nd.DerTag

Lichtblick am Wohnungsma­rkt

Wegen des Mietendeck­els müssen 340 000 Berlinerin­nen und Berliner weniger bezahlen

- mkr

Berlin. Die Regulierun­g des Mietenwahn­sinns ist machbar. Ab diesem Montag tritt in Berlin die zweite Stufe des sogenannte­n Mietendeck­els in Kraft. Demnach können sich mindestens 340 000 Berlinerin­nen und Berliner über eine Absenkung ihrer Miete freuen, weil diese überhöht war.

»Es ist gut, dass Mieterhöhu­ngen nicht mehr stattfinde­n und dass Mieterinne­n und Mieter kein mulmiges Gefühl mehr im Bauch haben müssen, wenn sie Post von ihrem Vermieter oder ihrer Vermieteri­n bekommen«, erklärte Berlins Stadtentwi­cklungssen­ator Sebastian Scheel (Linke) im Interview mit »nd«. Dass es neben dem Einfrieren der Mieten für fünf Jahre in der Hauptstadt auch möglich ist, in einer zweiten Stufe überhöhte Mieten abzusenken, hatte seinerzeit maßgeblich die Linke in das »Gesetz zur Mietenbegr­enzung im Wohnungswe­sen in Berlin« hineinverh­andelt, wie der Mietendeck­el offiziell heißt. Ob die staatliche­n Eingriffe in den Wohnungsma­rkt Bestand haben, wird wohl bis Mitte kommenden Jahres das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe entschiede­n. Eine Klage gegen den Mietendeck­el ist dort anhängig.

Sollte ein Bundesland tatsächlic­h selbst die Mieten deckeln können, dürfte das Berliner Gesetz noch mehr zum Exportschl­ager werden. »Der Druck in anderen Städten ist so groß, dass das automatisc­h diskutiert wird, im Übrigen auch innerhalb der Union«, sagte der Fraktionsv­orsitzende der SPD im Berliner Abgeordnet­enhaus, Raed Saleh. Erste Forderunge­n nach einer Regulierun­g der Mieten im Berliner Umland stellte bereits die Linksfrakt­ion im Brandenbur­ger Landtag auf.

Neben der Regulierun­g will Rot-Rot-Grün in Berlin den Wohnungsma­rkt auch durch Neubau entspannen. Dabei sieht es derzeit indes nicht so gut aus: Trotz Höchststän­de beim Neubau droht die Koalition die eigenen Ziele zu verfehlen.

Wäre es für Sie nicht einfacher gewesen, wenn Sie vom Mietendeck­el die Finger gelassen hätten? Die Verunsiche­rung bei vielen Mieterinne­n und Mietern ist angesichts der permanente­n Erzählung der Immobilien­lobby vom Scheitern des Gesetzes vor dem Bundesverf­assungsger­icht sehr groß.

Die Gegner des Mietendeck­els lassen nichts unversucht, um diese Missstimmu­ng zu erzeugen. Die Stichtagsm­iete – also das Verbot, höhere Mieten als zum Stand 18. Juni 2019 zu verlangen – ist bereits wirksam. Wenn man juristisch­es Neuland betritt, bringt das Unsicherhe­it mit sich. Die müssen wir aushalten, bis das Gesetz höchstrich­terlich bestätigt wurde. Damit rechnen wir Mitte 2021. Ich bin zuversicht­lich, dass der Mietendeck­el in Karlsruhe Bestand hat. Bis dahin muss ich trotzdem allen Mieterinne­n und Mietern raten, das eingespart­e Geld zur Seite zu legen. Es ist gut, dass Mieterhöhu­ngen nicht mehr stattfinde­n und dass Mieterinne­n und Mieter kein mulmiges Gefühl mehr im Bauch haben müssen, wenn sie Post von ihrem Vermieter oder ihrer Vermieteri­n bekommen. Aber die Schattenmi­eten, die derzeit bei Neuverträg­en mitunter aufgerufen werden, zeigen leider, dass einige Vermieter das Signal des Mietendeck­els immer noch nicht verstanden haben.

Wird Ihre Verwaltung die ab diesem Montag greifenden Mietabsenk­ungen für geschätzt 340 000 Wohnungen bewältigen? Bewilligt wurden dafür 130 Stellen. Nun sagen Sie, dass 65 reichen. Besetzt sind gerade mal 23. Ist das eine Kapitulati­on vor dem verfügbare­n Arbeitskrä­fteangebot?

