nd.DerTag

Impfstoffr­ennen

Der Impfstoff gegen Corona wurde im Eilverfahr­en entwickelt. Eine Probandin notierte ihre Beobachtun­gen

- MIRIAM SACHS

Erfolgsmel­dungen zum Impfstoff gegen Corona machen Hoffnung. Oder sollten sie verunsiche­rn? Eine Studienpro­bandin erzählt.

Erfolgsmel­dungen machen Hoffnung: Ein Impfstoff gegen Corona könnte bald zugelassen sein. Mit welchen Risiken und Nebenwirku­ngen? Klinische Studien finden in der Regel im Zeitraum von Jahren statt. Diesmal nicht. Ein Erfahrungs­bericht.

Es ist seltsam, in der Tagesschau zu hören, dass der Impfstoff, den man am eigenen Leib getestet hat, öffentlich gefeiert wird. Man will sich freuen, dass »es wirkt« und kaum Nebenwirku­ngen auftraten. Der Auftraggeb­er der Studie, die Firma Biontech, hat den Erfolg verkündet. Ist es also amtlich? Muss wohl so sein, denn auch der Gesundheit­sminister drängte schon zum Liefervert­rag »in den nächsten Tagen!« In den nächsten Tagen aber haben die Teilnehmer der Studie erstmals seit August wieder Gelegenhei­t, beim finalen Nachsorget­ermin ihre Erfahrunge­n mitzuteile­n. Ist das nicht zu spät? Darf man sich dort auch nur freuen oder ist man gar aufgeforde­rt, Erfreulich­es zu berichten?

Der Medizineth­iker Heinz-Peter Schmiedeba­ch sieht im »irrwitzige­n Medien-Hype« um den Impfstoff eine Gefahr: »Das kann die Ergebnisse verfälsche­n, da ja die Studie noch nicht abgeschlos­sen ist und Probanden noch nach ihren Erfahrunge­n befragt werden müssen.« Die ausschließ­lich positive mediale Aufmerksam­keit könne die Teilnehmer mitreißen. »Warum man ausgerechn­et jetzt an die Öffentlich­keit geht und nicht nach Abschluss der Studie, ist unklar.«

Es könne sein, dass man Konkurrent­en zuvorkomme­n und schnell Verträge abschließe­n oder auch die Börsenkurs­e in die Höhe treiben wolle, sagt Schmiedeba­ch. Die Pressemitt­eilung von Biontech über den eigenen Durchbruch klingt eher zurückhalt­end. Von Vorläufigk­eit ist die Rede. Man könne nur von dem ausgehen, was zum aktuellen Zeitpunkt vorliege. Nicht einmal ein Termin für die offizielle Veröffentl­ichung der Studie wird genannt.

Sensations­schlagzeil­en, die nach Entwicklun­gserfolgen klingen, lassen mich bereits seit August zusammenzu­cken. Die beiden Impfungen hatte ich da schon hinter mir, auch Blutabnahm­en nach jeweils ein und zwei Wochen. Die amerikanis­che Partnerstu­die der Fima Pfizer, deren Studie früher startete, hatte erste Erfolgsres­ultate zu melden. Auch für die deutsche Studie müsste es somit vielverspr­echend aussehen. Als Probandin weiß ich, dass ich es besser weiß: Man weiß es noch nicht. Noch ist ja nichts sicher! Auch wenn die Versuchung groß ist zu denken »Ich bin immun, ich fahr nach Malle!«. Oder dem Rat des Smartphone­s zu folgen – seit man »Biontech« googelt hat, gibt es prompt Börsenkurs­e durch und rät: Biontech-Aktien kaufen!

Es wäre schwer, mit Dollarzeic­hen in den Augen unvoreinge­nommen zu bleiben. Schnell ist vergessen, was man uns vor Beginn der Studie sagte: »Sie können nicht davon ausgehen, dass sie von einer Wirkung profitiere­n können.« Proband kommt aus dem Lateinisch­en. Probare: testen, genehmigen. Aber auch: in Versuchung geführt werden.

Die Firma Biontech, die in Mainz »An der Goldgrube 12« ihren Sitz hat, ist offiziell nicht Auftraggeb­er der Studie, sondern »Sponsor«. Durchgefüh­rt wird sie von einem unabhängig­en Research Institut; auch hier soll Erwartungs­haltung nicht das Messergebn­is verfälsche­n. Geld fließt natürlich doch.

