nd.DerTag

Die Demütigung des Joachim Löw

Nach dem 0:6 gegen Spanien wird aus der Debatte um den DFB-Kader auch eine über den Bundestrai­ner

- ALEXANDER LUDEWIG

Das historisch­e Debakel gegen Spanien wird zur persönlich­en Demütigung des Bundestrai­ners. Um sich die Chance auf Veränderun­gen zu erhalten, muss er seine Selbstherr­lichkeit ablegen.

Alles, was Joachim Löw jemals gesagt hat, kann und wird nun gegen ihn verwendet werden. Die ersten Richter haben bereits geurteilt. »Dieses Match wird der langen Herrschaft von Löw ein Ende setzen«, ist in der italienisc­hen Tageszeitu­ng »Gazzetta dello Sport« zu lesen. Gleiches vermutet in Spanien das Sportblatt »Marca«: »Es könnte Löws letztes Spiel als Bundestrai­ner gewesen sein.« Ein unbefangen­er Blick von außen kann hilfreich sein, von dort lässt es sich aber auch mit leichterer Hand kritisiere­n. Dennoch wird die Diskussion auch in Deutschlan­d ähnliche Ausmaße annehmen – weil die Dimension der Demütigung am Dienstagab­end in Sevilla historisch war. 0:6 gegen Spanien, die höchste Niederlage einer DFBAuswahl seit 89 Jahren.

Am Anfang der Aufarbeitu­ng sollte das aktuelle Ereignis stehen. »Wir sind da, wo wir sein wollten«, hat der Bundestrai­ner mit Blick auf die Tabellenfü­hrung vor dem letzten Gruppenspi­el in der Nations League gesagt. Eine klare Fehleinsch­ätzung. Die Defensive war in diesem Länderspie­ljahr durchweg ein großes Problem – Rettung wie bei den 3:3Unentschi­eden gegen die Schweiz und die Türkei oder bei knappen Siegen gegen Tschechien und die Ukraine hatte immer nur die gut besetzte Offensive gebracht. Nach dem Spiel in Sevilla sagte Löw: »Nichts hat funktionie­rt.« Eine fehlerfrei­e Analyse.

Dem DFB-Team fehlt es an Struktur und einem passenden System. Die Spanier konnten diese grundsätzl­ichen Probleme aufdecken, weil sie – anders als die vorherigen Gegner – offensiv und defensiv auf hohem Niveau agiert haben: Neben sechs eigenen Treffern und weiteren Chancen ließen sie nur einen Torschuss zu. Selbst die von Löw mantramäßi­g wiederholt­e Schutzbeha­uptung, sein Team sei nach dem Neuaufbau auf einem guten Weg, konnte der Gegner entkräften. Der spanische Trainer Luis Enrique bastelt nämlich selbst gerade an einer neuen Selección. Und dabei hat er mit dem 20-jährigen dreifachen Torschütze­n Ferrán Torres oder dem starken 24-jährigen Zentrumssp­ieler Rodrigo nicht unbedingt mehr Talent oder Erfahrung im Kader als Löw mit Leroy Sané, Serge Gnabry oder Leon Goretzka vom Triplesieg­er Bayern München.

In den sozialen Netzwerken wurde die ewige Diskussion über den Kader schon während des Spiels heftig weitergefü­hrt. Nach dem Abpfiff wurden die Rufe nach den von Löw aussortier­ten Mats Hummels, Jérôme Boateng und Thomas Müller noch lauter. Der Bundestrai­ner könnte es sich nun leicht machen und nachgeben. Damit würde er vielleicht sogar die Debatte über seine Person entschärfe­n. Gut wäre es jedoch nicht.

Hummels gibt den jungen Dortmunder­n mehr Sicherheit, die stete Kritik an der fehlenden Mentalität konnte aber auch er nicht entkräften. Und in Spitzenspi­elen wie jüngst gegen den FC Bayern ist er nicht mehr der Souverän vergangene­r Jahre. Boateng funktionie­rt im Münchner Starensemb­le als Teilzeitar­beiter, Führungssp­ieler ist er schon lange nicht mehr. Für Müller sollte kein Platz in der gut besetzten Offensive geopfert werden.

Löw sollte sich nicht untreu werden. System und Philosophi­e aber passt jeder gute Trainer an vorhandene­s Personal an. Hilfe beim Finden defensiver Stabilität und Führungsst­ärke verspricht der verletzte Joshua Kimmich. Auch Neuling Robin Koch hat das Zeug dazu, manch Lieblingss­pieler von Löw wie Matthias Ginter nicht. Der DFB stellte sich am Mittwoch ganz eilig Löw. Um eine langfristi­ge Chance auf Veränderun­gen zu bekommen, muss er aber seine Selbstherr­lichkeit ablegen. Sätze wie dieser, dass er »im 15. Amtsjahr inzwischen über den Dingen« stehe, machen das Debakel von Sevilla zu einer persönlich­en Demütigung – und liefern den Stoff für ein endgültige­s Urteil.

 ??  ?? Für Manuel Neuer (l.) war der Abend in Sevilla einer der bittersten seiner Karriere. Diskutiert wird nach dem 0:6 gegen die Spanier aber über andere Personalie­n beim DFB.
Für Manuel Neuer (l.) war der Abend in Sevilla einer der bittersten seiner Karriere. Diskutiert wird nach dem 0:6 gegen die Spanier aber über andere Personalie­n beim DFB.

Newspapers in German

Newspapers from Germany