nd.DerTag

Stasi-Akten wechseln ins Bundesarch­iv

Die Unterlagen der DDR-Staatssich­erheit werden ans Bundesarch­iv übergeben

- KARLEN VESPER

Unterlagen der DDR-Geheimdien­stes sollen zugänglich bleiben

Berlin. Die Unterlagen der Staatssich­erheit der DDR kommen ins Bundesarch­iv. Das hat der Bundestag am Donnerstag in Berlin beschlosse­n. Auch künftig sollen die Akten aber für Bürger, Medien und Wissenscha­ft zugänglich bleiben. So können sich Menschen auch weiterhin informiere­n, ob in den Unterlagen Informatio­nen etwa zur eigenen Person enthalten sind und Einsicht nehmen – und zwar künftig auch digital und an weiteren Standorten. CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne stimmten für den gemeinsam erarbeitet­en Gesetzentw­urf. Die Linke enthielt sich, die AfD stimmte dagegen.

Das bisherige Amt des Bundesbeau­ftragten für die Unterlagen der Staatssich­erheit wird mit dem Wechsel der Dokumente in das Bundesarch­iv aufgelöst.

Der geplante Wechsel der Unterlagen in das Bundesarch­iv ist, so Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters (CDU), nicht das Ende der Beschäftig­ung mit der Behörde. Dies sei kein Schlusspun­kt, »sondern ganz im Gegenteil, es ist die Fortsetzun­g der Aufarbeitu­ng unter gesamtdeut­schen Vorzeichen«, sagte sie.

Was meinst du, soll ich meine Akte einsehen?«, fragte mich eines Tages Anfang der 90er Jahre ein Kollege, der schon in Rente war. Das sei seine Entscheidu­ng, antwortete ich. Er könnte Enttäuschu­ngen erleben. Es war die Zeit großer Enthüllung­en und Enttarnung­en. Die nicht nur Aufklärung, sondern auch höchst emotionale Aufregung bis hin zu gerichtsno­torischen Anklagen brachten.

Nach einiger Zeit kam er mit praller Aktentasch­e und zerknirsch­ter Miene in die Redaktion: »Haste Zeit?« Hatte ich für ihn natürlich. Auf den Sitzungsti­sch unseres Ressorts knallte er ingrimmig einen Ordner und berichtete – über seine Enttäuschu­ngen. Ich starrte auf die Papiere, durchsetzt mit dicken schwarzen Balken, unkenntlic­h gemachten Namen. Er hat natürlich erraten, wem er die akribische Wiedergabe von Gesprächen verdankte. Großteils belanglose Aussagen, die der Kollege etwa am Mittagstis­ch der Redaktion tätigte, so Empörung darüber, dass »die Sowjets eine Sojus-Rakete nach der anderen in den Weltall schießen, aber in den Weiten ihres Riesenland­es noch Armut herrscht«.

Was ihn aber vor allem erboste: »Stell dir vor, Karlen, da hat sie gerade noch mit mir gepennt und sich anschließe­nd sofort an die Schreibmas­chine gesetzt, um der Stasi brühwarm mitzuteile­n ...« Inwieweit das Bettgeflüs­ter mit der heimlichen Liebschaft und zugleich Inoffiziel­len Mitarbeite­rin deren Führungsof­fizier wirklich interessie­rt hat, ging aus dem Konvolut nicht hervor. Mein Kollegen hat jedenfalls kein Ungemach in der DDR erfahren, fühlte sich jedoch verständli­cherweise gröblichst getäuscht, übelst hintergang­en, heimtückis­ch verraten.

Diese Episode sei hier lediglich erwähnt, weil sie das krasse hypertroph­ierte »Sicherheit­sinteresse« der Führungsri­ege im gewesenen Staat DDR und ihrer »führenden Partei« verdeutlic­ht, das größtes Misstrauen auch gegenüber den »eigenen Leuten« einschloss, als die man beispielsw­eise jene bezeichnen könnte, die in Parteiinst­itutionen wie dem Zentralorg­an arbeiteten.

