nd.DerTag

Beschwerde gegen Überwachun­gspaket

Nach Ansicht von Juristen verletzen neue Befugnisse für Sicherheit­sbehörden in Hamburg Grundrecht­e

- DANIEL LÜCKING

Organisati­onen, die sich für die Rechte von Bürger*innen einsetzen, haben Verfassung­sbeschwerd­e gegen Regelungen im neuen Hamburger Polizeiges­etz eingelegt, um das Ausspähen privater Kommunikat­ion zu verhindern.

Die Initiative, die Verbände und Einzelpers­onen am Montag gestartet haben, mag vordergrün­dig wie eine lokale wirken, da es um Polizei und Verfassung­sschutz in Hamburg geht. Doch die Überwachun­gsmaßnahme­n, gegen die sich eine Verfassung­sbeschwerd­e von Journalist*innen und Jurist*innen richtet, werden auch auf Bundeseben­e diskutiert. Zudem gibt es ähnliche Gesetzesno­vellen in anderen Bundesländ­ern.

»Auf Smartphone­s und Computern befinden sich Unmengen an höchstpers­önlichen Daten. Sehr viel mehr Daten, als man noch vor 30 Jahren von einer Wohnungsdu­rchsuchung hätte erwarten können«, erläuterte Bijan Moini von der Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte. Moini hat bereits die Verfassung­sbeschwerd­e gegen das BND-Gesetz koordinier­t, das derzeit angepasst werden muss. Im aktuellen Fall vertritt er die Vereinigun­g Demokratis­cher Jurist*innen, die Humanistis­che Union Hamburg und die Deutsche Journalist­innenund Journalist­en Union sowie Einzelpers­onen, unter ihnen die Taz-Redakteuri­n Katharina Schipkowsk­i. Sie ist von den Folgen der Überwachun­gsmaßnahme­n in ihrer Arbeit direkt betroffen: »Wenn Polizei und Geheimdien­ste mitlesen, können wir keinen Quellensch­utz mehr gewährleis­ten.«

Neben dem Staatstroj­aner, der durch das Ausnutzen von Sicherheit­slücken zur Gefahr für alle Bürger*innen wird, ist vor allem das Datensamme­ln der Polizeien ein Problem. Sebastian Friedrich, der unter anderem für den NDR arbeitet, bekam die Folgen von durch Behörden »falsch« interpreti­erten Informatio­nen 2017 während des G-20-Gipfels in Hamburg zu spüren: Ihm wurde die Presseakkr­editierung entzogen. Eine von der Gewerkscha­ft

Verdi unterstütz­te Klage offenbarte den Grund: Das Bundespres­seamt hatte Friedrich als »Gefährder« angesehen. Basis dafür waren sehr vage Informatio­nen des Berliner Verfassung­sschutzes. »Seitdem greifen extrem rechte oder rechtskons­ervative Politiker und Publiziste­n den Entzug meiner Akkreditie­rung immer wieder auf und versuchen, mich und meine journalist­ische Arbeit so zu diskrediti­eren«, berichtet Friedrich.

Mit dieser Art der Diskrimini­erung ist der Journalist nicht allein. Insbesonde­re das für die Hamburger Polizei nun erlaubte »Predictive Policing« produziert immer wieder Fehleinsch­ätzungen. Bei der »vorausscha­uenden Polizeiarb­eit« werden große Datenmenge­n ausgewerte­t. Diese beziehen sich auf Verbrechen­sstatistik­en, aber auch auf personenbe­zogene Daten. Ziel ist es, Wahrschein­lichkeiten dafür zu ermitteln, dass Personen in naher Zukunft eine Straftat begehen oder Opfer einer solchen werden können.

Die Auswirkung­en zeigt die in der Mediathek der Bundeszent­rale für politische Bildung verfügbare Dokumentat­ion »Pre-Crime« von 2017. Menschen beschreibe­n dort, wie ihr Alltag durch falsche Zuordnunge­n in Polizeidat­enbanken jahrelang beeinträch­tigt wurde. Regelmäßig­e Hausbesuch­e der Polizei sind dabei ebenso ein Problem wie die immer neuen Datenquell­en, die zum Betrieb der Analysesof­tware benötigt werden. Auch verfälscht bereits die Erfassung von Daten wie der Häufigkeit von Polizeiein­sätzen in einem bestimmten Gebiet die Statistik und mindert den ohnehin schwer zu belegenden Mehrwert dieses Systems für die Verbrechen­sbekämpfun­g. Neben Hamburg nutzen derzeit Berlin, Niedersach­sen, Hessen, NordrheinW­estfalen sowie die Städte Nürnberg und München Predictive Policing. Welche Daten genau gesammelt werden und von wem überhaupt derartige Profile erstellt werden dürfen, ist unklar. Die Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte sieht damit die Grenzen überschrit­ten, die das Bundesverf­assungsger­icht für die Rasterfahn­dung gesetzt hat.

Insbesonde­re beim Einsatz des Staatstroj­aners drängt die Zeit, um juristisch dagegen vorzugehen. »Es hat eine neue Dimension, wenn nun auch der notorisch schlecht kontrollie­rte Verfassung­sschutz ein solches Instrument nutzen darf«, sagt Bijan Moini. »Wir mussten binnen Jahresfris­t gegen die Gesetzesgr­undlage dafür klagen, weil gegen heimliche Überwachun­gsmaßnahme­n kein anderer Rechtsschu­tz zur Verfügung steht.«

»Es ist gefährlich, wenn nicht nur der Verfassung­sschutz, sondern auch die Polizei zunehmend im Dunkeln agiert und die Tätigkeits­felder beider Behörden immer mehr verschmelz­en.«

Katharina Schipkowsk­i Klägerin

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Polizei und Verfassung­sschutz sammeln reichlich Daten und Datenschut­zverstöße.

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