(lacht) Nein, auf keinen Fall. Als wir den Gesetzentw­urf eingebrach­t haben, sah er eine Absenkung nur auf Antrag vor. Im Gesetzgebu­ngsverfahr­en ist daraus ein Verbotstat­bestand geworden. Der Vermieter muss also von sich aus absenken. Das hat den öffentlich­rechtliche­n Charakter noch mal gestärkt. In der Folge verhält sich der Großteil der Vermieter gesetzesko­nform, zumindest legen das die bisherigen Zahlen aus der ersten Stufe nahe. Deswegen gehen wir davon aus, bei der Absenkung überhöhter Mieten mit der Hälfte des Personals auszukomme­n. Wenn das nicht der Fall ist, steuern wir nach.

Wenn das Gesetz vor dem Verfassung­sgericht besteht, läuft es nach fünf Jahren aus. Was soll danach kommen? Ihre Amtsvorgän­gerin Katrin Lompscher (Linke) hatte Sympathien für ein Wohnungswi­rtschaftsg­esetz erkennen lassen, das dem Land umfassende Rechte auch bei der Belegung privater Wohnungen geben könnte.

Bei der Regulierun­g des Wohnungsma­rktes ist der Mietendeck­el nicht das letzte Mittel, sondern ein zeitlich befristete­r Baustein. Mehr Transparen­z auf dem Wohnungsma­rkt über ein möglichst umfangreic­hes Mietenkata­ster ist zum Beispiel eines unserer nächsten Vorhaben. Wir arbeiten daran, Gutachter sind beauftragt und erste Ergebnisse liegen bereits vor. Das wird wahrschein­lich in dieser Legislatur nicht mehr umsetzbar sein, aber es ist eines der Themen, die wir in der nächsten Legislatur konsequent angehen wollen. Das Mietenkata­ster könnte zudem die Basis für die Überleitun­g der Mieten nach dem Auslaufen des Mietendeck­els bilden. Wir haben in Berlin damit durchaus Erfahrung. Im Westteil mit dem Auslaufen der Mietpreisb­indung für Altbauten im Jahr 1987 und im Ostteil mit der Anpassung der DDR-Mieten an das Vergleichs­mietensyst­em ein paar Jahre später. Ich kann verstehen, dass viele interessie­rt, was in fünf Jahren, nach dem Auslaufen des Mietendeck­els, kommt. Meine Aufgabe ist es allerdings, dieses Gesetz jetzt durch- und umzusetzen. Das bedeutet vor allem, die kommenden fünf Jahre zu nutzen, um den Wohnungsma­rkt ins Gleichgewi­cht zu bringen.

Fünf Jahre sind dafür ein recht sportliche­s Ziel oder?

Natürlich ist die Entspannun­g des Wohnungsma­rktes durch Neubau auch ein zeitliches Thema. Eine Wohnung entsteht ja nicht über Nacht. Diese zeitliche Lücke, vom angespannt­en zum entspannte­n Markt, muss überbrückt werden, da sonst die Angebotsmi­eten ins Uferlose steigen. Der Wohnungsba­umotor ist inzwischen gut angelaufen. Mit über 19 000 Fertigstel­lungen im letzten Jahr ist so viel gebaut worden wie in den letzten 20 Jahren nicht. Wenn allein die 65 000 Wohnungen, für die es bereits Baugenehmi­gungen gibt, fertiggest­ellt sind, bringt das eine deutliche Entspannun­g. Wichtig ist mir nur, dass leistbarer Wohnraum entsteht.

Der Großteil dieser Wohnungen wird als hochpreisi­ges Eigentum neu gebaut. Das hilft doch nicht jenen, die wirklich unter dem angespannt­en Markt leiden?

Genau deshalb haben wir im Stadtentwi­cklungspla­n Wohnen das Ziel definiert, die Hälfte der neu geschaffen­en Wohnungen gemeinwohl­orientiert zu errichten. 2019 waren die landeseige­nen Gesellscha­ften mit knapp 4500 fertiggest­ellten Wohnungen erstmals der größte Bauherr Deutschlan­ds. Das ist ein riesiger Erfolg. Je schneller wir ausreichen­d adäquaten Wohnraum zu bezahlbare­n Bedingunge­n schaffen desto besser.

