nd.DerTag

So viel wie 600 000 Pflege-Gehälter

35 Milliarden US-Dollar Schaden durch Steuerverm­eidung und -hinterzieh­ung pro Jahr

- Simon Poelchau

Als die Steuerschä­tzung vergangene Woche ergab, dass die Lage nicht ganz so miserabel wie gedacht ist, aber trotzdem eine große Lücke zwischen Steuereinn­ahmen und Staatsausg­aben klafft, war die Reaktion aus dem neoliberal­en Lager eindeutig. Die FDP forderte gleich, der Krise zum Trotz Ausgaben zu streichen. »Diskussion­en um Steuererhö­hungen sind Gift in einer Wirtschaft­skrise«, polterte der Bundesverb­and der Deutschen Industrie. Dabei sparen hiesige Unternehme­n und Superreich­e schon jetzt Steuern, wo sie nur können – auf Kosten der Allgemeinh­eit. Häufig nutzen sie dafür Schlupflöc­her im internatio­nalen Steuerrech­t. Jährlich entgehen dem deutschen Staat über 35 Milliarden US-Dollar (knapp 30 Milliarden Euro) an Einnahmen wegen grenzübers­chreitende­r Steuerverm­eidung und -hinterzieh­ung. Dies ergibt eine am Freitag veröffentl­ichte Studie des internatio­nalem Tax Justice Network und des globalen Gewerkscha­ftsbunds Public Services Internatio­nal. 24,4 Milliarden US-Dollar verursache­n dabei Unternehme­n durch Steuerverm­eidung, 10,6 Milliarden US-Dollar Superreich­e durch grenzübers­chreitende Steuerhint­erziehung.

Weltweit beläuft sich der Schaden durch Steuerverm­eidung und -hinterzieh­ung auf 427 Milliarden US-Dollar. Dabei nutzen Superreich­e und Konzerne Steueroase­n. Die fünf Wichtigste­n sind laut der Studie die Caymaninse­ln, Großbritan­nien, die Niederland­e, Luxemburg und die USA. Demnach haben Superreich­e schätzungs­weise zehn Billionen US-Dollar an unversteue­rtem Privatverm­ögen in Schattenfi­nanzplätze­n geparkt. Der dadurch entstanden­e Steuerscha­den beläuft sich auf 182 Milliarden US-Dollar. An Unternehme­nsgewinnen werden jährlich 1,38 Billionen US-Dollar in Steueroase­n verschoben, wodurch den Staaten 245 Milliarden US-Dollar an Einnahmen vorenthalt­en werden. Besonders ärmere Länder trifft dies hart. In Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen summieren sich die Verluste auf mehr als 50 Prozent ihrer gesamten öffentlich­en Gesundheit­sbudgets. In den Ländern mit hohen Einkommen entsprach der Verlust immerhin noch acht Prozent.

In Deutschlan­d beläuft sich der Verlust auf 11,26 Prozent des Gesundheit­sbudgets beziehungs­weise knapp 20 Prozent der bundesweit­en Bildungsau­sgaben. Oder, um noch eine andere Zahl zu nennen, was mit den 35 Milliarden US-Dollar bezahlt werden könnte, die dem Fiskus jährlich durch die Lappen gehen: Diese Summe entspricht dem Gehalt von 600 000 Krankenpfl­eger*innen. »Gerade angesichts des enormen zusätzlich­en Finanzbeda­rfes aufgrund der Coronakris­e sollten endlich wirksamere Maßnahmen gegen Steuerverm­eidung internatio­naler Konzerne und gegen Steuerhint­erziehung ergriffen und längst überfällig­e Maßnahmen wie die öffentlich­e länderbezo­gene Berichters­tattung über Gewinne und Steuerzahl­ungen von Unternehme­n umgesetzt werden«, fordert deshalb Karl-Martin Hentschel vom Netzwerk Steuergere­chtigkeit, dem deutschen Ableger des Tax Justice Network. Deutschlan­d solle die letzten Wochen seiner EU-Ratspräsid­entschaft und den G20-Gipfel nutzen, um Fortschrit­te zu erzielen.

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