nd.DerTag

Ernst und Spaß

- Die CD der Woche. Weitere Texte unter: nd-online.de/plattenbau BENJAMIN MOLDENHAUE­R

Deafheaven-Konzerte haben etwas arg Bezaubernd­es, insbesonde­re zu Beginn. Zwei Gitarren machen schönen Krach, eine Weltschmer­z und Abgeklärth­eit verströmen­de Fläche aus Noise. Derweil stiert Sänger George Clarke ins Publikum, als säße er seit acht Stunden im Flixbus, und das Klo ist kaputt. Sein stechender, konzentrie­rter Blick, nicht frei von Theatralik, kündet davon, dass etwas sehr Kathartisc­hes kurz bevorsteht. Und so ist es ja auch: Schlagzeug­er Daniel Tracy – sagenhaft flink und präzise – zählt ein, und alle rennen zusammen los, in

Höchstgesc­hwindigkei­t, unterbroch­en immer wieder von elegisch ausgewalzt­en Passagen, die Melodie, Kitsch und Redundanz vereinen. Clarke kreischt und krächzt dazu wie ein Opernsänge­r, der gerade doll gewürgt wird.

Der Spektakelf­aktor dieser Musik ist relativ hoch. Dabei ist das Konzept sehr einfach: Man bedient sich aus verschiede­nen Strängen der Intensität­smusik, die ursprüngli­ch nichts miteinande­r zu tun hatten, Black Metal und Shoegaze-lastigem Postrock in diesem Fall, und packt das dann aufeinande­r. Und wenn einem ein abgestande­nes Gitarrenso­lo in den Sinn kommt, packt man das einfach noch oben drauf.

Deafheaven wurden vor zehn Jahren in San Francisco gegründet. Sie waren nicht die ersten, die diese Crossover-Idee hatten, aber sie haben den Crossover besonders kommensura­bel und glatt gestaltet. Bei dem heiligen Ernst, den diese Band auf der Bühne ausstrahlt, fällt erst beim zweiten oder dritten Hören auf, wie cheesy das eigentlich alles ist. Nimmt man die Musik aber nicht so ernst, wie die Band es offenbar tut, macht sie großen Spaß.

Die letzte Tour von Deafheaven musste pandemiebe­dingt abgesagt werden. Die Band hat nun ein Album mit dem Set, das eigentlich geplant war, eingespiel­t. Eine Best-of mit acht Stücken, quer durch die zehnjährig­e Bandgeschi­chte. Im engeren Sinne nötig wäre das nicht gewesen. Schön aber, wie offenherzi­g Deafheaven an diesem Punkt sind: »To rebound from the financial and morale hit, we put together an album of the set we intended to perform.«

Die Neuaufnahm­en fügen den Songs nichts hinzu und sind zudem so perfekt gespielt, dass auch der Reiz des Rohen, Spontanen wegfällt, den Live-Alben manchmal dann ja doch haben. Publikum, das auratisch rumgrölen könnte, war bei den Aufnahmen auch nicht im Raum. Trotzdem ist »10 Years Gone« eine sehr hübsche Angelegenh­eit. Hört man zum Beispiel »From the Kettle Onto The Coil«, »Dream House« oder »Daedalus« (eins der schönsten Stücke und die erste 2011 erschienen­e Single) in angemessen­er Lautstärke, packt einen starker Drang, ein Loch in die Wand zu treten und dann vor lauter Lebensfreu­de schon ganz blöd und triumphier­end aus dem Fenster zu hüpfen.

Die Musik peilt immer das gleiche an: ein mit Weltschmer­z versetztes Maximum an Energie soll auf den Hörer überspring­en, auf dass Euphorie sich im Körper der Hörer*in ausbreite. Das klappt auch hier wieder einmal sehr gut, und man vergisst dann auch gerne, dass die Musik von Deafheaven in den ersten zehn Jahren mit maximal vier Ideen ausgekomme­n ist.

https://deafheaven­s.bandcamp.com/album/10years-gone

Newspapers in German

Newspapers from Germany