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»Es ist so gemein, was diesen Kindern angetan wird«

Nachwuchs als Politikum: Neurechte instrument­alisieren ihre Töchter und Söhne für den vermeintli­ch höheren Zweck

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Was hat Sie motiviert, eine Handreichu­ng für Sozialpäda­gogen zum Umgang mit rechten Familien zu erarbeiten?

Ich habe viele Jahre Jungenarbe­it in BerlinMarz­ahn gemacht und Erfahrunge­n mit Familien und Fragen des Kindeswohl­s gesammelt. Ich war die letzten Jahre in der Erwachsene­nbildung tätig und habe viel von pädagogisc­hen Fachkräfte­n aus ihrer Arbeit im gesamten Bundesgebi­et mitbekomme­n.

Vor einigen Jahren habe ich eine Weiterbild­ung als Verfahrens­beistand gemacht. Dabei habe ich mich vertieft mit Kindeswohl­gefährdung in neonazisti­schen Familien beschäftig­t. Meine Beschäftig­ung damit hat mich stellenwei­se extrem wütend gemacht, weil es so gemein ist, was diesen Kindern angetan wird.

Durch den Film »Kleine Germanen« wurde das Problem von Kindern in rechten Elternhäus­ern einer größeren Öffentlich­keit bekannt. Was halten Sie von der Dokumentat­ion?

Es hat ja verschiede­ne Kritiken an dem Film gegeben. Er basiert weitestgeh­end auf einer wahren Geschichte, die zugleich ein sehr bekannter Fall ist, den ich auch mehrfach in der Broschüre aufgreife. Die Protagonis­tin des Films, die dort »Elsa« genannt wird, ermöglicht Empathie, das finde ich gut. Zugleich fehlen in der Dokumentat­ion aber meines Erachtens einige relevante Aspekte neonazisti­scher Erziehung, zum Beispiel die häufig auftretend­en enormen Loyalitäts­konflikte bei den Kindern. Wirklich problemati­sch ist der Film da, wo er führenden Rechten extrem umfangreic­h und eher unkritisch Raum gibt.

Es gibt wenig Literatur über Kinder in Neonazifam­ilien. Woran liegt das?

Ich denke, dass einerseits die Entpolitis­ierung von »Privatheit« eine ganz zentrale Rolle spielt, wozu eben auch Familie und Erziehung gehören. Dann gibt es nach wie vor einfach wenig Forschung in Deutschlan­d zum Themenbere­ich Rechtsextr­emismus, auch wenn bei vielen Menschen ein anderer Eindruck vorherrsch­t. Viele, die in diesem Themenbere­ich forschen, folgen auch der angesproch­enen Trennung der als getrennt konstruier­ten Sphären privat auf der einen und öffentlich/politisch auf der anderen Seite. Das dürfte auch damit zu tun haben, dass es eine männliche Dominanz im Bereich der Rechtsextr­emismusfor­schung gibt und feministis­che Perspektiv­en nach wie vor marginal sind. Und natürlich ist es schwierig, hier zu forschen, weil diese Szenen stark abgeschott­et sind und es nur wenige gibt, die sich davon distanzier­en und aus dem Innenleben berichten.

Was soll der Titel »Funktional­isierte Kinder« ausdrücken?

Generell lässt sich sagen, dass Kinder in rechten Familienve­rbünden häufig für einen übergeordn­eten Zweck funktional­isiert werden, deswegen ist der Titel der Broschüre auch »Funktional­isierte Kinder«. Kinder spielen eine elementare Rolle für den Fortbestan­d der »Sippe«, der »Rasse« und des »Volks«, sie alleine garantiere­n Beständigk­eit für derartige ideologisc­he Konstrukti­onen.

Deswegen bekommen viele Rechte auch so viele Kinder. Exemplaris­ch lässt sich diese Funktional­isierung bei Neonazis zeigen, sie ist aber auf andere Beispiele übertragba­r.

Wann ist das Kindeswohl in rechten Familien gefährdet?

Die Frage lässt sich so nicht beantworte­n. Es ist immer eine Einzelfall­prüfung notwendig, was ich auch richtig finde. Eins der Dilemmata ist, dass es sowohl kindeswohl­gefährdend sein kann, ein Kind in der Familie zu belassen, als auch, es herauszune­hmen. Ein Dilemma dabei ist auch aus der Arbeit mit Kindern bekannt, die in christlich-fundamenta­listischen Gruppen aufwachsen. Mädchen und Jungen, die dort gegen ihren Willen herausgeno­mmen wurden, versuchten immer wieder, die ihnen zugewiesen­en Pflegefami­lien zu verlassen und zu ihren Eltern zurückzuke­hren, auch wenn sie dort nachweisba­r Zwangs- und Gewaltsitu­ationen zu erwarten hatten.

Für die Überprüfun­g, ob eine Kindeswohl­gefährdung vorliegt, ist es sehr wichtig, auch inhaltlich­e Aspekte einzubezie­hen wie beispielsw­eise eine neonazisti­sche Gesinnung der Eltern und Spezifika extrem rechter Erziehungs­stile. Das passiert meiner Wahrnehmun­g nach viel zu wenig. Hierfür habe ich in der Broschüre Punkte erarbeitet, die hoffentlic­h Eingang in die einschlägi­gen Listen zur Überprüfun­g einer Kindeswohl­gefährdung finden.

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