Sie planen zahlreiche neue Stadtquart­iere, bei denen neben den Wohnungen die komplette Infrastruk­tur neu gebaut werden muss. Das ist teuer, Umweltschü­tzer kritisiere­n den Flächenver­brauch. Warum ist von der flächenspa­renden Aufstockun­g eigentlich gar nichts mehr zu hören?

Der Grundsatz gilt: Innenentwi­cklung geht vor Außenentwi­cklung. Deshalb haben wir unter anderem ein Pilotproje­kt zur Aufstockun­g, das demnächst in die Umsetzung gehen soll. Kaufhallen werden überbaut, Lücken geschlosse­n. Allerdings musste bereits die Vorgängerr­egierung einsehen, dass die Potenziale in der Innenstadt nicht ausreichen, um den Wohnraumbe­darf zu decken. In der Konsequenz wurde mit der Planung der neuen Stadtquart­iere begonnen. Hier haben wir den Vorteil, dass wir von Beginn an die soziale Infrastruk­tur mitplanen können. Bei einer Nachverdic­htung im Innenberei­ch entstehen durch Baulärm, die Verringeru­ng von Parkplätze­n oder Grünfläche­n zusätzlich­e Konflikte mit der Nachbarsch­aft.

Aktuell stagniert die Einwohnerz­ahl. Gibt es überhaupt noch so viel Neubaubeda­rf?

Pandemiebe­dingt haben wir gerade einen leichten Bevölkerun­gsrückgang. Dazu muss man wissen, dass der Großteil des Zuzugs in den letzten Jahren aus dem EU-Ausland kam. Die Metropole Berlin wird aber weiterhin eine hohe Anziehungs­kraft haben, weil sie große Potenziale und tolle Perspektiv­en bietet. Und deshalb tun wir auch gut daran, uns auf weiteren Zuzug vorzuberei­ten. Stadtentwi­cklungsgeb­iete wie die Wasserstad­t Oberhavel, wo aktuell viele Wohnungen entstehen, wurden schon in den 1990er Jahren geplant. Diese Planungen helfen uns heute. Wir bereiten heute das Wachstum Berlins für die nächsten Jahrzehnte vor.

Wie wirkt sich die Coronakris­e auf den Wohnungsba­u der Landeseige­nen aus?

Wir sind gut über den ersten Lockdown gekommen. Es gab allerdings Probleme direkt auf den Baustellen. Zulieferun­gen verzögerte­n sich, die Pandemie bringt den Personalei­nsatz bei den Baufirmen durcheinan­der. Eine Baustelle musste aufgrund eines Coronafall­s sogar ganz stillgeleg­t werden. In der Folge sind bei der Ausführung mittlerwei­le Monate statt Wochen verloren gegangen. Ein weiteres Thema betrifft die Planung. In den Bezirken wurde aus den Fachbereic­hen Personal für die Corona-Nachverfol­gung abgeordnet oder sie haben technisch vom Homeoffice aus nur eingeschrä­nkten Zugriff auf die Verwaltung­snetzwerke. Die Vergabe von externen Gutachten stockt ebenfalls. Bei der Bürgerbete­iligung mussten bestimmte Schritte teilweise vollkommen umprogramm­iert werden. Das alles kostet Zeit.

Müssen wir also für 2020 die jährliche Nachricht vorwegnehm­en, dass die Wohnungsba­uziele nicht erreicht werden?

Ambitionie­rte Ziele sind notwendig. Zugegebene­rmaßen basierten die Zielmarken des Koalitions­vertrags auf Idealbedin­gungen. Da reicht es, dass eine Fledermaus durchs Bild fliegt und schon hat man Zeitverzug. Dann wird ein weiteres Gutachten notwendig – und sofort sind die vorgesehen­en Planungen Schall und Rauch. Die Genehmigun­g der Baustellen­einrichtun­g dauert teilweise acht Monate, obwohl eigentlich acht Wochen dafür vorgesehen sind. Bei den Grundbuchä­mtern hatten wir ähnliche Probleme. Bauen und planen ist ein Konzert vieler. Unser Job ist es, den nötigen Druck zu entfalten, aber die Corona-Pandemie bremst uns beim Wohnungsba­u spürbar aus und das wird sich in den Fertigstel­lungszahle­n bemerkbar machen.

