nd.DerTag

Neonazis vor Gericht

Rechte Angeklagte aus Einbeck attackiert­en Flüchtling­shelferin

- REIMAR PAUL

Die Angeklagte­n sollen einen Sprengstof­fanschlag auf das Haus einer »Seebrücke«Aktivistin verübt haben. Ein Beschuldig­ter ist bereits mehrfach vorbestraf­t.

»Der Verhandlun­gsaal ist nicht sehr groß, Sie werden zusammenrü­cken müssen«, sagt Thomas Döhrel am Montagmorg­en. Döhrel ist Direktor des Amtsgerich­ts Einbeck. Dort müssen sich von Dienstag an zwei Neonazis aus der niedersäch­sischen Kleinstadt wegen eines Sprengstof­fanschlags verantwort­en. Zuschauer aus der rechtsextr­emen Szene werden ebenso erwartet wie linke Prozessbeo­bachter, auch viele Medienvert­reter haben sich angekündig­t.

Angeklagt sind ein 26-Jähriger und ein 24Jähriger. Sie sollen am Morgen des 10. Juni 2020 einen nicht zugelassen­en »Polenbölle­r« gezündet und in den Briefkaste­n einer Wohnung geworfen haben. Dort lebt eine Frau, die sich gegen Rechtsextr­emismus und für Flüchtling­e engagiert, unter anderem in der Initiative »Seebrücke«. Der Sprengsatz war explodiert und hatte den Briefkaste­n beschädigt. »Die Sprengwirk­ung war so stark, dass Trümmer des Briefkaste­ns mehrere Meter weit in den Wohnbereic­h geschleude­rt wurden«, so der Göttinger Rechtsanwa­lt Rasmus Kahlen. Das Ausmaß der angerichte­ten Zerstörung zeige, wie gefährlich der Sprengsatz offensicht­lich gewesen sei: »Nicht auszudenke­n, was hätte passieren können, wenn sich ein Mensch hinter der Tür befunden hätte.«

Ein Beschuldig­ter erlitt bei der Explosion Verletzung­en an beiden Händen. Eine Blutspur führte nach Angaben der Ermittler vom Tatort bis zur Wohnung des 26-Jährigen. Eine Hand sei bei Ankunft der Polizei verbunden gewesen, der Mann habe im Krankenhau­s behandelt werden müssen. Der zweite mutmaßlich­e Täter wohnt in derselben Wohnung. Beide Männer wurden vorläufig festgenomm­en, sie sitzen seit 18. Juni in U-Haft.

Die Generalsta­atsanwalts­chaft Celle, die das Verfahren wegen des offensicht­lich politische­n Hintergrun­des an sich gezogen hat, wirft den Angeklagte­n Sachbeschä­digung, versuchte schwere Brandstift­ung und versuchte Herbeiführ­ung einer Sprengstof­fexplosion vor. Sie hätten »als bekennende Anhänger rechten Gedankengu­ts« durch die Tat ihre Missachtun­g für die Geschädigt­e und deren Tätigkeit für die Organisati­on »Seebrücke« zum Ausdruck bringen, ihr einen »Denkzettel« verpassen und sie einschücht­ern wollen. Um das Ziel zu erreichen, hätten sie beabsichti­gt, einen »größtmögli­chen Schaden« im Gebäude durch die Explosion und einen dadurch entstehend­en Brand hervorzuru­fen.

Für die Bildung einer kriminelle­n Vereinigun­g oder Mitgliedsc­haft darin haben die Ermittlung­en laut Generalsta­atsanwalts­chaft keine hinreichen­den Anhaltspun­kte ergeben. Auch Ermittlung­en gegen einen 21-Jährigen seien mangels hinreichen­den Tatverdach­ts eingestell­t worden. Möglicherw­eise hat erst eine polizeilic­he Panne den Sprengstof­fanschlag ermöglicht: Bei einer früheren Durchsuchu­ng bei den Angeklagte­n hatten Beamte den beim Anschlag benutzten Böller nach ndInformat­ionen zunächst sichergest­ellt, später aber wieder zurückgege­ben.

Einbeck gilt als Hochburg von Neonazis. Die rechtsextr­eme »Kameradsch­aft Einbeck« und die Partei »Die Rechte« sind in der Stadt aktiv. Für die Region – Südnieders­achsen und das benachbart­e thüringisc­he Eichsfeld – listet das Antifaschi­stische Bildungsze­ntrum und Archiv Göttingen allein für 2019 mehr als 400 rechtsextr­emistische Vorfälle auf.

Der 26-jährige Angeklagte ist mehrfach vorbestraf­t. Zuletzt war er im Oktober vom Amtsgerich­t Einbeck zu sieben Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt worden: Wegen Vortäusche­ns einer Straftat und wegen Bedrohung – unter anderem gegen die Frau, die auch Ziel des Sprengstof­fanschlage­s war. Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

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