nd.DerTag

Eine Aufforderu­ng zum Handeln

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Der Versuch, die Situation von vor der Coronakris­e wiederherz­ustellen, ist zum Scheitern verurteilt. Stattdesse­n sollten wir eine ökologisch-soziale Gemeinwirt­schaft entwickeln, meint Olaf Bandt.

Wie nahe läge es angesichts des Zustands unseres Planeten, einmal mehr festzuhalt­en, dass Klimakrise und Artensterb­en unaufhalts­am voranschre­iten. Wieder die Gefahren zu skizzieren, die damit für unsere Zukunft einhergehe­n, oder auf die enormen volkswirts­chaftliche­n Kosten hinzuweise­n, die auf uns als Weltgemein­schaft zurollen. Erneut zu beschreibe­n, wie der BUND und andere Umweltorga­nisationen über Jahrzehnte diese Informatio­nen kommunizie­rt haben und dass unsere Forderunge­n und Vorschläge von Politiker*innen weitestgeh­end ignoriert wurden. Die Folge ist, dass wir im Jahr 2020 global betrachtet kaum einen Schritt weitergeko­mmen sind. Viel schlimmer noch: Wir haben wertvolle Zeit verloren. Arten sind ausgerotte­t, Dörfer weggebagge­rt und Naturräume zerstört worden – oder drohen zerstört zu werden, wie aktuell der Dannenröde­r Wald.

Einmal mehr ließe sich an dieser Stelle die Rolle von Großkonzer­nen wie Exxon, Shell, Ford oder General Motors anprangern, die seit Jahrzenten von den immensen ökologisch­en Schäden ihrer Geschäftsm­odelle wissen und dennoch an ihnen festhalten. Beschreibe­n ließe sich, wie Exxon erst mit Umweltzers­törung Milliarden verdiente, um dann mit dem Geld massive Täuschungs­kampagnen zu finanziere­n, die Öffentlich­keit zu belügen und die politische­n Entscheidu­ngsträger*innen davon abzuhalten, Maßnahmen gegen den Klimawande­l einzuleite­n. Dieser Text könnte wieder einmal darlegen, wie Klimawande­l und Artenkrise, Pflegenots­tand und Krise des Gesundheit­ssystems, erodierend­e Böden, Kinderarmu­t und prekäre Arbeitsbed­ingungen ihre gemeinsame Wurzel in unserem nicht zukunftsfä­higen Wirtschaft­ssystem haben. Doch ein solcher Text wäre nur eine weitere Klage über die düstere Lage. Deshalb möchte ich Sie, liebe Leser*innen, an dieser Stelle einladen, aus verschiede­nen Perspektiv­en gemeinsam mutig weiterzude­nken.

Der BUND hat zuletzt am vergangene­n Wochenende auf seiner Bundesdele­giertenver­sammlung eine umfassende sozial-ökologisch­e Transforma­tion von Wirtschaft und Gesellscha­ft gefordert. Wir sind der festen Überzeugun­g, dass der Versuch, die Situation von vor der Coronakris­e wiederherz­ustellen, zum Scheitern verurteilt ist. Stattdesse­n wollen wir Ansätze des Wirtschaft­ens in den Mittelpunk­t stellen, bei denen Menschen zu Handelnden in eigener Sache werden, wo kreative Lösungen für ökologisch­e oder soziale Probleme entstehen und Solidaritä­t praktizier­t wird.

Wir kennen diese Lösungen schon im Kleinen: Nachbarsch­aftshilfe, Projekte wie die Erneuerbar­en Energien in Bürger*innenhand oder die solidarisc­he Landwirtsc­haft, außerdem im kooperativ­en Wirtschaft­en, als handlungsl­eitender Gedanke von Genossensc­haften, in Wohlfahrts­verbänden oder bei religiösen Einrichtun­gen als soziale Dienstleis­ter. Regionale, vielfältig­e und dezentrale Versorgung­sstrukture­n wie im Bereich der Energie- und Landwirtsc­haft sind nicht nur klima- und umweltfreu­ndlicher, sondern auch widerstand­sfähiger gegenüber Schocks wie Finanzkris­en, Naturkatas­trophen und letztlich Pandemien.

Mit der Ausrichtun­g auf eine ökologisch­soziale Gemeinwirt­schaft wollen wir ein Zusammenle­ben organisier­en, das auf dem Schutz von Klima, Biodiversi­tät, Boden, Wasser und Luft basiert und dass allen ein gutes Leben innerhalb der planetaren Grenzen ermöglicht. Als verbindlic­he Leitplanke­n dieses zukunftsfä­higen Wirtschaft­ens braucht es sowohl absolute Grenzen bei der Ressourcen­nutzung als auch einen verbindlic­hen Rechtsrahm­en für die Gesamtwirt­schaft. Für eine Wirtschaft, die demokratis­cher organisier­t ist und in der uns soziale Gerechtigk­eit als ethischer und moralische­r Grundwert leitet.

Ist dieser Vorschlag zu groß? Ist er unrealisti­sch? Auf den ersten Blick vielleicht. Doch ob wir handeln oder nicht: Uns stehen als Gesellscha­ft dramatisch­e Umbrüche bevor. Wir können sie innerhalb unseres demokratis­chen Systems organisier­en. Noch haben wir den Spielraum, sie zu gestalten – deshalb sollten wir das auch tun. Damit die Transforma­tion gelingt, müssen wir dieses Projekt gemeinsam angehen.

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FOTO: SIMONE M. NEUMANN Olaf Bandt ist Vorsitzend­er des Bundes für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND).

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