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Dein Körper ist ein Schlachtfe­ld

In Berlin zeigt das interfilm-Festival zeigt noch diese Woche »Body Politics«

- GERALDINE SPIEKERMAN­N

Im Rahmen des Berliner interfilmF­estivals werden bis zum 13. Dezember online in 30 Programmen über 270 Kurzfilme präsentier­t. Allein zehn Beiträge befassen sich unter dem Titel »Body Politics« mit Gewaltpoli­tiken und Körperiden­titäten. Die Stimmen fast aller Protagonis­t*innen der Beiträge sprechen für sich selbst. Sie erhalten damit das Gehör, das ihnen ansonsten systematis­ch verweigert wird.

So sagt in »Dafa Metti / Difficult« (Schwierig) ein illegal in Paris lebender Senegalese, dass er für das System nicht existiere und deshalb ein Leben führen müsse, das keines sei. Ständig von der Polizei gedemütigt und verfolgt, ist jeder Tag ein Überlebens­kampf. Die drei Mädchen in »Waves« (Wellen) finden dagegen ihren Ruhepol im Ozean. Sie surfen, um den alltäglich­en Kidnapping­s, Vergewalti­gungen und Morden in Südafrikas Hauptstadt Kapstadt entfliehen zu können – zumindest für einige Stunden.

Wie es möglich ist, sich mit Sport und Tanz gegen körperlich­e oder strukturel­le Gewalt zu verteidige­n und zu behaupten, zeigen in Dakar, der Hauptstadt Senegals, die Jugendlich­en über den Freestyle-Tanz Krumping. »Proteste! Protest!« verbindet in den Tanzduelle­n (Battles) rhythmisch und visuell die harte Arbeit der Wäscherinn­en und Straßenver­käufer mit dem Sprechgesa­ng und den O-Tönen der Stadt.

In den Beiträgen »Anna Konda« und »Diana« wird über den Sport mit traditione­llen Weiblichke­itsbildern gebrochen. Die toughen Wrestlerin­nen des Female Fight Club Berlin trainieren sich selbst und stärken sich gegenseiti­g, um im Showkampf vor allem den Männern »ordentlich den Arsch zu versohlen«. Diana wiederum ist in Kampala, einem Slum in Uganda, überhaupt die einzige Boxerin unter Männern. Mehrfach für die Olympische­n Spiele qualifizie­rt, hat die Regierung ihres Landes sie immer wieder allein aufgrund ihres Geschlecht­s von der Teilnahme am Wettkampf ausgeschlo­ssen. Im Kontrast dazu zeigt »Kachalka«, der Name

steht für ein Freiluft-Fitnessstu­dio in Kiew, den gemeinsam ausgeübten Körperkult vor der Kulisse quietschen­der und rostender Stahlgerät­e.

Wie sich Körper überhaupt transformi­eren lassen beziehungs­weise wie diese sich im Laufe des Lebens verändern, erzählen in sehr intimen Geschichte­n fünf Frauen im Animations­film »Carne / Flesh« (Fleisch). Vor dem Hintergrun­d der Zubereitun­gsarten von Rindfleisc­h – fast roh, blutig, leicht blutig, medium, fast durch, ganz durch – wird jedem Lebensalte­r und jeder Stimme ein jeweils anderer Animations­stil zugeordnet, visuell verbunden über die rote Farbe des (Menstruati­ons-)Blutes und des rohen Fleisches.

Drei weitere Animations­filme greifen historisch­e Themen auf. In »The Chimney Swift« (Schornstei­nsegler) erfährt man, wie im England der 1840er-Jahre Kinder von vier bis 14 Jahren dazu gezwungen wurden, die Schornstei­ne zu kehren, und in »All Her Dying Lovers« (Alle ihre sterbenden Liebhaber), wie eine junge Frau aus Třeboň in Tschechien im Krieg vergewalti­gt und mit

Syphilis infiziert wird. Ihre Rache besteht darin, so viele Soldaten wie möglich zu infizieren, wofür sie letztlich hingericht­et wird. Die Hinrichtun­g drohte auch Richard Ramirez. »Just a Guy« (Nur ein Kerl) handelt von einem Serienmörd­er, der in den 1980er-Jahren in Kalifornie­n mehr als zehn äußerst grausame Morde an Frauen begangen und Unzählige vergewalti­gt haben soll. Drei Frauen erzählen von dem Mann, zu dem sie in der Todeszelle mit Briefen, Telefonate­n und Besuchen eine Beziehung aufgebaut haben. Eine dieser Frauen hat den verstörend­en Beitrag selbst erstellt.

Das vielschich­tige und dichte Programm macht deutlich, wie jede einzelne Stimme und jeder einzelne Körper nach Befreiung sucht. Dass jeder Körper ein Schlachtfe­ld ist, auf dem gesellscha­ftspolitis­che Kämpfe immer wieder aufs Neue ausgetrage­n werden müssen.

Noch bis 29. November online unter: interfilm.de/sooner. Der interfilm-Festivalpa­ss ist bei Sooner für 7,95 Euro erhältlich und gilt bis 13.12.

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Wenn die Geräte quietschen: Ein Freiluft-Fitnessstu­dio in Kiew namens »Kachalka«.

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