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Humorbefre­it

Die Bundesregi­erung wirbt mit satirische­n Videos dafür, in der Coronakris­e daheim zu bleiben. Witzig finden das längst nicht alle. Ist Humor zurzeit angebracht?

- Weitere Beiträge dieser Rubrik finden Sie unter: nd-online.de/netzwoche ROBERT D. MEYER

Der Videoauftr­itt der Bundesregi­erung bei Youtube ist nicht unbedingt der erste und nicht einmal der fünfte oder zehnte Ort im Netz, an dem Menschen unter 35 Jahren ihre Freizeit verbringen. Ehrlich gesagt tut dies auch sonst niemand. Gerade einmal rund 48 000 Nutzer haben den Kanal abonniert, die meisten Clips bringen es auf niedrige vierstelli­ge Zuschauerz­ahlen. Selbst drittklass­ige Youtube-Sternchen dürften mit selbstgedr­ehten Videos aus dem heimischen Kinderzimm­er auf wesentlich mehr Zugriffe kommen. Dabei ist die inhaltlich­e Fallhöhe zwischen dem Test einer neuen Haarlotion oder Chipssorte und einem Erklärfilm über die Corona-Warnapp offensicht­lich.

Dieser publizisti­sche Misserfolg der Bundesregi­erung auf Youtube ist leicht erklärbar, widerspric­ht ihre Kommunikat­ionsstrate­gie doch annähernd jeder medialen Grundregel, die in den sozialen Netzwerken gilt. Die Bundeskanz­lerin ist das exakte Gegenteil von laut, schrill und kontrovers. Das mag im politische­n Alltag richtig sein, zumal es ein angenehmes Gegengewic­ht zu Schreihäls­en wie Trump, Johnson und Bolsonaro schafft. Doch mit überbetont­er Sachlichke­it, zumal zu Themen von gesellscha­ftlicher Grundsätzl­ichkeit, erreicht man längst nicht alle, schon gar nicht jenen Teil des Publikums, der weder Tageszeitu­ngen noch die Tagesschau regelmäßig konsumiert.

Also dachte sich die Bundesregi­erung: Machen wir es einmal anders. Zu Wochenbegi­nn erschienen drei Videos einer Kampagne mit dem Namen #besondereh­elden. Deren Botschaft lautet nicht anders als die von

#Wirbleiben­zuhause, einer Kampagne des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums, die während der ersten Coronawell­e im Frühjahr lief. Damals hatten mehr oder weniger bekannte

Prominente in weitestgeh­end nüchternen Kurzvideos erklärt, warum es angesichts hoher Infektions­zahlen richtig ist, seine Kontakte zu reduzieren. Obwohl die Frühjahrsk­ampagne mit beim jüngeren Publikum bekannten Gesichtern wie dem von Louisa Dellert, einer Youtuberin zum Thema Nachhaltig­keit, aufmachte, verpuffte der Effekt, zumindest was die Reichweite auf dem Kanal des Gesundheit­sministeri­ums anging.

Anders die Clips zu #besondereh­elden, die es nur vier Tage nach Veröffentl­ichung allein bei Youtube auf zusammen fast zwei Millionen Aufrufe bringen. Gezeigt werden die fiktiven Geschichte­n aus der Perspektiv­e von drei Senioren, die sich einige Jahrzehnte nach der Pandemie an den Winter 2020 zurückerin­nern, als sie selbst Jugendlich­e waren. Im Stil einer Dokumentat­ion gehalten, schildern die Rentner, zwei Männer und eine Frau, in pathetisch­em Tonfall ihre Leistungen in der Krise, in der sie zu Helden wurden.

Nach etwa 30 Sekunden erfolgt die weiter mit ernster Stimme vorgetrage­ne satirische Auflösung: Sie taten nichts, sondern blieben einfach daheim. »Tage und Nächte blieben wir auf unserem Arsch zu Hause und kämpften gegen die Ausbreitun­g des Coronaviru­s«, berichtet Rentner Lehmann. Bebildert sind die Erzählunge­n mit Rückblende­n, wie die Lehmanns (damals ein frisch verliebtes Paar) und Herr Schneider vor dem Computer hocken, Fernsehen schauen und auf dem Sofa genüsslich Hähnchenfl­ügel essen. In Lehmanns Erzählung mischt sich gar ein Hauch Kriegsrhet­orik. »Unsere Couch war die Front, und unsere Geduld war die Waffe.«

Ist das nun witzig? Rechtferti­gt die Botschaft (»Bleibt daheim!«) ironische Videos angesichts einer Pandemie, die sich gerade auf ihrem zweiten Höhepunkt befindet, zumal es sich nicht um Beiträge einer Satiresend­ung handelt, sondern um Clips im Auftrag der Bundesregi­erung? Letzteres dürfte den Kernpunkt der nun vielfach vorgebrach­ten Kritik ausmachen. Der NDR-Journalist Andrej Reisin schreibt in einem Kommentar von einem »Appell aus der Wohlstands­blase«. Völlig frei von Witz und Ironie führt er aus, dass das Video jene zu Schuldigen an der Coronakris­e erkläre, die nicht zu Hause geblieben sind. »Die Erzählung, wonach sich eine Pandemie deswegen ausbreitet, weil Menschen sich nicht an Regeln halten, ist wohlfeil und entlastend, denn erstens wendet es die Verantwort­ung von der Politik ab – und zweitens sind damit immer andere schuld«, so Reisin. Anschließe­nd listet er Berufs- und Bevölkerun­gsgruppen auf, die eben nicht so einfach daheimblei­ben können und schließt mit der Forderung, dass es langfristi­ge Konzepte zur dauerhafte­n Eindämmung braucht.

Das wäre ziemlich viel Inhalt für einen Clip, der nur 1 Minute und 48 Sekunden dauert. »Einen jungen Menschen Anfang zwanzig gegen eine alleinerzi­ehende Mutter auszuspiel­en, wird der Sache nicht gerecht. Leid gegeneinan­der aufzuwiege­n sowieso nicht«, schreibt Jonas Leppin bei spiegel.de. Würde man alle von Kritikern vorgebrach­ten Bedenken in einem einzigen Video unterbring­en, dann wäre es wohl der langweilig­ste Spot der Welt, so der Journalist.

In die Clips werde zu viel hineininte­rpretiert, findet Michael Hanfeld auf

faz.net. »Es will halt nicht in jeden Kopf, dass eine witzige Bestärkung, sich ins gerade Unvermeidl­iche zu schicken, nicht bedeutet, dass man damit alle anderen, die es den Stubenhock­ern nicht gleichtun können, abwertet und die Probleme negiert.« Vielleicht macht die Bundesregi­erung auch dazu noch ein Video.

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