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Klimakrise bedroht Kleinbauer­nfamilien

Mit Wiederauff­orstung und nachhaltig­er Landwirtsc­haft in eine bessere Zukunft in Vietnam

- Von Sarah Grieß, INKOTA

Duong Van Chuong erinnert sich noch gut an den tropischen Wirbelstur­m im Mai dieses Jahres: »Bei vier Häusern in unserem Dorf wurde das Dach weggefegt. Viele weitere wurden schwer beschädigt.« Mit einem Seufzer streicht er sich die Haare aus dem Gesicht. Sein Blick wandert hinüber zum nahen Akazienwal­d – oder zu dem, was noch davon übrig ist. Auch dort wütete der Taifun, mehr als 80 Hektar des Waldes sind komplett zerstört. Für die Menschen der vietnamesi­schen Gemeinde Tan Loi – rund 90 Kilometer nördlich der Hauptstadt Hanoi – ist das ein herber Verlust. Denn die meisten von ihnen bestreiten ihren Lebensunte­rhalt ausschließ­lich mit Land- und Forstwirts­chaft. Der Verkauf der schnell wachsenden Akazienhöl­zer stellt eine wichtige Einkommens­quelle dar.

Nicht nur der Sturm machte den Bewohner*innen von Tan Loi dieses Jahr zu schaffen. »2020 hatten wir mit vielen unüblichen Wetterphän­omenen zu kämpfen«, erzählt Quach Thi Huong, eine resolute Frau mittleren Alters. Ihre Nachbarin pflichtet ihr bei: »Als wir zu Jahresbegi­nn den Reis aussäen wollten, hat es gehagelt. Einen solchen Hagel habe ich seit Langem nicht mehr gesehen! Während der Blütezeit im März und April war es schließlic­h so kalt, dass der Boden gefror. Ein Großteil der Reisernte ging verloren.«

Doch es kam noch schlimmer: Von Juni bis August folgte eine extreme Dürrephase, die nicht nur Wassermang­el, sondern auch viele Schädlinge mit sich brachte. Vor allem die Teepflanze­n starben reihenweis­e ab. Erst als im Herbst der nächste Monsun über das Land hereinbrac­h, hat sich die Situation zwar nicht entspannt, entsprach aber wieder den Erwartunge­n.

So ist der menschenge­machte Klimawande­l, der für viele Menschen in Europa lange schwer greifbar schien, in Vietnam schon deutlich zu spüren. Regelmäßig listet der Globale Klima-Risiko-Index Vietnam als eines der zehn am stärksten vom Klimawande­l betroffene­n Länder weltweit – allerdings mit deutlichen regionalen Unterschie­den: In den nördlichen Gebieten Vietnams nehmen die jährlichen Regenfälle durchschni­ttlich ab und verursache­n Perioden der Dürre, wie dieses Jahr in der Gemeinde Tan Loi. Die südlichere­n Provinzen hingegen erleben tendenziel­l eine Zunahme an Niederschl­ägen, die zu Erdrutsche­n und Überflutun­gen führen.

Besondere Aufmerksam­keit verlangt der stetig ansteigend­e Meeresspie­gel, der vor allem die über 1500 Kilometer lange Küste Vietnams bedroht. So werden die Deltaregio­nen des Roten Flusses und des Mekongs bis zum Ende des Jahrhunder­ts fast vollständi­g im Meer versunken sein, sollte es tatsächlic­h zu einem Anstieg von einem Meter kommen, wie prognostiz­iert. Es wäre eine Katastroph­e unvorstell­baren Ausmaßes, im Zuge derer viele Millionen Menschen ihre Heimat verlieren würden.

Zumindest davor brauchen Chuong und Huong sich nicht zu fürchten: Die Gemeinde Tan Loi liegt hoch genug in den Bergen. Aber auch ohne eine drohende Überschwem­mung ist ihre Existenz bedroht. Denn die Kleinbauer­n und Kleinbäuer­innen sind in besonderem Maße von den klimatisch­en Bedingunge­n abhängig. Ein Jahr wie 2020 darf da nicht allzu oft kommen. »Die diesjährig­e Frühlingse­rnte ging verloren.« Duong Thi Ly schluckt und fährt dann fort: »Nur drei Säcke Reis haben wir geerntet. Gerade genug zum Essen. Wenn wir auch die nächste Ernte verlieren, wird meine Familie Hunger leiden.« Sie drückt ihre kleine Tochter fest an sich. Wie Ly geht es vielen im Ort.

Sinkt die landwirtsc­haftliche Produktivi­tät immer weiter, werden sich viele Kleinbauer­nfamilien alternativ­e Einkommens­quellen suchen müssen. Die Migrations­bewegungen in die Städte werden zunehmen, was insbesonde­re in den Metropolre­gionen Hanoi und HoChi-Minh-City neue Herausford­erungen mit sich bringt. Zudem droht eine ernstzuneh­mende Lebensmitt­elknapphei­t.

Derzeit zählt Vietnam noch als fünftgrößt­er Reisproduz­ent der Welt, mit einer kultiviert­en Fläche von 7570741

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Foto: DWC Hat wegen Wetterkapr­iolen 2020 nur drei Säcke Reis geerntet und fürchtet nun Hunger: Kleinbäuer­in Duong Thi Ly mit Tochter

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