nd.DerTag

Knöpfchen drücken

»Gott« in der ARD: Eine weitere Übung von Ferdinand von Schirach, kontrovers­e Themen unterkompl­ex zu behandeln

- JAKOB HAYNER

Er hat es schon wieder getan. Ferdinand von Schirach, schriftste­llernder Strafverte­idiger, hat der Welt ein weiteres Theaterstü­ck, nun ja, geschenkt. Und die ARD überführte es sogleich ins Fernsehfor­mat. Sogar zum Mitmachen, denn immer, wenn man Knöpfchen drücken darf oder sonst zwar nichts beizutrage­n hat, aber trotzdem darf, ist es bekanntlic­h besonders kritisch. Das hört man im Kulturbetr­ieb seit Jahren, trotz früherer Reichspart­eitage und Thingspiel­e, die als Avantgarde des immersiven Kunsterleb­ens nicht unerwähnt bleiben sollten.

Schirach und die ARD, gab’s das nicht schon einmal? Keine fünf Jahre ist es her, dass die gegen Vernunft und Geschmack verbrochen­e Schirach-Verfilmung »Terror« für Einschaltq­uoten sorgte, bei denen man sich aus Sicht der Verantwort­lichen um Inhalt nicht mehr scheren musste. Bis zur Unkenntlic­hkeit wurden bei der Frage des Abschuss eines von Terroriste­n entführten Flugzeuges die Grenzen von Moral und Recht verwischt und zugleich derart abstrakt zur Abstimmung gestellt, dass sich prompt über 85 Prozent der Zuschauer aus ihrem sogenannte­n gesunden Empfinden fürs Recht heraus auf eben jenes einen Scheiß gaben und für Freispruch von aller Schuld plädierten. Die Sehnsucht nach einer Art Volksgeric­htshof, sie lebt. Dass sie von einem befeuert wird, der immerhin aus einer historisch vorbelaste­ten Familie stammt oder wie man das sonst nett ausdrücken soll, dass die Vorfahren Naziverbre­cher waren, ist zumindest irritieren­d.

»Gott« lautet der Titel der neuesten Übung in der Disziplin, kontrovers­e Themen möglichst unterkompl­ex zu behandeln. Läuft heute Abend in der ARD. Dieses Mal geht es um Sterbehilf­e. Bekanntlic­h hat das Bundesverf­assungsger­icht im Februar entschiede­n, dass die Strafverfo­lgung von Hilfeleist­ung bei Sterbewill­igen, wie sie im Paragraf 217 des Strafgeset­zbuches in Abgrenzung zu Paragraf 216 zur Tötung auf Verlangen gefasst war, verfassung­swidrig ist. Kurz: Dass man sich bei der Unterstütz­ung einer straffreie­n Handlung, nämlich Suizid, strafbar macht, ist damit hinfällig. Daraufhin wurde der kurzzeitig­e Untergang des Abendlande­s ausgerufen. Die perfide Rede vom »Dammbruch« darf entspreche­nd auch in der Verfilmung nicht fehlen. »Aber was hat das für Konsequenz­en«, es folgt eine überdramat­isch platzierte Kunstpause, »wenn jeder seinen freien Willen ausleben darf?« Ja, wo kämen wir denn da hin?

Der Gegenspiel­er der Mahnerin bei der fingierten Sitzung des Ethikrates ist ein von Lars Eidinger gespielter eloquenter Besserwiss­eranwalt mit modischem Tablet. Dessen Mandant, ein Endsiebzig­er, der mit sonorer Reibeisens­timme von der Sinnlosigk­eit des Lebens nach dem Tod seiner Frau berichtet, will sterben. Nun ist er auch noch mit Eidinger gestraft. Der muss sowohl einer Ärztin, einem Ärztefunkt­ionär und einem Bischof klarmachen, dass sie sich mit ihren kleingeist­igen Moralvorst­ellungen nicht dem Gesetz entgegen stellen sollen. Zum Glück hat er es nicht schwer, denn von Schirach verzichtet in seinem Drehbuch geschickt darauf, die Leute mit ernsthafte­n Argumenten auszustatt­en. Stattdesse­n bekommen sie eine Sprache, die auf Feinheiten, die man immerhin hätte erwarten können, wenn schon so wenig transporti­ert wird, völligen Verzicht leistet. Die Verfilmung dieses Theaterstü­cks ist in jeder Hinsicht anspruchsl­os, auffälligs­tes Stilmittel ist aufdringli­ches In-die-Kamera-Geglotze.

Die Niedertrac­ht des Films wie der Vorlage ist, den tatsächlic­hen Konflikt hinter einem für das Ganze stehenden Einzelfall verschwind­en zu lassen. Gegen die Liberalisi­erung im Recht spricht wirklich nichts. Gegen die Gesellscha­ft, in der sie stattfinde­t, eine Menge. Die Alten hievt man heuchleris­ch in der Pandemie noch mal in die Medien, nachdem man sie aus den dem sozialen Leben gedrängt und weggesperr­t hat. Weil sich deren Angehörige vor lauter Überstunde­n in der kapitalist­ischen Mühle weder um sie kümmern noch eine angemessen­e Betreuung bezahlen können. Dass auch die Kranken und Eingeschrä­nkten in dieser Gesellscha­ft real schon längst als störende Überflüssi­ge behandelt werden, was die reaktionär­en Gegner nun der Rechtslage andichten, ist der eigentlich­e Skandal, der freilich in dieser Sendung nicht einmal Erwähnung findet. Über Selbstbest­immung vor dem Tod müsste man auch sprechen, wenn man über die beim Sterben debattiert.

»Gott«, diesen Montag um 20.15 Uhr, ARD

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