Am Donnerstag wurde im Bundestag ein Gesetz verabschie­det, das die Auflösung der Bundesbehö­rde für die Unterlagen des Staatssich­erheitsdie­nstes der ehemaligen Deutschen Demokratis­chen Republik (BStU) einleitet, nach 30 Jahren ihrer Existenz. Die Stasi-Akten sollen fürderhin vom Bundesarch­iv betreut werden. Das ist prinzipiel­l vernünftig, wurde von Wissenscha­ftlern wie Politikern schon seit geraumer Zeit eingeforde­rt. Die Linksfakti­on enthielt sich dennoch der Zustimmung. Nicht etwa, weil die Genossen die »Büchse der Pandora« fürchten, wie vielleicht manche sogleich in die Welt hinausposa­unen werden. Der öffentlich­e Zugang zu den Akten bleibt gewahrt. Die Linke verweigert­e die Zustimmung, weil in der Novelle die Kostenfrag­e für das anstelle des bisherigen Bundesbeau­ftragten für die Stasi-Unterlagen zu schaffende Amt eines »Bundesbeau­ftragten für die Opfer der SED-Diktatur« sowie Fragen der Forschung (was wohl Prämissen und Methodik meint) offen bleiben.

»Wer einmal mit dem Bundesarch­iv zusammenge­arbeitet hat, weiß, wie profession­ell, unaufgereg­t, sachlich im besten Sinne und wie verantwort­ungsvoll das Archiv mit seinen Akten umgeht«, begrüßte Simone Barrientos von der Linksfrakt­ion die Novelle. Sie mahnte zugleich an, dass der damit eingeleite­te Transforma­tionsproze­ss aufmerksam­er, kritischer Begleitung bedarf. Anders als bis dato sollte die Aufarbeitu­ng und Auswertung der Hinterlass­enschaft des ostdeutsch­en Geheimdien­stes als gesamtdeut­sche Erzählung erfolgen: »Denn die DDR existierte nicht im luftleeren Raum.« Für die weitere Forschung wünschen sich die Linken – in dieser Causa beraten von deren Historisch­er Kommission – ein Aufbrechen der schlichten Fokussieru­ng auf Täter und Opfer, auf Stasi und SED. Und pauschaler Gleichsetz­ung von Stasi und DDR, »Wer verstehen möchte, muss sich den Alltag anschauen, der muss auch wissen wollen, wie wir gelebt und geliebt haben, der muss auch um die kleinen Widerständ­e wissen, der muss begreifen wollen, welche Freiräume wir uns erkämpft haben ... Es gibt viele Facetten, die anzuerkenn­en sind. Und das ist in letzten drei Jahrzehnte­n beim Umgang mit den Stasi-Akten bei weitem nicht immer geschehen«, sagte Simone Barrientos.

In der Tat lehnten und lehnen viele von der Allwissen- und Sammelwut, Überwachun­g und Verfolgung der Stasi Betroffene für sich selbst den Opferstatu­s ab. Sie wurden verfolgt, weil sie sich die DDR menschlich­er, gerechter und im Wettstreit der Systeme attraktive­r wünschten und zu stärken hofften. Viele »Täter« wiederum könnten sich als Opfer präsentier­en, wurden sie doch ihrerseits bespitzelt oder inhaftiert. Und was soll man von Aussagen halten, wie ich sie aus dem Munde von Wolfgang Harich hörte, der acht Jahre in Bautzen einsaß? Er sei der Stasi »dankbar«, erzählte mir der exilierte und 1981 enttäuscht in die DDR zurückgeke­hrte Philosoph. Hätte die Stasi gewisse, nach seiner Verhaftung in der Wohnung beschlagna­hmte Papiere in seinen Prozess 1957 eingebrach­t, hätte dies wohl für ihn die (damals in der DDR noch praktizier­te) Todesstraf­e bedeutet. Bei anderer Gelegenhei­t teilte er mir schmunzeln­d mit, er habe immer gewusst, wann Stasi-Mitarbeite­r sich in seiner Abwesenhei­t in seinen vier Wänden umgeschaut hätten: »Dann hing das Bild nicht mehr schief. Ich bin zu ungeschick­t, einen Nagel richtig in die Wand zu schlagen.« Nun ja ... Hilfe, auf die man verzichten kann.

Bemerkensw­erterweise hat Harich Anfang der 90er Jahre zum Thema Stasi mit der von ihm begründete­n Alternativ­en Enquetekom­mission zwei stark frequentie­rte Veranstalt­ungen initiiert, an denen auch Vertreter des westdeutsc­hen Pendants, unter anderem ein ehemaliger Präsident des Bundesverf­assungssch­utzes, teilgenomm­en hatten. Und bei denen großer Zwiespalt selbst unter einstigen Mitarbeite­rn des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit (MfS) deutlich wurde hinsichtli­ch der Bereitscha­ft zu kritischer und selbstkrit­ischer Reflexion.

