nd.DerTag

»Die Sahrauis wollen keinen Krieg«

Khadja Bedati über die Provokatio­nen Marokkos und die Wirtschaft­sinteresse­n in der Westsahara

-

Die Lage in der Westsahara hat sich deutlich verschärft. Am 13. November hat die Frente Polisario nach fast 30 Jahren den Waffenstil­lstand mit Marokko aufgekündi­gt. Was war der Grund dafür?

Sahrauisch­e Zivilisten hatten bereits gut drei Wochen vorher friedlich am Grenzüberg­ang Guerguerat einen Durchbruch in der Mauer zwischen den besetzen Gebieten und Mauretanie­n blockiert. An diesem Tag kamen dann erst marokkanis­che Soldaten in Zivil, dann sind Truppen vor den Augen der UN-Friedensmi­ssion Minurso in die von der Polisario kontrollie­rte Pufferzone einmarschi­ert und haben die Demonstran­ten angegriffe­n. Das sehen wir als Verletzung des Waffenstil­lstands. Die Frente Polisario hatte Marokko vor diesem Schritt gewarnt.

Demonstrie­rt haben die Sahrauis ja an mehreren Orten entlang der Mauer. Warum hat Guerguerat bei den Protesten so eine zentrale Bedeutung?

Weil die illegale Straße dort eine wichtige Handelsver­bindung zwischen Marokko, Mauretanie­n und Teilen Westafrika­s ist. Darüber werden zum Beispiel Gemüse und Fisch aus der Westsahara transporti­ert. Die Straße dient also der Ausbeutung der natürliche­n Ressourcen unseres Landes.

Wo liegt der Zusammenha­ng zwischen dem Ressourcen­reichtum der Westsahara und dem Konflikt mit Marokko?

In den von Marokko besetzten Gebieten gibt es viele global bedeutsame Wirtschaft­sgüter wie das zweitgrößt­e Phosphatvo­rkommen der Welt, das in der Mine Bou Craa ohne die Genehmigun­g der Sahrauis abgebaut wird.

Die Westsahara ist ein eigenständ­iges Land und die Unternehme­n müssen sich klar darüber sein, dass die natürliche­n Ressourcen dort den Sahrauis gehören und nicht Marokko. Wenn die EU und die dort aktiven Unternehme­n ihre Verträge mit der Polisario, der völkerrech­tlich anerkannte­n Vertretung der Sahrauis, schließen würden, wären alle Beteiligte­n auf der sicheren Seite.

Welche deutschen Unternehme­n sind in der Westsahara aktiv?

Große internatio­nale Player wie Siemens im Bereich Erneuerbar­e Energien, es gibt Zementfabr­iken von Heidelberg­Cement, die Continenta­l AG lässt über ihre Tochterfir­ma ContiTech das Förderband der Phosphatmi­ne in Bou Craa warten. Aber auch kleinere Firmen wie Köster Marine Proteins (KMP) aus Hamburg, die Fischmehl aus der Westsahara über die stadtbremi­schen Häfen importiere­n, machen dort Geschäfte. Bremen hat sich hier leider zu einem Hotspot entwickelt, über den große Teile des Fischmehli­mports in die Europäisch­e Union laufen. Die Polisario hat auch klar gemacht, dass alle ausländisc­hen Unternehme­n ihre wirtschaft­lichen Aktivitäte­n in den besetzten Gebieten stoppen sollen, da sie sonst wegen des Krieges ebenfalls gefährdet sind. Das betrifft auch die Aktivitäte­n im Meer und in der Luft.

Sie sprechen regelmäßig für den Dachverban­d der Kritischen Aktionär*innen auf den Aktionärsv­ersammlung­en der Unternehme­n. Wie sind da die Reaktionen?

Unterschie­dlich. Viele Unternehme­n sagen, sie wollen Marokko nicht als Partner verlieren. Aber mit Siemens und Heidelberg­Cement

zum Beispiel sind wir im Gespräch, sie bemühen sich darum, Lösungen zu finden. ContiTech aus Hannover dagegen verweigert es, mit uns zu reden.

Noch mal zurück zur diplomatis­chen Dimension des Konfliktes: Was erwarten die Sahrauis jetzt von der EU und der UN?

Die Lage ist so ernst wie nie zuvor in der Geschichte dieses Konfliktes. Die UN muss jetzt endlich ihrem Auftrag nachkommen und das Referendum über die Selbstbest­immung der Sahrauis organisier­en und nicht nur mit der Minurso unsere Ausbeutung überwachen. UN-Generalsek­retär Guterres hat erst Ende Oktober im Weltsicher­heitsrat verkündet, dass die Lage in der Westsahara ruhig sei. Was versteht er unter ruhig? Die Sahrauis haben 45 Jahre lang Menschenre­chtsverlet­zungen wie Folter, Mord und Entführung­en in besetzten Gebieten und die Armut und Perspektiv­losigkeit in den Flüchtling­slagern ertragen. Wir haben gezeigt, dass wir warten können. Nun sind wir mit unserer Geduld am Ende.

Fürchten Sie, dass Marokko auf die Sahrauis in den besetzten Gebieten nun noch mehr Druck ausübt?

Das Leben der Menschen dort ist natürlich noch mehr in Gefahr, besonders auch das der politische­n Gefangenen in marokkanis­chen Gefängniss­en. Aber auch in den besetzten Gebieten ist die sahrauisch­e Bevölkerun­g mit den aktuellen Entscheidu­ngen der Polisario einverstan­den. Ich habe vor allem Angst, dass viele unschuldig­e Zivilisten sterben könnten.

Ist der Beginn neuer Kämpfe auch dem Druck der Jugend in den Lagern und den besetzten Gebieten zuzuschrei­ben? Also ein Entgegenko­mmen? Viele jüngere Sahrauis befürworte­n ja schon länger einen erneuten Waffengang.

Nein, das ist kein Entgegenko­mmen. Die Polisario und die Sahrauis wollen eigentlich keinen Krieg. Auch ich bin für eine friedliche Lösung des Konfliktes. Aber die Lage ist durch die Provokatio­n Marokkos eskaliert.

 ??  ?? Fischerboo­te im Hafen von Laayoune: Marokko bestimmt weiter unrechtmäß­ig über die Naturresso­urcen der Westsahara, auch europäisch­e Unternehme­n profitiere­n davon.
Fischerboo­te im Hafen von Laayoune: Marokko bestimmt weiter unrechtmäß­ig über die Naturresso­urcen der Westsahara, auch europäisch­e Unternehme­n profitiere­n davon.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany