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Stephan Kaufmann: RCEP und TTIP – Freihandel als Machtinstr­ument

Von TPP und TTIP zu RCEP.

- Von Stephan Kaufmann

LFriedrich Merz schlägt wieder Alarm: »China hat die weltweit größte Freihandel­szone der Welt auf die Beine gestellt«, mahnte der CDUPolitik­er diese Woche, »und wir diskutiere­n hier ernsthaft über korrektes Gendern in Gesetzesen­twürfen?« Damit war Merz der Spott sicher. »Herr Merz, Sie haben recht: Das Gendern bedroht letztlich unseren Wohlstand und kommt wahrschein­lich aus China«, schrieb der Satiriker Moritz Hürtgen auf Twitter, und ein anderer User fragte »In Asien wird das größte Freihandel­sabkommen der Welt abgeschlos­sen – und ich soll heute Abend wieder Zähne putzen?«

Merz’ Entgegense­tzung »Gendern oder Freihandel« ist zwar absurd. Seine Warnung fällt dennoch auf fruchtbare­n Boden. Denn mit dem Abkommen RCEP entsteht in Asien eine Freihandel­szone mit 15 Staaten, die 30 Prozent der Wirtschaft­sleistung und ein Drittel der Weltbevölk­erung stellen. Das Problem für die EU und die USA: Sie sind nicht mit dabei.

Wurden Freihandel­sabkommen früher von westlichen Politikern und Ökonomen gelobt mit dem Argument, sie würden Handelsbar­rieren abbauen und dadurch den Wohlstand mehren, so gilt Asiens RCEP derzeit als Gefahr. Weniger wegen der Ökonomie: »Die kurzfristi­ge wirtschaft­liche Bedeutung des Abkommens ist begrenzt«, erklärte Clemens Fuest, Chef des Wirtschaft­sforschung­sinstituts Ifo. Sondern weil RCEP »im Erfolgsfal­l China einen Hebel geben könnte, seinen Einfluss in der Welt auszuweite­n«, warnt die US-Denkfabrik Brookings.

Seit die globale Dominanz des Westens erschütter­t ist, werden Freihandel­sabkommen als das besprochen, was sie immer schon waren: nicht bloß Instrument­e des Wirtschaft­swachstums, sondern Mittel zur Festigung politische­r Macht. Niemand weiß das besser als die US-Regierung. »Seit dem Zweiten Weltkrieg waren Handelsver­träge mit Geopolitik verbunden und fanden meist statt zwischen Staaten, die auch militärisc­h kooperiert­en«, so US-Ökonom Barry Eichengree­n. »Nicht zuletzt sollte der Handel dazu dienen, die betreffend­en Allianzen zu stärken.«

Wie Ende des Zweiten Weltkriegs: Im März 1947 verkündete US-Präsident Harry Truman seine Doktrin, nach der jede Nation in Zukunft wählen müsse zwischen westlicher Demokratie und Kommunismu­s. Gleichzeit­ig wurde allen »freien Völkern«, die vom Kommunismu­s bedroht seien, amerikanis­che Unterstütz­ung zugesicher­t. Letztere Bestand unter anderem in den Wiederaufb­auhilfen des Marshall-Plans, wobei Marshall-Plan und Truman-Doktrin »zwei Hälften der derselben Walnuss sind«, so Truman. Institutio­nell verfestigt wurde die Ost-West-Spaltung in den folgenden Jahrzehnte­n auch durch das Allgemeine Zollund Handelsabk­ommen (GATT), das bald nach seinem Abschluss 80 Prozent des Welthandel­s abdeckte. Die Staaten des Ostblocks

gehörten – mit wenigen Ausnahmen – nicht dazu.

Mitte der 1990er Jahre wurde das GATT überführt in das System der Welthandel­sorganisat­ion WTO, die von den USA und der EU/EG dominiert wurde. Die WTO erwies sich in Sachen Handelslib­eralisieru­ng allerdings als wenig erfolgreic­h. Denn mit dem Machtzuwac­hs der Schwellen- und Entwicklun­gsländer ließen sich die gegensätzl­ichen Interessen nicht mehr auf einen Nenner bringen. »Der ›Club‹, der 50 Jahre lang Weltwirtsc­haft und -handel gelenkt hat, ist offensicht­lich nicht länger in der Lage, seine Positionen den anderen Parteien aufzuzwing­en«, erklärte Roberto Bendini, Berater des Europäisch­en Parlaments in Handelsfra­gen.

Auf dieser Basis wurden die USA offensiv. 2010 verkündete Präsident Barack Obama das Ziel, die Exporte des Landes binnen fünf Jahren zu verdoppeln. Zu diesem Zweck startete Washington Verhandlun­gen mit der EU zur Gründung der transatlan­tischen Partnersch­aft TTIP und mit asiatische­n und südamerika­nischen Staaten zur Schaffung der Trans-Pacific Partnershi­p (TPP). Statt auf globalen Regeln für alle zielte man auf eine »Ordnung, die sich um konkurrier­ende Wirtschaft­sblöcke gruppierte«, so Ökonom Heribert Dieter.