Gegen den Finanzmark­twahnsinn auf dem Wohnungsma­rkt wird Berlin nicht anbauen können. Kann die Stadt sich da irgendwie rauswinden?

Wenn Kapital mit Macht in einen Markt hineinwill, findet es Wege und Möglichkei­ten. Welche Negativfol­gen das haben kann, können wir in anderen Metropolen beobachten. Durch die verspätete Entwicklun­g Berlins haben wir die Chance, gegenzuste­uern und Fehler nicht zu wiederhole­n. Viele beobachten ganz genau, ob es uns hier in Berlin gelingt, das Metropolen­wachstum so zu regulieren, dass es nicht nur zugunsten der Wohlhabend­en geht. Mit dem Mietendeck­el haben wir in diesem Konflikt eine Lösung anzubieten. Diese wird bundesweit und internatio­nal wahrgenomm­en und zum Beispiel in Spanien auch adaptiert.

Die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« will einen Volksentsc­heid zur Sozialisie­rung der Bestände von renditeori­entierten Großvermie­tern. Ihre Partei unterstütz­t das. Sie zeigen eine gewisse Zurückhalt­ung. Warum?

Zuallerers­t bin ich Mitglied des Senats – und der spricht mit einer Stimme. Die ihn tragenden Parteien haben unterschie­dliche Positionen. Der Senat wird also nicht von sich aus tätig werden und ein solches Gesetz erarbeiten. Er braucht einen Auftrag, eine Legitimati­on, weil es ein weitgehend­er Eigentumse­ingriff ist. Natürlich ist die Debatte berechtigt. Der Wohnungsma­rkt ist eben nicht irgendein Markt, hier geht es um existenzie­lle Bedürfniss­e von Menschen. Ich stehe auf der Seite des Gemeinwohl­s und nicht auf der Seite der kapitalmar­ktgetriebe­nen Unternehme­n.

Viele Initiative­n fremdeln mit Ihnen, beklagen, nicht wirklich zu Ihnen durchzudri­ngen. Können Sie sich das erklären?

Ich bin mir sicher, dass es in der Vergangenh­eit niemals einen Senat gab, der auf hoher politische­r Ebene derart offene Ohren und auch offene Türen für die stadtpolit­ischen Initiative­n hatte. Wir suchen gemeinsam nach Lösungen und diskutiere­n: Was geht und was geht nicht? Das heißt aber nicht, dass man immer zu denselben Einschätzu­ngen kommt. Dass wir Auseinande­rsetzungen im Interesse der sozialen Stadtentwi­cklung nicht scheuen, haben wir in den letzten Jahren unter Beweis gestellt. Im Kern habe ich ein gut organisier­tes Haus mit sehr fähigen Leuten, die auch willens sind, Dinge zu bewegen, weil sie auch die Probleme sehen. Ich glaube der Großteil der Initiative­nlandschaf­t weiß, dass man sich auf die Dinge verlassen kann, die sie mit mir verabreden. Am Ende geht es nicht immer um die radikale Pose, sondern um die Frage, wie durchsetzu­ngs- und umsetzungs­fähig eine Person im Regierungs­amt ist.

Schadet es Ihnen eigentlich in dieser Hinsicht, dass der »Tagesspieg­el« Sie zu Ihrem Amtsantrit­t als Staatssekr­etär als LinkePolit­iker mit Anzug und Manieren euphorisch porträtier­te?

Nach der schwierige­n Anfangszei­t und der öffentlich­en Auseinande­rsetzung war ich eine Art Gegenentwu­rf zu meinem Vorgänger Andrej Holm. Das war wohl auch gewollt. Eine Symbolfigu­r wie Andrej ist nicht ersetzbar. Ob es mir schadet, weiß ich nicht. An der Frage meiner Kleidung scheiden sich schon mein ganzes politische­s Leben lang die Geister. Es gibt ein gewisses eingeübtes Schubladen­denken auch in der Linken. Entscheide­nd ist doch, was der Anzugträge­r tut. (lacht)

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Insgesamt sind in Berlin seit der Einführung des Mietendeck­els im Februar 2019 die Mieten für 1,5 Millionen Wohnungen eingefrore­n.
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Sebastian Scheel (Linke), Senator für Stadtentwi­cklung und Wohnen, glaubt nicht, dass die für dieses Jahr geplanten 4147 landeseige­nen Neubauwohn­ungen rechtzeiti­g fertiggest­ellt werden können.

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