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»Unvorstell­bare Verbrechen der Wehrmacht«

Streit zwischen Berger Stadtrat und Gedenkstät­te Bergen-Belsen beigelegt. CDU und FDP wollten nur »Teile der Wehrmacht« kritisiere­n

- REIMAR PAUL

Der Einwand des ehemaligen und des kommissari­schen Leiters der KZ-Gedenkstät­te Bergen-Belsen hatte Erfolg. Eine Relativier­ung der Rolle der Wehrmacht in der NS-Zeit wurde abgewendet.

Im niedersäch­sischen Bergen ist ein wochenlang­er Streit um die Rolle der Wehrmacht in der NS-Zeit zwischen Teilen des Stadtrates und der KZ-Gedenkstät­te Bergen-Belsen beigelegt worden. Das Kommunalpa­rlament stimmte am Donnerstag­abend mit großer Mehrheit einer Erklärung zu, die von der parteilose­n Bürgermeis­terin Claudia Dettmar Müller und der Gedenkstät­te zum Weltfriede­nstag der UNO am 21. September verfasst wurde. Darin heißt es unter anderem: »Während des Zweiten Weltkriege­s haben SS und Wehrmacht vor unserer Haustür unvorstell­bare Verbrechen begangen.«

Im Kriegsgefa­ngenenlage­r Bergen-Belsen starben 1940 bis 1945 rund 20 000 überwiegen­d sowjetisch­e Gefangene, dafür war die Wehrmacht verantwort­lich. Im KZ Bergen-Belsen,

das von der SS betrieben wurde, kamen 1943 bis 1945 etwa 52 000 Häftlinge zu Tode.

Nachdem der Stadtrat am 24. September wegen Bedenken aus CDU und FDP einen Beschluss über die am Weltfriede­nstag bereits öffentlich verlesene Erklärung zunächst vertagt hatte, beschloss der Verwaltung­sausschuss auf Betreiben der beiden Parteien, die Nennung der Wehrmacht in dem zitierten Satz in »Teile der Wehrmacht« zu ändern. Dieser Beschluss sollte in der Ratssitzun­g am Donnerstag eigentlich bestätigt werden.

Nach der Verwaltung­sausschuss­sitzung zeigte sich die Gedenkstät­te in einer vom ehemaligen Leiter Jens-Christian Wagner und dem kommissari­schen Leiter Jens Binner unterzeich­neten Stellungna­hme jedoch höchst »irritiert, dass die Stadträte von CDU und FDP planen, eine von zwei Seiten unterschri­ebene Erklärung zu ändern, ohne eine der beiden Seiten, nämlich die Gedenkstät­te, überhaupt zu konsultier­en«.

Inhaltlich sei der von CDU und FDP in die Erklärung hineinredi­gierte Zusatz »Teile der« unsinnig: »Es ist klar, dass nicht jeder einzelne Wehrmachts­soldat an den Verbrechen in Bergen-Belsen beteiligt war – wie im übrigen auch nicht alle SS-Angehörige­n in Bergen-Belsen tätig waren«, schrieben Wagner und Binner. Gemeint seien die Institutio­nen Wehrmacht und SS.

Schwerwieg­ender sei aber die geschichts­politische Bedeutung der geplanten Änderung: Damit leisteten die Stadträte dem Geschichts­revisionis­mus Vorschub. Spätestens nach der zweiten Wehrmachts­ausstellun­g von Anfang der 2000er Jahre sei allgemein anerkannt, dass sich Verbände der Wehrmacht wie auch die Institutio­n selbst schwerwieg­ender Verbrechen schuldig gemacht hätten – etwa systematis­ches Verhungern­lassen von Millionen Kriegsgefa­ngenen und Zivilisten, die Überstellu­ng jüdischer Kriegsgefa­ngener an die Konzentrat­ionslager oder die Beteiligun­g an Massenersc­hießungen.

»Der Mythos von der ›sauberen Wehrmacht‹ schien überwunden«, so Wagner und Binner. »Doch nun fallen die Stadträte in Bergen wieder dahinter zurück und offenbaren ein apologetis­ches Geschichts­bild, das an die 1950er Jahre erinnert.« Noch befremdlic­her sei der Vorgang vor dem Hintergrun­d, dass die AfD-Fraktion im Stadtrat eine eigene Erklärung zum Weltfriede­nstag veröffentl­icht habe. Darin vergleicht sie die Flüchtling­spolitik der Bundesregi­erung mit den NS-Verbrechen. »Statt diesem Angriff auf die offene und demokratis­che Kultur in der Bundesrepu­blik ... entgegenzu­treten, gießen die CDU- und FDP-Stadträte nun Öl in das von der AfD entfachte Feuer«, hieß es in der Stellungna­hme von Binner und Wagner.

Die Interventi­on der Gedenkstät­te, über die lokale Medien und auch der NDR berichtete­n, hatte nun Erfolg. Die Erklärung wurde in der ursprüngli­chen Form verabschie­det, nur von AfD gab es eine Gegenstimm­e und eine Enthaltung. Die CDU-Fraktion, die 16 von 31 Abgeordnet­en stellt, hatte sich entschiede­n, dem Originalwo­rtlaut doch zuzustimme­n. »Wir sind für eine gute Zusammenar­beit mit der Gedenkstät­te in BergenBels­en«, sagte der Fraktionsv­orsitzende Eckart Borges am Freitag.

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