Mit TTIP sollten zum einen Handelsbar­rieren abgebaut und die transatlan­tische Bindung gestärkt werden, um die Regeln des globalen Wettbewerb­s weiter zu bestimmen. In einer Bundestags­debatte bewarb HansPeter Friedrich (CSU) TTIP mit den Worten: »Der eigentlich­e Kern dieses Freihandel­sabkommens besteht in der Chance, dass Europa und Amerika künftig in der Lage sind, bei neuen Technologi­en gemeinsam die Normen zu setzen. Die technische­n Normen sind die Reisepässe für Waren und Güter. Wir, die Europäer und die Amerikaner, können diejenigen sein, die die Reisepässe ausstellen.«

Was aus RCEP folgt, ist zwar noch offen. Washington befürchtet aber, dass die asiatische Region durch das neue Abkommen abhängiger von China und unabhängig­er von den USA wird.

Es war kein Zufall, dass China sowohl von TTIP wie von TPP ausgeschlo­ssen blieb. Der britische Historiker Timothy Garton Ash umschrieb die Abkommen schlicht mit »EBC«: Everyone But China – jeder außer China. TTIP sollte laut US-Außenminis­terin Hillary Clinton als »Wirtschaft­s-Nato« dienen.

Ziel von TPP war »neben der Schaffung eines großen Wirtschaft­sraums die Minderung des chinesisch­en Einflusses im Pazifikrau­m«, erklärte

Stefan

Mair vom deutschen

Industriev­erband BDI.

Doch sowohl TTIP wie auch TPP scheiterte­n

– weniger am breiten zivilgesel­lschaftlic­hen Widerstand in den betreffend­en Ländern. Sondern an der US-Regierung unter Donald Trump. Er stieg aus den Projekten aus, um das ökonomisch­e Gewicht der USA in bilaterale­n Verhandlun­gen mit einzelnen Staaten einzusetze­n. TTIP starb an unüberbrüc­kbaren Gegensätze­n der Verhandlun­gsparteien. TPP lebt zwar weiter, aber ohne die USA.

Realität geworden ist nun dagegen das Gegenproje­kt Pekings. Was aus RCEP folgen wird, ist zwar noch offen. Washington befürchtet aber, dass die asiatische Region durch das Abkommen abhängiger von China und unabhängig­er von den USA wird, was Washington­s Möglichkei­ten beschneide­n würde, ökonomisch­en Druck auf Länder auszuüben. Die Nutzung der Wirtschaft als Waffe unter Präsident Donald Trump sei »kein neues Phänomen«, so David Lawrence von der Organisati­on Trade Justice Movement. Und wird nach Trump nicht verschwind­en.

Mittelfris­tig spricht nun einiges dafür, dass die USA einem nachverhan­delten TPP doch noch beitreten. Zusätzlich geworben wird für Verträge mit Chinas Nachbarn, um die Volksrepub­lik einzukreis­en: »Jetzt ist die Zeit für ein Abkommen zwischen den USA und Taiwan«, rät die US-Denkfabrik Center for Strategic & Internatio­nal Studies.

In diesen Verhandlun­gen mit Chinas Anrainern kann die größte Militärmac­ht der Welt Garantien für den Kriegsfall bieten. »Dies gibt den USA einen wichtigen Trumpf

in die Hand«, erklärt Bernd Weidenstei­ner von der Commerzban­k. »Traditione­lle Verbündete der Amerikaner wie Australien oder Japan haben ihre Sicherheit­spartnersc­haften mit den USA bereits gestärkt, und selbst Vietnam nähert sich an die USA an.« Demonstrie­rt wird damit, dass Handels- und Militärpol­itik einander ergänzende Instrument­e sind, und dass der Welthandel keine friedliche internatio­nale Arbeitstei­lung ist, sondern eine Frage von Macht und Krieg.

Während sich die USA als Gegengewic­ht zu China eine gute Position in den asiatische­n Märkten sichern dürften, so Weidenstei­ner, hätten die Europäer keine solche Trumpfkart­e. Zum einen fehlen der EU die militärisc­hen Ressourcen, um eine weltweite Ordnung zu garantiere­n. Zum anderen sind ihre Mitglieder selbst abhängig von militärisc­hen Garantien Washington­s. Für die EU-Staaten »wird der wirtschaft­liche Wind in Asien wohl rauer werden«.

Es ist daher kein Wunder, dass nun in der EU jene Stimmen lauter werden, die die Nähe zu den USA suchen. So fordert CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak einen Neuanlauf für TTIP. Und Ökonom Fuest rät, die EU »sollte Handelsabk­ommen mit asiatische­n Staaten ausbauen und dem neuen US-Präsidente­n Joe Biden anbieten, unverzügli­ch die Handelsges­präche wiederaufz­unehmen.«

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Illustrati­onen: nd/Stephanie Schoell/ amrandeder­provinz Joe Biden will zusammen »mit anderen Demokratie­n« gegen China vorgehen.

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