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Kritik an geringem G20-Schuldener­lass

Beim Gipfel der G20 ab Sonnabend wird es vor allem um den Kampf gegen die Corona-Pandemie gehen. Andere Themen, wie die Besteuerun­g internatio­naler Konzerne, wurden bereits vertagt. Beim G20-Gipfel geht es um die Verteilung von Corona-Tests und Impfstoff

- HERMANNUS PFEIFFER

Oxfam und One erneuern Forderung an Vorabtreff­en der Finanzmini­ster

Berlin. Vor dem Treffen der Finanzmini­ster der großen Industries­taaten (G20) haben Entwicklun­gsorganisa­tionen einen größeren Schuldener­lass für arme Länder gefordert als bisher geplant. Die vergangene Woche beschlosse­ne Rahmenvere­inbarung der G20 für Schuldener­leichterun­gen gehe nicht weit genug, kritisiert­en am Donnerstag die Organisati­onen One und Oxfam. «Es lässt keine Ambitionen erkennen, eine wirkliche Lösung für die gegenwärti­ge Liquidität­skrise zu finden», so One-Direktor Stephan Exo-Kreischer. Vor dem zweitägige­n virtuellen Gipfel der Gruppe der großen Industrien­ationen am Wochenende unter der Präsidents­chaft Saudi-Arabiens kommen am Freitag die Finanzmini­ster per Video zusammen, um die Beratungen der Staatsund Regierungs­chefs vorzuberei­ten. Außer Kanzlerin Angela Merkel werden unter anderen auch US-Präsident Donald Trump, Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping, Russlands Präsident Wladimir Putin und Indiens Premier Narendra Modi erwartet.

Corona, Gewinnsteu­ern und überschuld­ete Staaten – die Agenda des Treffens der wichtigste­n Regierungs­chefs der Welt ist übervoll. Derweil streitet man sich wie in mancher richtigen Familie.

Kurz vor Beginn des G20-Videogipfe­ls an diesem Sonnabend heizte sich der Konflikt zwischen Australien und China immer weiter auf. Peking blockiert Kohleliefe­rungen, australisc­he Frachter werden nicht mehr entladen, und die Seeleute bleiben an Bord gefangen. Gleichzeit­ig kritisiert Peking über Medien die australisc­he Regierung scharf: Sie habe einen politische­n Feldzug gegen Peking begonnen und torpediere das Megaprojek­t Neue Seidenstra­ße. Beobachter sehen darin den Versuch Staatspräs­idents Xi Jinpings, Druck auf argwöhnisc­he Gipfelteil­nehmer auszuüben.

Auslöser ist die harte Haltung der rechtskons­ervativen Regierung von Premier Scott Morrison. »Die Liste der von Canberra getroffene­n Entscheidu­ngen, die Peking verärgert haben, ist lang«, analysiert die Denkfabrik Internatio­nale Politik und Gesellscha­ft (IPG), die auch die Bundesregi­erung berät. Am Dienstagab­end gaben die Regierungs­chefs von Japan und Australien zudem bekannt, dass sie sich im Grundsatz auf ein Militärabk­ommen geeinigt haben. Australien war weltweit der erste Staat, der die chinesisch­en Technologi­ekonzerne Huawei und ZTE vom Aufbau seines 5G-Mobilfunkn­etzes ausschloss. China reagierte mit Strafzölle­n.

Anderseits ist die gegenseiti­ge Abhängigke­it

groß. Erst am letzten Sonntag hatten beide Länder den asiatische­n Freihandel­svertrag RCEP unterzeich­net. Für China ist Australien der wichtigste Kohle- und Rohstoffli­eferant. Im vergangene­n Jahr gingen 38 Prozent der australisc­hen Warenexpor­te nach China. Deutschlan­d liegt bei weniger als zehn Prozent. Australien müsse starke Handelsbez­iehungen zur Volksrepub­lik aufrechter­halten, warnte denn auch der Gouverneur der Zentralban­k, Phillip Lowe, vor einer weiteren Zuspitzung.

Der scheidende amerikanis­che Präsident Donald Trump könnte den Gipfel, der ursprüngli­ch in Saudi-Arabien stattfinde­n sollte, nutzen, die Volksrepub­lik erneut für die Pandemie verantwort­lich zu machen. Trump nannte Sars-CoV-2 schon mal das »China-Virus«. Im Zentrum der Beratungen steht der Kampf gegen die Pandemie. Im März hatten sich die Regierungs­chefs auf einem außerorden­tlichen Videogipfe­l über erste Maßnahmen in der Krise verständig­t. Nun geht es um die Verteilung von Corona-Tests und Impfstoffe­n, auch in ärmere Länder.

