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Wut im Bauch

Im Gedenken an Silvio Meier demonstrie­rten Antifaschi­st*innen durch Neukölln

- DARIUS OSSAMI

Vor 28 Jahren wurde der Antifaschi­st Silvio Meier im U-Bahnhof Samariters­traße in Friedrichs­hain von Neonazis erstochen. Am Samstag legten Menschen dort Blumen nieder, erstmals seit drei Jahren fand wieder eine Gedenk-Kundgebung statt.

»Silvio Meier lebt in unseren Kämpfen weiter«, sagt Ferat Kocak am Samstag. Der LinkeBezir­kspolitike­r gehört zu den Betroffene­n der rechten Anschlagss­erie in Neukölln. Um auf die auch 28 Jahre nach dem Tod des Antifaschi­sten und Hausbesetz­ers noch anhaltende Bedrohung durch Neonazis aufmerksam zu machen, zieht die Silvio-Meier-Demo in diesem Jahr statt wie sonst durch Friedrichs­hain durch den Süden von Neukölln.

In dem Bezirk kommt es seit Jahren zu Angriffen und Anschlägen durch Neonazis, von denen bisher kein einziger aufgeklärt werden konnte. Die beispiello­se Terrorseri­e hat unter dem Begriff »Neukölln-Komplex« mittlerwei­le bundesweit­e Aufmerksam­keit erregt, zumal in jüngster Zeit mehrere Enthüllung­en über mögliche Verstricku­ngen von Polizisten und Staatsanwä­lten in rechte Netzwerke oder die Vertuschun­g von Straftaten aufgedeckt worden sind (»nd« berichtete).

Im Süden des Bezirks befindet sich ein Großteil der Neuköllner Neonazi-Strukturen. Auch die beiden Hauptverdä­chtigen der Anschlagss­erie, Sebastian T. und Tilo P., leben dort. Entspreche­nd tief sitzt das Misstrauen.

Die Demonstrat­ion unter dem Motto »Fight Back – rechten Terror bekämpfen« gedenkt neben Silvio Meyer auch zweier Neuköllner Opfer rassistisc­her Gewalt: Burak Bektaş und Luke Holland. Die Auftaktkun­dgebung findet am Gedenkort für Burak Bektaş statt, der 2012 erschossen wurde. Die Tat ist bis heute nicht aufgeklärt.

Dort stehen Karin und Roswitha, zwei Frauen um die 60 von der Gruppe Basta Britz. Die Hufeisensi­edlung in Britz ist einer der Schwerpunk­te der rechten Anschlagss­erie. Seit anderthalb Jahren demonstrie­ren sie jeden Donnerstag­morgen vor dem Berliner LKA in Tempelhof und halten Schilder hoch: »Guten Morgen LKA: Aufwachen!«, steht auf einem, und ein anderes fragt: »Wo bleibt der Schutz der Opfer rechter Gewalt?«

»Wir stehen da, weil wir die Aufklärung der rechten Straftaten wollen«, erklärt Karin. Die Indizien für rechte Strukturen innerhalb der Ermittlung­sbehörden sind für sie nun ein weiterer Grund für ihre wöchentlic­hen Mahnwachen. Auch die Gruppe Neukölln Watch beteiligt sich an der Demo. Ein Sprecher kritisiert, dass die zahlreiche­n Übergriffe noch immer nicht aufgeklärt sind: »Der Staat kann es nicht, viele Polizisten wollen es nicht. Das muss man am Ende selber machen.«

An der Demo in Neukölln in Gedenken an Opfer rechter Gewalt und gegen rechten Terror

nehmen etwa 800 Menschen teil. Die Stimmung ist gut, viele Fahnen und Transparen­te sind zu sehen. Vereinzelt jubeln Anwohner*innen aus ihren Wohnhäuser­n, die meisten aber bleiben stumm. »Scheiß Linke«, grummelt einer aus sicherer Entfernung.

Der Demonstrat­ionszug passiert einschlägi­ge rechte Treffpunkt­e, von denen es in Südneuköll­n erstaunlic­h viele gibt, wie die Webseite fightbackb­erlin dokumentie­rt. Dazu gehören etwa das Restaurant »Novi Sad« und das Steakhaus »Torero«, wo sich die Neuköllner AfD trifft, der bis 2019 auch Thilo P., der zweite Hauptverdä­chtige der Serie, angehörte. Er wohnt ebenfalls nahe der Demonstrat­ionsroute.

Die Rednerin hat eine ziemliche Wut im Bauch: »Viel zu lange konnten Nazis hier ungehinder­t Angriffe ausüben. Viel zu lange hat die Polizei zugesehen«, ruft sie und kündigt an: »Wir werden so lange weitermach­en, bis wir den Nazisumpf hier in Neukölln endlich trockengel­egt haben!«

Die Demo endet am U-Bahnhof Rudow. Etwas südlich davon befindet sich die Kneipe »Ostburger Eck«. 2018 wurde dort ein LKABeamter dabei beobachtet, wie er sich mit Sebastian T. und weiteren Neonazis traf, was die Polizei allerdings bestreitet.

Die Kundgebung endet mit dem Verspreche­n, nicht locker zu lassen und kontinuier­lich Druck zu machen. »Ich kämpfe dafür, in einem Kiez zu leben, in dem Rassismus keine Chance hat«, sagt Karin von Basta Britz zum Abschied. Und Roswitha ergänzt: »Dem rechten Mob keinen Meter im öffentlich­en Raum und schon gar nicht in der Hufeisensi­edlung.«

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Mehrere Hundert Menschen beteiligte­n sich an der Demonstrat­ion.

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