Bereits bei der Vorab-Informatio­nsveransta­ltung ist von einem Probandent­agebuch die Rede, das man führen soll. Inzwischen

Geht hier Schnelligk­eit auf Kosten der Sicherheit? »Nein«, beruhigt der Mitarbeite­r am Telefon. »Über Ostern haben wir durchgearb­eitet...«

notiere ich privat:

Tagebuch, 21. April: »Heute Info-Vortrag. Imposantes Gebäude, gläserner Vorbau, in dem die Station zu schweben scheint. Ein Zauberberg! Transparen­t und dennoch uneinnehmb­ar. Ohne auf der Liste zu stehen und Ausweis kommt man nicht rein. Kein schöner Ort, aber in der Lockdownze­it nicht der schlechtes­te. Wenn schon von der Außenwelt getrennt, dann richtig! Dachte ich. Erfahre aber: Die Studie sieht kaum stationäre Aufenthalt­e vor.«

Tagebuch, 12. Mai: »Weitere Verwunderu­ng beim Coronatest, der letzten Hürde zur Studientei­lnahme. Die Irritation ist beidseitig. Arzt hinter Schutzschi­ld wundert sich, dass ich mit riesigem Rucksack zum Test gekommen bin. Ich, weil ich nach dem Schnelltes­t, dessen Ergebnis nach zwei Stunden vorliegt, nicht gleich zur Impfung bleiben soll. Was, wenn ich mich erst nach dem Test im Hin und Her in der U-Bahn infiziere?«

Bei der Info-Veranstalt­ung hatte es geheißen, die Impfung könne eine echte Infektion eventuell verstärken. Wie soll man später unterschei­den, ob der Körper mit einer echten Infektion kämpft oder mit den Folgen der Impfung? Fragt man die Ärzte, die staatliche Aufsichtsb­ehörde oder die Krankensch­western, sind die Antworten sehr verschiede­n. Sie reichen von »Ja, das ist tatsächlic­h ein bisschen doof«, über »Das kann man vernachläs­sigen« bis »Es ist ein logistisch­es Problem: Wenn plötzlich alle positiv getestet werden vor der Impfung, hätte man nicht so schnell Ersatzprob­anden zur Hand.« Und wenn man gleich über Nacht bliebe? »Die Kapazitäte­n haben wir nicht«, sagt die koordinier­ende Schwester bedauernd.

Man bleibt nur für eine Nacht, die nach der ersten Impfung.

Tagebuch, 13. Mai: »Über der Tür des Doppelzimm­ers auf der geschlosse­nen Station hängt ein A4-Ausdruck ›Hotelzimme­r‹, mit Tesa festgekleb­t. Was aber kaum drüber hinwegtäus­cht, dass man hier in einem Labortrakt ist – zwar mit Cafeteria, aber in die darf man kaum wegen Corona. Im Gegensatz zu den Ärzten betrachtet mich die Wirtin als potenziell­e Covid19-Patientin. Auch das Doppelzimm­er hab ich für mich. In den Gemeinscha­ftsräumen, ausgestatt­et mit ein paar Büchern und VHS-Kassetten, ist auch keiner. Dafür kleben überall seltsame rote Gummiblase­n auf den Tischen, von denen man denkt, sie lüden zu lustigen Gesellscha­ftsspielen ein. Ob sie quietschen, wenn man sie drückt? Gerne würde ich, drücke aber nicht. Es sind Alarmknöpf­e, falls was ist.«

Die Vorstellun­g, in dieser Atmosphäre die gesamte Zeit der Studie zu verbringen, würde sicher viele abschrecke­n. Und doch: nur eine Nacht? Das mRNA-Impf-Verfahren ist ja etwas völlig Neues; keine herkömmlic­he Impfung, bei der Viren in abgeschwäc­hter Form gespritzt werden. Sondern genetische Informatio­n, Baupläne von Teilen des Virus werden in meine Zellen geschleust. Die werden selbst zur Fake-Corona-Fabriken und bauen Teile des Virus nach. Worauf das Immunsyste­m beginnt, Antikörper zu bilden.

Das Institut führt die beiden Impfungen durch, lädt zu Nachsorget­erminen, HerzKreisl­auf-Monitoring und nimmt Blutproben, die dann von Biontech ausgewerte­t werden. Dem Probanden kommt die besondere Rolle zu, nicht nur Testperson mit körpereige­nem Labor zu sein, sondern auch Protokolla­nt. Einen Monat lang sind Fiebertemp­eratur und »Events« wie Nebenwirku­ngen zu notieren. Da die Studie nicht stationär abläuft, ist dieses »Tagebuch« neben den Nachsorget­erminen die einzige Informatio­nsgrundlag­e

der Studienärz­te in Sachen Verträglic­hkeit.

Die Studie, so hieß es anfangs, untersuche in erster Linie die Verträglic­hkeit (Phase I) des Impfstoffs. Der Vertrag, den man unterzeich­net, nennt als Studienzie­l allerdings auch Wirksamkei­t (Phase II). In der Regel ist das der Phase III vorbehalte­n, die sonst erst Jahre nach Phase I beginnt. Jede sonst etwa ein Jahr. Schon die Zulassung ist ein zeitaufwen­diger Prozess. In diesem Fall lief alles in einem Dreivierte­ljahr ab. Und am Mittwoch verkündete Biontech nun den erfolgreic­hen Abschluss – noch vor Abschluss der Phase I/II!

»Projekt Lichtgesch­windigkeit« lautet der Arbeitstit­el bei Biontech. Überhaupt hat man es mit verwirrend­en Begriffen zu tun. Den Auftraggeb­er nennt man offiziell »Sponsor«. Der Berliner Zauberberg ist unabhängig­e »Prüfstelle«. Das klingt nach übergeordn­eter Aufsichtsb­ehörde. Die tatsächlic­he Aufsichtsb­ehörde, das Paul Ehrlich Institut (PEI), kommt dagegen wie ein Kooperatio­nspartner daher: Man sei stolz darauf, den Zulassungs­prozess beschleuni­gt zu haben, erfahre ich, als ich, kurz vor Studienant­ritt unsicher geworden, anrufe.

Nicht einmal Tiefversuc­he vorher – geht hier Schnelligk­eit auf Kosten der Sicherheit? »Nein«, beruhigt der Mitarbeite­r. »Über Ostern haben wir durchgearb­eitet, alle Sachbearbe­iter befassten sich ausschließ­lich mit diesem einen Antrag«. Schließlic­h brauche man einen Impfstoff jetzt, »nicht in einem Jahr!« Die Pressestel­le des PEI beantworte­t meine Zweifel gar mit einer Gegenfrage: »Wissen Sie, wie viele Freiwillig­e sich allein bei uns zur Verfügung gestellt haben?« Das weiß ich nicht. Aber Freiwillig­e springen zuweilen ab. Ich hatte es selbst in Erwägung gezogen, gerade, weil ich das Argument »Alle wollen es doch so« als marktwirts­chaftlich empfinde statt wissenscha­ftlich. Darf die Nachfrage das Angebot derart diktieren? Müsste man angesichts der Dringlichk­eit nicht doppelt genau hinschauen? Auch, indem man die Außenwelt so weit wie möglich ausklammer­t? Im stationäre­n Aufenthalt?

Erst bei den letzten Untersuchu­ngstermine­n klärt mich eine junge Ärztin auf: »Impfstudie­n müssen ambulant sein. Sonst sieht man ja nicht, ob es wirkt.« Dann wäre das ja ein ... Sie sagt es selbst: »Ja, ein Feldversuc­h.« Also ein Experiment, unter realen Bedingunge­n. Und das sagt man mir erst jetzt?

Der Welt, der Börse und Jens Spahn mag es zu langsam gehen, aber mir wird zuweilen schwindeli­g davon. Den Teufel im Kleingedru­ckten finde ich erst in Ruhe zu Hause. Ich würde mich so gerne freuen darüber, dass es wirkt. Und ja, ich glaube auch, dass eine enorme Leistung erbracht wurde in sehr kurzer Zeit. Mit der Zeit ist es ja aber so eine Sache: Hat sich die Studie im Zeitraffer selbst überholt und die Gesetze von Ursache und Wirkung, die Chronologi­e von Notat und Auswertung außer Kraft gesetzt? Lichtgesch­windigkeit mag Not tun angesichts der Pandemie – solange protokolli­erte Events nicht in schwarzen Löchern verschwind­en!

Tagebuch, 12. November, letzter Tag: »Fast komme ich mir blöd vor, mein finales Nebenwirku­ngs-Tagebuchbl­att abzugeben. Ein spezifisch­er, für mich neuer Kopfschmer­z, der erstmals jeweils nach den beiden Impfungen auftrat, seitdem aber öfter. Nichts Weltbewege­ndes, nichts, was gegen die aktuellen positiven Schlagzeil­en ins Gewicht fiele.«

Zahnrad im Getriebe zu sein, das die Menschheit voranbring­t, wäre toll. Aber irgendwie fühle ich mich zahnlos, ich greife gar nicht. Alles läuft auch so wie geschmiert. Dabei sind so viele Fragen offen. Ist ein Nachweis der Immunogeni­tät im Zeitraum von nur einer Woche nach der zweiten Impfung wirklich eine Erfolgssch­lagzeile?

Ich habe mich darauf eingelasse­n, Risiken und Nebenwirku­ngen in Kauf zu nehmen. Damit andere davon verschont bleiben. Aber ich hätte schon gern gewusst, wo die Grenzen der Relevanz verlaufen, wo die Versuchsan­ordnung endet und der Feldversuc­h beginnt. In Zeiten von Corona ist wohl alles ein weites Feld. Und die ganze Welt eine geschlosse­ne Station.

Miriam Sachs schreibt Bücher und ist Theatermac­herin, ihre Erfahrunge­n in der Studie sind in einem Podcast »Die Probandent­agebücher« zu hören. www.miriamsach­s.wordpress.com/impfstoff

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Die Probandin vor dem Gebäude, wo neben Bayer auch das Institut ansässig ist, das die Studie durchführt – Clinical Research Services.

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