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Lübcke-Mörder »schuldfähi­g«

Gutachter sieht keine psychische Erkrankung bei Stephan Ernst

- JOHANNA TREBLIN

Der Prozess um den Mord am Kasseler Regierungs­präsidente­n verzögert sich. Der Senat hat aber schon deutlich gemacht, wie er urteilen will: Markus H. soll sich nur wegen Waffenbesi­tz verantwort­en.

Es wirkt wie ein Spiel auf Zeit – doch mit welchem Ziel? Am Donnerstag war der 31. Verhandlun­gstag im Prozess um den Mord am Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke. Ein psychiatri­scher Gutachter sollte über die Schuldfähi­gkeit von Stephan Ernst aussagen. Doch der Hauptangek­lagte erklärte sich wegen Kopfwehs als nicht vernehmung­sfähig. Nach einer Pause und einer medizinisc­hen Untersuchu­ng wurde die Verhandlun­g dann doch fortgesetz­t. Und der Sachverstä­ndige, Norbert Leygraf, erklärte Ernst für schuldfähi­g. Es lägen keine Hinweise für eine psychische Erkrankung wie eine manische Psychose oder hirnorgani­sche Schäden vor. Eine krankhafte Störung sei daher nicht anzunehmen. Ernst habe Lübcke auch nicht im Zustand einer Bewusstsei­nsstörung erschossen. Leygraf sah auch die Voraussetz­ungen für eine Sicherungs­verwahrung als erfüllt an. Ernst werde »mit überwiegen­der Wahrschein­lichkeit erneut Straftaten begehen«. Tatsächlic­h war Ernst schon einmal wegen eines versuchten Brandansch­lags und einer Messeratta­cke im Gefängnis.

Die Aussage von Leygraf sollte ganz am Ende des Prozesses liegen. Richter Thomas Sagebiel hatte Mitte Oktober das Urteil für den 1. Dezember angekündig­t. Der Termin ist aber nicht mehr zu halten: Auf Antrag von Ernsts Verteidigu­ng werden neue Zeugen vorgeladen, die in der kommenden Woche aussagen sollen.

Dabei hat der Senat längst deutlich gemacht, wie er urteilen möchte. In einem Beschluss des Bundesgeri­chtshofs ist das jetzt auch schriftlic­h festgehalt­en. Das am Mittwoch veröffentl­ichte Papier weist den Antrag der Bundesanwa­ltschaft ab, den Mitangekla­gten Markus H. wieder in Untersuchu­ngshaft zu nehmen. Die Bundesanwa­ltschaft sieht es weiterhin als erwiesen an, dass H. der psychische­n Beihilfe schuldig ist, weil er Stephan Ernst in seinem Tatvorhabe­n bestärkt habe. Die Richter teilen diese Ansicht nicht. Es sei nicht erwiesen, dass H. damit habe rechnen müssen, dass Ernst sich durch gemeinsame­s Schießtrai­ning und gemeinsame Teilnahme an Demonstrat­ionen darin bestärkt gefühlt habe, Lübcke zu töten. Offenbar will der Senat Ernst als Schützen verurteile­n, H. lediglich für unerlaubte­n Waffenbesi­tz.

Offen ist, wie der Senat im Falle des Mordversuc­hs an Ahmed I. entscheide­n wird. Ernst ist angeklagt, ihn im Januar 2016 mit einem Messer niedergest­ochen zu haben. Während Ernst drei Tatversion­en bezüglich des Mordes an Walter Lübcke geschilder­t hat, streitet er den Angriff auf I. ab. Ein Gutachter, der ein bei Ernst gefundenes Messer untersucht hatte, kam zu dem Schluss, dass die DNA-Spuren darauf zwar nicht eindeutig Ahmed I. zugeordnet werden können, mehrere Merkmale aber darauf hindeuten, dass sie von I. stammen.

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