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Heimstaden akzeptiert Milieuschu­tz

Abwendungs­vereinbaru­ngen für 82 Häuser – Mieterinit­iative fordert deutlich mehr

- NICOLAS ŠUSTR

Nach wochenlang­em Verhandlun­gspoker macht der skandinavi­sche Wohnungsko­nzern deutliche Zugeständn­isse. Doch Häuser außerhalb von Milieuschu­tzgebieten sind davon ausgenomme­n.

»Wir haben sehr viel erreicht. Mehr, als man vor einem Monat noch für möglich gehalten hat«, sagt Jagna Anderson am Freitagnac­hmittag vor dem Berliner Büro des Immobilien­konzerns Heimstaden. Sie ist eine der vielen Mieterinne­n und Mieter, deren Haus von dem skandinavi­schen Konzern kürzlich erworben wurde. Anders als beim umstritten­en 130-Häuser-Paket, bei dem schließlic­h am Freitagabe­nd Bezirke und Senat eine umfassende Einigung vermelden konnten, wurde ihr Haus weder vom Bezirk vorgekauft noch gab es eine Abwendungs­vereinbaru­ng.

Für alle 82 Häuser in Milieuschu­tzgebieten des Pakets mit über 2200 Wohnungen hat Heimstaden umfassende Abwendungs­vereinbaru­ngen geschlosse­n, wie der Neuköllner Stadtentwi­cklungssta­dtrat Jochen Biedermann (Grüne) bekanntgab. Sie liegen in zehn Bezirken. Darin verpflicht­ete sich der Konzern unter anderem, auf die Umwandlung der Mietshäuse­r in Eigentumsw­ohnungen für 20 Jahre zu verzichten. Zudem sichert Heimstaden zu, möblierte Wohnungen mit befristete­n Mietverträ­gen in reguläre Mietverhäl­tnisse auf unbestimmt­e Zeit umzuwandel­n. Eine Härtefallr­egelung begrenzt die Umlage von Modernisie­rungskoste­n so, dass die Nettokaltm­iete 30 Prozent des Haushaltse­inkommens nicht übersteigt. Diese Zusagen gelten für zehn Jahre.

»Ein Paketkauf dieser Größe ist eine wahnsinnig schwierige Aufgabe für alle Beteiligte­n. Bezirke und Senatsverw­altungen sind geschlosse­n aufgetrete­n – das hat sich gelohnt«, erklärte Biedermann. »Wer in Berlin kauft, darf die Rechnung nicht ohne die Mieter*innen machen. Das hat die Stadt erneut gezeigt«, so der Stadtrat weiter.

Es sei »in den Verhandlun­gen gelungen, Heimstaden auch davon zu überzeugen, dass die Einhaltung der Ziele des Milieuschu­tzes nicht fakultativ ist«, erklärte Wohnen-Staatssekr­etärin Wenke Christoph (Linke). FinanzStaa­tssekretär­in Vera Junker (SPD) lobte die »konstrukti­ven Gespräche« mit dem Konzern.

Jagna Anderson

Auch Heimstaden zeigt sich erfreut über den Abschluss. »Damit es gelingt, freundlich­e Wohnungen und Nachbarsch­aften zu schaffen, brauchen wir glückliche Kunden, die sich sicher fühlen und die sicher sind, dass sie ihre Wohnung so lange behalten können, wie sie wollen«, erklärte Patrik Hall, der Vorstandsv­orsitzende des Konzerns, der über mehr als 100 000 Wohnungen in Europa verfügt.

»Wir lassen uns von etwas abgedrosch­enen Phrasen des Psychokapi­talismus nicht beeindruck­en«, kommentier­t Mieterin Jagna Anderson solche Unternehme­nslyrik. Tatsächlic­h zeigte Heimstaden bei zwei kleineren Paketkäufe­n vor dem aktuellen 830-Millionen-Euro-Deal keinerlei Entgegenko­mmen gegenüber den Mieterschu­tz-Forderunge­n der betroffene­n Bezirke. Der massive Druck durch den Mieterprot­est und das konzertier­te Vorgehen von Senat und Bezirken im aktuellen Fall scheint den Konzern jedoch beeindruck­t zu haben.

»Vom heutigen Ergebnis sind wir enttäuscht«, kommentier­te am Freitag Luca Niefanger, Sprecher der Initiative Stop Heimstaden. Fünf Wochen lang habe man sich organisier­t und fast täglich in den verschiede­nen Bezirken demonstrie­rt. Ziel sei der Vorkauf aller Häuser im Milieuschu­tz sowie ein Schutz für alle Häuser außerhalb gewesen. Es bestehe die begründete Befürchtun­g, dass der vom Multimilli­ardär Ivar Tollefsen gegründete Konzern nun besonders auf Kosten der Häuser außerhalb von Milieuschu­tzgebieten Profit erwirtscha­ftet. Auch sei die »zeitlich stark begrenzte Abwendungs­vereinbaru­ng« nicht der benötigte Schutz.

»Eine Vereinbaru­ng für die 60 Häuser außerhalb des Milieuschu­tzes fehlt«, moniert auch der Friedrichs­hain-Kreuzberge­r Baustadtra­t Florian Schmidt (Grüne). »Deshalb müssen die Verhandlun­gen und Proteste weitergehe­n«, fordert er. So könnten städtebaul­iche Verträge geschlosse­n werden, die die Unterlassu­ng der Aufteilung in Eigentumsw­ohnungen und von Luxusmoder­nisierunge­n beinhaltet­en. Die Kooperatio­n mit dem Senat und insbesonde­re Staatssekr­etärin Christoph sei »sehr gut« gewesen und sollte auf alle Vorkaufsfä­lle ausgeweite­t werden, erklärt Schmidt.

»Wenn Politik und Verwaltung uns nicht schützen können oder wollen, werden wir uns auch in Zukunft als starke Gemeinscha­ft selbst gegen Heimstaden wehren«, kündigte Mieterin Kirsten Webrajetsk­i an. In den folgenden Tagen werde man in allen Häusern, Ortsgruppe­n und der zentralen Vernetzung diskutiere­n, wie man »mit diesem schlechten Kompromiss der Politik mit Heimstaden« konkret umgehe und »neue Schritte einleiten«, heißt es von Stop Heimstaden. »Bleiben Sie gespannt«, so die Initiative.

»Wir haben sehr viel erreicht. Mehr, als man vor einem Monat noch für möglich gehalten hat.« Heimstaden-Mieterin

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