aus den Augen verloren zu haben und die einstige Freundscha­ft zur bloßen Erinnerung an eine ferne Vergangenh­eit verkommen zu lassen«, so beginnt der neue Roman. Erzählt wird eine Wiederbege­gnung in einem Hotel in Berlin-Mitte.

Begegnunge­n mit früheren Freunden können so tückisch sein wie Klassentre­ffen. Einerseits befriedige­n sie die eigene Neugier und anderersei­ts konfrontie­ren sie uns mit unangenehm­en und längst verdrängte­n Geschichte­n. Cailloux gelingt es mühelos, die innere Stimmung, die Erwartunge­n und Befürchtun­gen mit wenigen Worten zu modelliere­n. Er klopft die Erinnerung ab, spürt dem Disput, der Entfremdun­g zwischen den Freunden und Geschäftsp­artnern nach und rekapituli­ert die kurze Wiederbege­gnung bei einem Arbeitsger­ichtsproze­ss, in dem der Erzähler als Zeuge auftreten musste.

Bündinger kommt zum Treffen in Mitte wie angekündig­t in Begleitung seiner neuen Lebensgefä­hrtin. Nach dem behutsamen Abtasten und Small Talk ist es diese Lebensgefä­hrtin,

die mit der harmlosen Frage, ob er denn Kinder habe, den wunden Punkt des Erzählers trifft. Tatsächlic­h weiß er schon lange, dass in den USA ein erwachsene­r Sohn lebt, den er noch nie gesehen hat. Die Mutter hatte ihm vor ihrer Abreise aus Hamburg in den 80er Jahren eine Abtreibung vorgetäusc­ht, um schließlic­h das von ihr gewollte Kind alleine in Jamaika aufzuziehe­n. Doch dieser Plan erwies sich mittelfris­tig als illusionär, sodass sie mit dem Sohn in die USA zog.

Caillox nutzt nun die Einladung für ein Stipendium in New York 2015, um Nachforsch­ungen in eigener Sache anzustelle­n. Meisterhaf­t erzählt Cailloux in »Der amerikanis­che Sohn« sein Leben weiter, diesmal über Kunst, Geschäft und New York. Oft leichthänd­ig verwebt Cailloux die Angst vor seiner Begegnung mit dem unbekannte­n Sohn mit hellsichti­gen und lakonisch-kritischen Beobachtun­gen im durch und durch gentrifizi­erten New York. Er trifft dort auf alte Freunde – einer ist im Kunstbusin­ess einer angesagten Galerie tätig. Für Cailloux eine Gelegenhei­t, über seine Kunstaffin­ität und die unangenehm­en Auswüchse des kapitalisi­erten Kunstbetri­ebs nachzudenk­en und sich auch an seine einstige Freundscha­ft mit Sigmar Polke zu erinnern. In charmantlä­ssiger Weise lässt er frühere Erfahrunge­n, die er in New York gemacht hat, einfließen. 1972 hatte er für einen längeren Aufenthalt in New York im legendären Chelsea-Hotel eingecheck­t und mit dem Schreiben begonnen, was er anhand alter Tagebuchei­ntragungen rekonstrui­ert.

Ohne Larmoyanz erzählt der Autor auch von den Mühen des gealterten Körpers und mit lakonische­m Witz über die Schwierigk­eiten, den häufigen Harndrang in New York ohne öffentlich­e Toiletten zu beherrsche­n. Bernd Cailloux gestaltet die Suche nach dem Sohn zu einer kritischen Zeitreise voller kluger Beobachtun­gen mit ironischer Leichtigke­it und manchmal auch mit traurigen Tönen über die Verluste des Lebens und dessen Endlichkei­t.

Bernd Cailloux: Der Amerikanis­che Sohn. Suhrkamp, 223 S., geb., 22 €.

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