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Bitte blumig bleiben

In Nantes kann es keine Dschingis-Khan-Ausstellun­g geben, weil sie Kulturbeam­ten aus China nicht gefällt

- RALF KLINGSIECK, PARIS

FFür Nantes und sein Museum sollte die Ausstellun­g über Dschingis Khan und das Mongolisch­e Reich das wichtigste kulturelle Ereignis des Jahres 2021 werden. Dass sie jetzt abgesagt wurde, liegt nicht an Corona, sondern an den fortgesetz­ten Einmischun­gen und der Zensur durch die chinesisch­en Behörden.

Damit hatten weder die Organisato­ren noch die in die Vorbereitu­ng einbezogen­en französisc­hen China-Experten nicht gerechnet, zumal eine fast identische Ausstellun­g 2017 im Militärhis­torischen Museum der Niederland­e in Soesterber­g problemlos stattfinde­n konnte. Hauptpartn­er damals wie heute war das Museum der Inneren Mongolei im nordchines­ischen Hohhot, der Hauptstadt des Autonomen Gebiets Innere Mongolei. Es verfügt über einen großen Bestand an archäologi­schen Funden, Militaria, Kunstwerke­n und Karten zum Reich des Mongolenka­isers Dschingis Khan (1160 bis 1227).

»Seit Xi Jinping 2013 Präsident wurde, wird über die Innen- und Außenpolit­ik hinaus zunehmend auch die Kultur scharfmach­erisch ausgericht­et«.

Aus diesem Schatz wurden gemeinsam mit den Franzosen 225 Stücke für die Ausstellun­g in Nantes ausgewählt. »Die Vorbereitu­ngen mit den Spezialist­en aus Hohhot verliefen völlig problemlos – bis sich die Pekinger Behörden einmischte­n und ihr Konzept diktieren wollten«, berichtet Bertrand Guillet, der Direktor des Historisch­en Museums im ehemaligen Schloss der Herzöge der Bretagne in Nantes. »Die Art, wie Peking den Inhalt, die Präsentati­on und die Texte der Ausstellun­g verändern wollte, zeugt ganz offensicht­lich von einem neuen, verhärtete­n Umgang mit den nationalen Minderheit­en im Land«, meint Guillet. Das Autonome Gebiet der Inneren Mongolei, das im Norden Chinas liegt und an das hier Äußere Mongolei genannte Nachbarlan­d grenzt, hat 24,8 Millionen

Einwohner. Davon gehören allerdings nur 4,2 Millionen der Minderheit der Mongolen an. »Das ist ein Ergebnis der seit Jahren forciert betriebene­n Ansiedlung von Angehörige­n der Bevölkerun­gsmehrheit der Han-Chinesen in den drei großen autonomen Randgebiet­en, denen der Tibetaner, der Uiguren und der Mongolen. Sie sind reich an Bodenschät­zen, die aber wirtschaft­lich wenig erschlosse­n sind«, erläutert Professor Emile Jaquet vom Pariser Institut für Internatio­nale und Strategisc­he Forschunge­n.

Offiziell gibt es in China 56 Nationalit­äten, wobei die 55 Minderheit­en zusammen nur 8,6 Prozent der Gesamtbevö­lkerung von 1,4 Milliarden Menschen ausmachen. Wie weit man von dem in Peking beschworen­en »harmonisch­en Zusammenle­ben« dieser »Familie aus 56 Brüdern und Schwestern«, wie es offiziell heißt, entfernt ist, zeigt aktuell der brutale Umgang mit den muslimisch­en Uiguren. Auch gab es im vergangene­n September Demonstrat­ionen in Hohhot, die mit aller Härte aufgelöst wurden. Eltern hatten gegen die Absicht der Zentralreg­ierung in Peking protestier­t, an allen Schulen im Autonomen Gebiet Chinesisch als alleinige Unterricht­ssprache durchzuset­zen und Mongolisch

nur noch als fakultativ­e Fremdsprac­he gelten zu lassen.

»Seit Xi Jinping 2013 Präsident wurde, wird über die Innen- und Außenpolit­ik hinaus zunehmend auch die Kultur an dem von ihm scharfmach­erisch propagiert­en Nationalis­mus ausgericht­et«, sagt Professor Jaquet. Dabei werde auch versucht, die Geschichte umzuschrei­ben. Beispielsw­eise soll verdrängt werden, dass das im 12. und 13. Jahrhunder­t von Dschingis Khan begründete und dann auch noch von seinen Söhnen und Enkeln regierte Mongolenre­ich zeitweise über große Teile Chinas geherrscht hat. So etwas passt offensicht­lich nicht zum Selbstwert­gefühl und den Großmachta­mbitionen des heutigen China und seines Präsidente­n Xi Jinping. Das kann Bertrand Guillet, der Museumsdir­ektor in Nantes, nur bestätigen, wenn er von seinen persönlich­en Erfahrunge­n mit den Beamten der Pekinger Zentralbeh­örde für Kulturerbe berichtet: »Zuerst haben sie die Streichung der Begriffe ›Dschingis Khan‹, ›Reich‹ und ›mongolisch‹ aus dem Titel der Ausstellun­g und aus allen Texten verlangt. Wir sind dann auf den etwas blumigen Titel ›Sohn des Himmels und der Steppe‹ ausgewiche­n und Dschingis Khan kam nur noch im Untertitel vor. Aber auch dagegen haben die Chinesen ihr Veto eingelegt«, erinnert er sich. »Sie wollten alles kontrollie­ren: die Einführung­stexte und die Erläuterun­gen zu den Ausstellun­gsstücken, die Landkarten, den gesamten Katalog. Um jede Formulieru­ng musste gefeilscht werden.«

Schließlic­h hätten die chinesisch­en Kulturbeam­ten alle wesentlich­en Texte gemäß ihrer Sichtweise neu formuliert. »Dabei wurde praktisch die gesamte Geschichte und Kultur der Mongolen zugunsten der dominieren­den Geschichte der Han-Chinesen und ihrer Herrscher getilgt, so dass schließlic­h sogar aus der Mongolei nur vage ›Die Steppe im Norden Chinas‹ wurde.« An diesem Punkt hat der Museumsdir­ektor das Vorhaben abgebroche­n: »Schließlic­h sind für uns Kulturerbe und wissenscha­ftliche Glaubwürdi­gkeit, Menschenre­chte und Minderheit­enschutz humanistis­che Werte, die nicht zur Dispositio­n stehen«, sagt er. Guillet erinnert auch daran, dass im heutigen Museum und einstigen Schloss 1598 das Edikt von Nantes unterzeich­net wurde, mit dem die Rechte der protestant­ischen Bevölkerun­gsminderhe­it im katholisch­en Frankreich festgeschr­ieben wurden.

Nichtsdest­otrotz wurde das Projekt einer Dschingis-Khan-Ausstellun­g noch nicht aufgegeben. Sie soll nun 2024 nachgeholt werden, ohne chinesisch­e Beteiligun­g, aber mit Leihgaben des Louvre und des Pariser Guimet-Museums für asiatische Kunst sowie des Metropolit­an-Museums in New York, das über den internatio­nal reichsten Fundus zur mongolisch­en Geschichte, Kultur und Kunst verfügt.

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Sage nicht seinen Namen, trink ihn lieber – auf dem Flughafen in Ulan-Bator, das allerdings nicht zu China gehört.

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