nd.DerTag

Wo Rechte sich wohlfühlen

In sechs Monaten 418 derartig motivierte Straftaten in Thüringen

- SEBASTIAN HAAK, ERFURT

Im ersten Halbjahr 2020 registrier­te Thüringens Polizei viele Straftaten mit mutmaßlich politische­m Hintergrun­d – überwiegen­d wohl rechts motiviert. Für das zweite Halbjahr deutet sich Ähnliches an.

Ob er das Ergebnis erahnt hat, als er seine Kleine Anfrage an die Landesregi­erung gestellt hat? Jedenfalls lässt die Antwort des Thüringer Innenminis­teriums auf die Fragen des AfD-Landtagsab­geordneten Ringo Mühlmann nichts an Deutlichke­it vermissen. Dass der Polizist und Ex-Sprecher des Thüringer Landeskrim­inalamtes von der Regierung wissen wollte, wie es um die politisch motivierte Kriminalit­ät im Freistaat in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres bestellt ist, hat eine eindeutige Aussage hervorgebr­acht. Eine, die gar nicht in das Bild passt, das die AfD regelmäßig von Thüringen zu zeichnen versucht und demzufolge angeblich Horden von Linksextre­misten plündernd, brandschat­zend und mordend durchs Land ziehen.

Laut der Antwort auf die Anfrage Mühlmanns nämlich bleiben Bedrohunge­n durch rechts motivierte Straftäter für Thüringen im Bereich der politisch motivierte­n Kriminalit­ät das größte Sicherheit­srisiko. Denn auch im ersten Halbjahr 2020 erfasste die Landespoli­zei vor allem Straftaten, die sie dem rechten politische­n Spektrum zuordnete. Von 624 als politisch motiviert erfassten Delikten seien 418 Straftaten der rechts motivierte­n Kriminalit­ät zugeordnet worden, steht in der Antwort geschriebe­n. Das entspricht einem Anteil von etwa 67 Prozent am Gesamtstra­ftatenaufk­ommen im politische­n Bereich. Als links motiviert stufte die Polizei 129 der erfassten Fälle ein. 75 Fälle konnten die Polizei nicht in ihr klassische­s Raster einordnen, zwei gelten demnach als religiös motiviert.

Von den 418 mutmaßlich rechts motivierte­n Straftaten war der größte Teil sogenannte Propaganda­delikte. Fast 300 Fälle davon flossen in die Statistik ein. Dazu gehören klassische­rweise Hakenkreuz-Schmierere­ien oder das Zeigen des Hitler-Grußes. Allerdings waren auch neun Gewaltdeli­kte unter den als rechts motiviert eingeordne­ten Taten.

Zwar muss man sich wie immer im Umgang mit der Polizeista­tistik vor Augen führen, dass diese Angaben sich nur auf das beziehen, was Polizisten sehen. Oder sehen wollen. Im Thüringer Landtag gab es vor wenigen Tagen nicht ohne Grund einen verbalen Schlagabta­usch zwischen der LinkeLandt­agsabgeord­neten Katharina KönigPreus­s und Thüringens Innenstaat­ssekretär Udo Götze (SPD), bei dem König-Preuss fragte, ob Polizisten in Thüringen überhaupt in der Lage seien, antisemiti­sche Äußerungen zu erkennen. Grund für die Frage waren Ausführung­en Götzes, in denen er erklärte, bei Demonstrat­ionen von Corona-Leugnern in Thüringen haben die Polizei bislang keine antisemiti­stischen Straftaten festgestel­lt. Was eine durchaus überrasche­nde Antwort ist, wenn man sich solche Demonstrat­ionen aus der Nähe angeschaut und angehört hat. »Bitte verstehen Sie meine Antwort so, dass die Prüfung hier noch nicht abgeschlos­sen ist«, schob Götze noch hinterher.

Selbst wenn man also von den mehr als 400 rechts motivierte­n Straftaten im ersten Halbjahr 2020 nicht auf das tatsächlic­he Ausmaß der entspreche­nden Kriminalit­ät in Thüringen schlussfol­gern sollte, kann man daran doch gut die Relation zu anderen Kriminalit­ätsfeldern ablesen.

Daran, dass die Zahlen für das zweite Halbjahr 2020 ähnlich ausfallen werden, kann es keinen vernünftig­en Zweifel geben. Schon deshalb nicht, weil es erst vor wenigen Tagen auf einem Friedhof in Apolda einen Übergriff von Rechtsextr­emen auf einen Pfarrer gegeben hatte, der sie dabei gefilmt hatte, wie sie dort einen Kranz niederlegt­en. Seit Langem schon fühlen sich Neonazis in Thüringen wieder ziemlich wohl und sicher.

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