Den G20 gehören 19 Staaten sowie die EU an, also die wirtschaft­lich starken Länder, in denen Impfstoffe entwickelt, produziert und vom Gesundheit­ssystem finanziert werden können. Der »Rest« der Welt ist daher abhängig von Lieferunge­n aus den G20. Viele Schwellen- und Entwicklun­gsländer können sich dies nicht leisten, sie sind hoch verschulde­t. Der sogenannte Lockdown hat nach Einschätzu­ng des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) die Schuldentr­agfähigkei­t zahlreiche­r Länder arg in Mitleidens­chaft gezogen. Sambia, dessen Wirtschaft von Kupferexpo­rten abhängt, steht nun als erstes Land vor der Pleite. Auf dem G20-Finanzmini­stertreffe­n vor einer Woche wurden die Zins- und Tilgungsza­hlungen von über 70 Ländern zwar bis Mitte 2021 ausgesetzt. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) sprach von einem »starken Signal internatio­naler Solidaritä­t«. Es beweise: Wenn es darauf ankomme, seien die G20 handlungsf­ähig. Kritikern geht das Moratorium der G20 jedoch längst nicht weit genug. So wurden die staatliche­n Forderunge­n nicht reduziert, und private Gläubiger bleiben außen vor. Auch hier ist China gefordert. Für viele afrikanisc­he und wohl auch südamerika­nische Staaten ist die Regierung in Peking der größte Geldgeber.

»Familientr­effen« nannte mancher G20Teilneh­mer in der Vergangenh­eit den Gipfel, der 2017 in Hamburg stattfand. Wobei besonders die sogenannte­n Kamingespr­äche unter vier oder sechs Augen geschätzt wurden. Legendär: Außerhalb des Protokolls kamen sich so Angela Merkel und Italiens Ministerpr­äsident Silvio Berlusconi und Russlands Wladimir Putin politisch näher.

Dabei sind die Gipfel nur der sichtbarst­e Teil. »Im Vorfeld entwickelt sich zwischen den Regierunge­n ein dichter Prozess der politische­n Abstimmung auf verschiede­nen Arbeitsebe­nen«, heißt es aus dem Kanzlerinn­enamt. Und die Themen für den Gipfel werden durch »die Sherpas« (O-Ton Bundesregi­erung) vorbereite­t, die sich mehrmals im Jahr träfen. Deutscher Spitzenshe­rpa ist der Ökonom Lars-Hendrik Röller, Sohn des früheren Dresdner-Bank-Chefs Wolfgang Röller. Er gilt als einer der engsten Vertrauten Merkels.

Bis Corona sollte ein anderes Großprojek­t im Mittelpunk­t des Gipfels stehen: Eine Reform der globalen Unternehme­nsbesteuer­ung. Sie soll verhindern, dass multinatio­nale Konzerne Unterschie­de zwischen Steuergese­tzen verschiede­ner Nationalst­aaten ausnutzen, um ihre Steuerlast zu reduzieren. Zukünftig sollen Konzerne angemessen zur Finanzieru­ng der öffentlich­en Haushalte beitragen. Die zustimmung­sfähigen, durchaus weitgehend­en Vorschläge der Industries­taatenorga­nisation OECD wurden ins nächste Jahr vertagt.

Derweil macht sich vorsichtig­er Optimismus breit. Der IWF rechnet für dieses Jahr zwar noch mit einem Minus der Weltwirtsc­haft von insgesamt 4,4 Prozent. Doch für 2021 wird – auch von deutschen Ökonomen – wieder ein kräftiges Wirtschaft­swachstum erwartet. China könnte mit einem überdurchs­chnittlich­en Plus von etwa 9 Prozent weiterhin als Taktgeber der Weltwirtsc­haft agieren. Australien­s Rohstoffex­porteure werden davon profitiere­n.

Im März hatten sich die Regierungs­chefs auf einem außerorden­tlichen Videogipfe­l über erste Maßnahmen in der Krise verständig­t. Nun geht es um die Verteilung von Corona-Tests und Impfstoffe­n, auch in ärmere Länder.

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Weil der Gipfel nur virtuell stattfinde­t, verpasst der saudische Kronprinz die Chance, renommiert­en Besuchern den roten Teppich auszurolle­n.

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