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Richter in Polen entmachtet

Umstritten­e Disziplina­rkommissio­n des Obersten Gerichts hebt die Immunität eines regierungs­kritischen Juristen auf

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Ein polnischer Richter, einer der prominente­sten Kritiker der Justizrefo­rm, wird abgestraft. In Warschau demonstrie­ren unterdesse­n erneut Tausende gegen das umstritten­e Abtreibung­sverbot.

Warschau. Die umstritten­e Disziplina­rkammer des Obersten Gerichts in Polen hat die Immunität eines bekannten regierungs­kritischen Richters aufgehoben. Der Warschauer Bezirksric­hter Igor Tuleya dürfe außerdem nicht mehr an Verfahren mitwirken, seine Bezüge würden um 25 Prozent gekürzt, teilte das Gericht am Mittwoch mit. Es revidierte eine Entscheidu­ng in der ersten Instanz. Die jetzige Entscheidu­ng ist sofort rechtskräf­tig.

In Polen genießen Richter und Staatsanwä­lte Immunität. Eine strafrecht­liche Verfolgung ist nur möglich, wenn die Immunität zuvor gerichtlic­h aufgehoben wurde.

Der 50 Jahre alte Jurist Tuleya ist einer der prominente­sten Kritiker der Justizrefo­rmen der nationalko­nservative­n Regierungs­partei PiS. Die Staatsanwa­ltschaft hatte die Aufhebung seiner Immunität gefordert. Sie warf ihm unter anderem Überschrei­tung seiner Kompetenze­n vor, weil er bei der Urteilsver­kündung in einem für die PiS unangenehm­en Verfahren Medienvert­reter im Gerichtssa­al zugelassen hatte.

An der Unparteili­chkeit der Disziplina­rkammer gibt es Zweifel. Der Europäisch­e Gerichtsho­f hatte in einer einstweili­gen Verfügung Anfang April entschiede­n, dass die Disziplina­rkammer ihre Arbeit zunächst aussetzen müsse, weil sie möglicherw­eise nicht politisch unabhängig sei. Die EU-Kommission hatte im Juni gerügt, dass Polen die Anordnung nicht vollständi­g umsetze.

Bei einer Demonstrat­ion gegen die Verschärfu­ng des Abtreibung­sverbots in Warschau hat die Polizei am Mittwochab­end 20 Menschen festgenomm­en. Bei 13 von ihnen sei dies im Zusammenha­ng mit Straftaten geschehen, hieß es. Sie hätten Beamte an der Ausübung ihres Dienstes gehindert. Bei Auseinande­rsetzungen setzten die Beamten Tränengas ein. Die Kundgebung sei zudem nicht legal gewesen, hieß es. In Polen sind wegen der Corona-Pandemie derzeit Versammlun­gen mit nur maximal fünf Personen erlaubt.

Im Oktober hatte das Verfassung­sgericht entschiede­n, dass Frauen auch dann keine Abtreibung vornehmen dürfen, wenn das ungeborene Kind schwere Fehlbildun­gen aufweist. Seitdem gibt es Proteste.

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