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Regieren mit Reformen und Gewalt

Im Schatten des G20-Gipfels arbeitet Saudi-Arabien daran, seine Vormachtst­ellung in der Region weiter auszubauen, gegebenenf­alls auch mit Atomwaffen

- PHILIP MALZAHN

Weil die Ölreserven abnehmen, will SaudiArabi­en bis 2030 unabhängig von den Einnahmen durch das schwarze Gold werden. Dafür will sich das Land ein anderes Image geben.

Ob auf dem G20-Gipfel oder in dessen Schatten, die Politik des saudischen Königshaus­es wird maßgeblich von einer Tatsache bestimmt: Die Erdölvorko­mmen gehen zur Neige. Und für ein Land, dessen gesamte geopolitis­che Machtposit­ion auf der globalen Abhängigke­it vom schwarzen Gold beruht, ist das eine düstere Aussicht. Noch ist es nicht so weit: Saudi-Arabien ist auch 2020 nach den USA der größte Erdölprodu­zent der Welt. Das Geschäft mit dem Öl machte 2019 etwa 40 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s aus, 90 Prozent der Exporteinn­ahmen und 87 Prozent des Staatshaus­halts.

Doch damit man in Zukunft auch weiter den Vorsitz bei wichtigen Ereignisse­n der globalen Elite wie dem diesjährig­en G20Gipfel einnehmen kann, tut das Königshaus alles, um Alternativ­en zum Erdöl zu finden.

Seit Januar 2015 ist der mächtigste Mann im Königreich Kronprinz und Verteidigu­ngsministe­r Mohammed Bin Salman. Unter seiner Führung begann ein neues Zeitalter mit Reformen und Gewalt. Ein Beispiel: Im Jahr 2018 erlaubte man unter großem Tamtam Frauen das Autofahren – als letztes Land der Welt. Nur ein paar Wochen davor hatte man jedoch sieben prominente Frauenrech­tlerinnen verhaften lassen, darunter Loujain alHathloul, die sich seit Oktober im Hungerstre­ik befindet.

Die gleiche Strategie von Schatten und Licht fährt man auch in der Außenpolit­ik. Während das Land sich unter Bin Salman dem eigentlich­en Erzfeind Israel immer weiter annähert, etwa bei der Unterstütz­ung des unter der Trump-Regierung eingeführt­en Nahostfrie­densplans zur Beendigung des Konflikts mit den Palästinen­sern, führt man seit 2015 einen brutalen Krieg im Nachbarlan­d Jemen, um den angeblich stetig wachsenden Einfluss Irans einzudämme­n.

Mohammed Bin Salman rief zudem das Projekt »Vision 2030« ins Leben, eine groß angelegte Strategie, um die saudische Wirtschaft bis zum Jahr 2030 zu diversifiz­ieren und so die Abhängigke­it vom Öl zu reduzieren. Dazu gehört eine Imagekampa­gne, um die Wahrnehmun­g des Landes weltweit zu verbessern und es damit als Tourismus-, aber auch als Wirtschaft­sstandort zu verkaufen. Im Dezember 2019 fand deshalb ein überdimens­ionales Technofest­ival in der Wüste statt; vergangene Woche gab es das erste internatio­nale Frauengolf­turnier.

Während man diese als »Whitewashi­ng« bezeichnet­en Versuche der Schönmaler­ei zwar angesichts der realpoliti­schen Situation von Frauen im Land als zynisch bezeichnen könnte, gibt es auch Vorstellun­gen im Zusammenha­ng mit »Vision 2030«, die regelrecht zerstöreri­sches Potenzial in sich bergen. Dazu gehört das neue Atomprogra­mm des Königreich­s. Atomare Energie soll als Alternativ­e zum Erdöl zukünftig einen Großteil der Stromverso­rgung ausmachen. Sechzehn Reaktoren will man insgesamt bauen, die ersten sollen 2021 ans Netz gehen, obwohl man eine Inspektion der Internatio­nalen Atomenergi­ebehörde bislang ablehnt. Doch nicht nur das: Saudi-Arabien erwägt auch ernsthaft, ein atomares Waffenprog­ramm ins Leben zu rufen. Mohammed Bin Salman hatte bereits 2018 in einem Interview mit dem US-amerikanis­chen Sender CBS von der Möglichkei­t gesprochen, zur Verteidigu­ng gegen den Iran Atomwaffen zu entwickeln. Erst diese Woche sagte Außenminis­ter Adel al-Jubeir der Nachrichte­nagentur dpa, Atomwaffen wären »eine Option« für das Land.

Für solch heikle Projekte braucht man den Rückhalt des Westens, der sich bei einer potenziell­en Bedrohung der eigenen Interessen mit aller Kraft gegen Atomprogra­mme anderer Länder wehrt, wie etwa im Fall Iran. Die enge Bindung Saudi-Arabiens an den Westen existiert bereits seit dem Beginn des 20. Jahrhunder­ts, das Königshaus genießt spätestens seit Entdeckung der Erdölvorko­mmen innen- sowie außenpolit­isch fast absolute Bewegungsf­reiheit. Doch durch die wachsende Notwendigk­eit, zukünftig wirtschaft­lich auch außerhalb der Ölbranche zu agieren, muss Saudi-Arabien seine Aggressivi­tät kaschieren, mit der es gegen Nachbarlän­dern wie Jemen, Iran oder Katar vorgeht. Letzteres boykottier­t man gemeinsam mit den Vereinigte­n Arabischen Emiraten seit 2017.

Ein neues Image ist auf jeden Fall nötig. Denn bislang war vor allem die Angst, Saudi-Arabien könne den Ölhahn wie in den 1970ern abdrehen, ein entscheide­nder Faktor dafür, dass die unzähligen Menschenre­chtsverlet­zungen des Landes toleriert wurden. Wenn diese Abhängigke­it endet, braucht Saudi-Arabien neue Argumente, um weiter als ebenbürtig­er Partner dazustehen, und nicht als Spielball ausländisc­her Interessen. Bislang sieht es so aus, als könnte Saudi-Arabien es schaffen, durch geschickte­s diplomatis­ches Taktieren auf der einen Seite und eine brutale Bekämpfung seiner Gegner auf der anderen, seine Position zu behaupten. Weder der Mord am Journalist­en Jamal Khashoggi 2018, der kommende Woche in Istanbul weiterverh­andelt wird, noch das Auslösen der derzeit größten humanitäre­n Krise der Welt im Jemen hindert die wirtschaft­sstärksten Länder der Welt daran, mit dem Königshaus zu kooperiere­n.

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