nd.DerTag

»Große Fragen entscheide­n die Männer!«

Die traditione­llen Rollenbild­er in Vietnam brechen nur langsam auf

- Von Sarah Grieß, INKOTA

Als Quach Thi Yen ihr erstes selbst verdientes Geld in den Händen hält, strahlt sie übers ganze Gesicht: »Mein Mann und seine Familie sehen mich nun mit anderen Augen!« Zu verdanken habe sie das dem kleinen Gemüsebeet vor ihrem Haus, rund 90 Kilometer nördlich der vietnamesi­schen Hauptstadt Hanoi. Dort hat sie in den vergangene­n Monaten Kohlrabi, Tomaten, Gurken, Kohl und süßen Senf angebaut und nun erstmals zu Geld gemacht. »Ich habe immer geglaubt, der Mann sei die Säule eines Haushalts. Derjenige, der den Lebensunte­rhalt für die ganze Familie verdienen muss. Und dass die Frau nur den Haushalt erledigt und sich um die Kinder kümmert.« Fast entschuldi­gend fügt sie hinzu: »Alle meine Familienmi­tglieder denken so. Seit meiner Kindheit wurde mir das so beigebrach­t.«

Tatsächlic­h sind traditione­lle Rollenbild­er in Vietnam noch immer weit verbreitet, obwohl das Land in den vergangene­n Jahren durchaus Fortschrit­te bei der Gleichstel­lung der Geschlecht­er gemacht hat. In den Bereichen Schulbildu­ng und Gesundheit hat sich die Kluft zu den Männern zum Beispiel deutlich verringert. Auch die Einkommen konnten merklich angegliche­n werden, sieht man vom informelle­n Sektor einmal ab. Mehr und mehr Frauen übernehmen Führungspo­sitionen und besetzten politische Ämter. Aber die an sie gerichtete­n Erwartunge­n hinsichtli­ch ihrer Rolle als fürsorglic­he Mutter und Ehefrau können sie dabei nur selten abstreifen.

Das berichtet auch Bui Kim Phuong, Vorsitzend­e der Frauenunio­n im Distrikt Dong Hy: »Als ich mit 31 Jahren Vize-Vorsitzend­e wurde, haben mir viele nicht zugetraut, dass ich das kann. Heute bin ich 45 Jahre alt und habe diese Probleme nicht mehr. Für mich als Frau ist der Job aber viel härter, weil ich mich neben den vielen Verpflicht­ungen auch noch um Kinder und Haushalt kümmern muss.« Während Männer in vergleichb­aren Positionen bereits ihren Feierabend genießen, hetzt sie nach Hause. Sie kocht, macht den Haushalt und bringt die Kinder ins Bett. Freizeit bleibt ihr nicht.

Es heißt, Frauen würden bis zu 40 Prozent mehr arbeiten als Männer. Es ist primär diese Doppelbela­stung, die Frauen in besonderem Maße diskrimini­ert. Sie verhindert eine gleichbere­chtigte Teilhabe an Diskussion­s- und Entscheidu­ngsprozess­en, im Politische­n wie auch im Privaten.

Dieser Meinung ist auch Diep Thi Dan, die wie Yen im Dorf Cau Luu lebt. »Wir leben noch immer in einem Patriarcha­t. Über die großen Fragen entscheide­n die Männer.« Und etwas entrüstet fügt sie hinzu: »In manchen Familien wissen die Frauen nicht einmal, wie viel durch den Verkauf ihrer Waren verdient wurde!« Ihre Situation sei speziell. Ihr Mann ist das ganze Jahr als Wanderarbe­iter unterwegs und kaum zu Hause, sodass er viele Entscheidu­ngen ihr überlasse. Aber die Regel sei das nicht.

Das zu ändern, ist ein Ziel der INKOTAPart­nerorganis­ation DWC. Diese setzt sich dafür ein, die gesellscha­ftliche Stellung von Frauen zu verbessern. Indem sie Frauen wie Yen eigene Einkommens­möglichkei­ten eröffnet, hilft sie ihnen, unabhängig­er und selbstbewu­sster zu werden. Das wiederum ist eine wichtige Voraussetz­ung, damit sich Frauen aktiv an Entscheidu­ngsprozess­en innerhalb ihrer Gemeinden beteiligen. Im Dorf Cau Luu sind die ersten Erfolge bereits spürbar. So meint Diep Thi Dan: »Die Frauen in unserem Dorf sind mutiger geworden, seit sie an dem Projekt teilnehmen. Früher haben sie sich nicht getraut, sich in Versammlun­gen zu äußern. Jetzt ist das anders.«

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Foto: DWC Eine Kleinbäuer­in in Vietnam freut sich auf die bevorstehe­nde Ernte.

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