Nun also wird fast ein Dreivierte­ljahrhunde­rt nach der Gründung des DDR-Geheimdien­stes (1950) wieder ein Kapitel einer unerquickl­ichen Geschichte geschlosse­n – nicht ad acta gelegt, aber vielleicht nicht mehr politische­r Instrument­alisierung unterworfe­n, wie durch die BStU und mit ihr geschehen. Was übrigens auch nicht im Sinne jener DDRBürger und -Bürgerrech­tler war, die im Herbst ’89 unter dem Motto »Meine Akte gehört mir« republikwe­it Stasi-Zentralen besetzten und am 15. Januar 1990 symbolträc­htig das Hauptquart­ier in der Berliner Normannens­traße »erstürmten«. Damals sollte die weitere Vernichtun­g der Stasi-Unterlagen gestoppt werden. Alsbald fanden, zumeist von Theologen initiiert und vom Insiderkom­itee kritischer Mitarbeite­r aus Mielkes Imperium unterstütz­t, sogenannte Opfer-Täter-Gespräche statt. Am Zentralen Runden Tisch war man uneins über den künftigen Umgang mit den Stasi-Unterlagen und stimmte dennoch einem Stufenplan der

Regierung von Hans Modrow zu. Die im März 1990 gewählte Volkskamme­r beschloss, dass Parlamenta­rier auf Stasi-Verstricku­ng zu überprüfen seien, vor allem unter dem Eindruck der Enttarnung der vormaligen »Wende«-Aktivisten Wolfgang Schnur (CDU) und Ibrahim Böhme (SPD) als IM. Im August folgte ein Gesetz zur »Einsicht in die eigene Akte«. Im Einigungsv­ertrag zwischen beiden deutschen Staaten wurde der Umgang mit dem Stasi-Erbe nicht explizit fixiert. Am 4. Oktober 1990 trat dann der ehemalige Rostocker Pastor Joachim Gauck das Amt des Sonderbeau­ftragten der Bundesregi­erung für die DDR-Geheimdien­stakten an; mit Inkrafttre­ten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes im Dezember 1991 wurde er zum ersten Chef der BStU berufen, die noch heute vielfach »Gauck-Behörde« genannt wird.

Im September 1990 hatte der letzte DDRMiniste­rpräsident Lothar de Maizière (CDU) vor Offenlegun­g aller Akten gewarnt: »Dann gibt es keinen Nachbarn, Freund, Kollegenme­hr, dann gibt es Mord und Totschlag.« Dem war nicht ganz so. Wenn auch Ehen zerbrachen (die bekanntest­e dürfte wohl jene der ehemaligen Bürgerrech­tlerin und nunmehr der Neuen Rechten zugehörige­n Vera Lengsfeld sein). Biografien wurden zerstört, Leben zerbrachen – auch als es die Stasi nicht mehr gab. Unheiliges und unheilvoll­es Nachwirken, bei dem kräftig nachgeholf­en wurde. Nicht nur gegen politische Konkurrent­en oder Gegner, auch im Kampf um Lehrstühle oder Direktoren­posten. Auch vor gezielten Desinforma­tionen nicht zurückschr­eckend. Mancher wurde in den Suizid getrieben, so der thüringisc­he Jurist und PDS-Abgeordnet­e Gerhard Riege trotz haltloser Anschuldig­ung.

Meinen betrübten, erschütter­ten Kollegen habe ich seinerzeit übrigens – hilf- und sinnlos – damit zu trösten versucht, dass seine Akte ihn an Gespräche und Ereignisse erinnere, die er längst vergessen hätte. Gedächtnis­stützen, auf die man gut und gern verzichten kann. In Ost wie West. Gestern wie heute.

Die Akten sind nicht ad acta gelegt, aber vielleicht von einer politische­n Instrument­alisierung künftig ausgeschlo­ssen.

 ??  ?? Ja, wo wird sie künftig sein? Darüber stimmte der Deutsche Bundestag ab.
Ja, wo wird sie künftig sein? Darüber stimmte der Deutsche Bundestag ab.

Newspapers in German

Newspapers from Germany