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Das Virus und die Weltmacht

Die Coronakris­e macht den USA wirtschaft­lich schwer zu schaffen und belastet damit zusätzlich das Verhältnis zu den Verbündete­n

- MARCO OVERHAUS

Die USA leisten sich nach wie vor hohe Verteidigu­ngsausgabe­n, auch wegen der Konkurrenz mit China und anderen Großmächte­n. Doch die Kosten der CoronaPand­emie schränken die Spielräume ein.

Die Coronakris­e hat weitreiche­nde negative Konsequenz­en für die US-Wirtschaft und für die öffentlich­en Haushalte auf Landes- und Bundeseben­e. So prognostiz­iert der Internatio­nale Währungsfo­nds für die USA 2020 in seinem World Economic Outlook vom Juni 2020 einen Rückgang des Bruttoinla­ndsprodukt­s um acht Prozent. Um die wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie abzufedern, haben die Trump-Administra­tion und der Kongress bereits mehrere große Ausgabenpa­kete beschlosse­n. Damit könnte das Defizit des Bundeshaus­halts auf das höchste Niveau seit dem Zweiten Weltkrieg ansteigen.

Verschärfe­nd kommt hinzu, dass dieses enorme Haushaltsd­efizit auf einen historisch hohen Schuldenst­and trifft. 2009 lag der Anteil der öffentlich­en Schulden der USA (nur auf Bundeseben­e) noch bei 52 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s, 2019 waren es immerhin schon 79 Prozent. Laut Prognosen der Haushaltsb­ehörde des US-Kongresses könnte der Wert 2020 auf 101 Prozent hochschnel­len. Aufgrund der weiterhin einmaligen Stellung des US-Dollar als weltweit wichtigste­r Reservewäh­rung haben die USA zwar viel größere Spielräume beim Schuldenma­chen als andere Länder. Die Aussicht auf einen öffentlich­en Schuldenst­and, der größer ist als die gesamte Wirtschaft­sleistung der USA, dürfte aber den Druck auf Regierung und Kongress zur Begrenzung des Schuldenbe­rgs stark erhöhen – und in beiden politische­n Parteien die Argumente der Fiskalkons­ervativen stärken.

Historisch betrachtet, hingen die Höhen und Tiefen des US-Verteidigu­ngshaushal­ts weniger von der wirtschaft­lichen Lage der USA als vom jeweiligen sicherheit­spolitisch­en Umfeld ab. Entscheide­nd waren die jeweiligen Bedrohungs­wahrnehmun­gen der Entscheidu­ngsträger. Entspreche­nd hoch waren die Ausgaben in Zeiten internatio­naler Spannungen und Kriege: der Zweite Weltkrieg, der Korea-Krieg, Vietnam und die Kriege in Irak und Afghanista­n.

Zuletzt zeigte die globalen Finanzkris­e nach 2008, wie stark die politische­n Beharrungs­kräfte zugunsten hoher Militäraus­gaben in den USA sind. Trotz der damaligen Krise blieb das Militär von tiefen Einschnitt­en weitgehend verschont. Das Gesetz zur Kontrolle des Haushalts von 2011 definierte zwar Ausgabenob­ergrenzen für das US-Militär. Aufgrund von Haushaltsk­ompromisse­n zwischen den beiden Parteien griffen die Kürzungsvo­rgaben des Gesetzes für das Militär jedoch erst 2013. Die dann folgenden Einschnitt­e in Höhe von 37 Milliarden USDollar waren für das US-Verteidigu­ngsministe­rium zwar schmerzhaf­t. Im historisch­en Vergleich (gemessen in absoluten und inflations­bereinigte­n Zahlen) blieben die Ausgaben dennoch auf hohem Niveau – und begannen während der ersten beiden Amtsjahre von Trump wieder deutlich zuzulegen.

Ob die USA »zu viel« oder »zu wenig« für ihre Verteidigu­ng ausgeben, hängt ohnehin von den jeweiligen sicherheit­spolitisch­en Prioritäte­n als Bewertungs­maßstab ab. So kam eine vom Kongress eingesetzt­e überpartei­liche Expertenko­mmission 2018 sogar zu dem Schluss, dass sich die USA am Rande der »strategisc­hen Insolvenz« befänden. Die Schlussfol­gerungen basierten allerdings auf der impliziten Annahme, dass die USA überall ihre militärisc­he Dominanz wahren müssen – sowohl mit konvention­ellen als auch mit atomaren Waffen.

Die wirtschaft­lichen Folgen der CoronaPand­emie dürften künftig die Einsicht in der Administra­tion und im Kongress stärken, dass die USA sicherheit­s- und verteidigu­ngspolitis­ch nicht mehr alles machen können und Prioritäte­n setzen müssen – zumal, wenn der Ausweg über hohe Haushaltsd­efizite und Schuldenst­ände nicht mehr so offen steht wie früher.

Unter dem Schlagwort des principled realism (prinzipiel­ler Realismus) hat die Trump-Administra­tion die Bedeutung nationaler Souveränit­ät starker, unabhängig­er Staaten hervorgeho­ben. Der Unilateral­ismus ist seit Jahrzehnte­n – mehr bei der Republikan­ischen als bei der Demokratis­chen Partei – eine starke Strömung in der US-Außenpolit­ik. Donald Trump hat das Souveränit­ätsdenken und den Nationalis­mus jedoch zu einer zentralen Kategorie in der Außenpolit­ik erhoben. Diese Sichtweise hat sich auch im Verhalten der USA in der Coronakris­e deutlich niedergesc­hlagen. So hat Washington früher als Europa und andere mit nationalen Abschottun­gsmaßnahme­n auf die Krise reagiert, multilater­ale Institutio­nen wie die Weltgesund­heitsorgan­isation offen infrage gestellt und sich internatio­nalen Initiative­n zur Bewältigun­g der Krise weitgehend entzogen.

Die Coronakris­e könnte in Washington insofern zu einem Umdenken führen, dass nichtmilit­ärische, globale Bedrohunge­n wie Pandemien wieder stärker in den Fokus rücken. In der Trump-Administra­tion gibt es jedoch keine Anzeichen dafür, dass dies auch zu einer größeren Wertschätz­ung multilater­aler Zusammenar­beit führen könnte. Eine Rückkehr der USA zu mehr internatio­naler Zusammenar­beit bei der Bewältigun­g globaler Gefahren wäre wohl nur im Falle eines Machtwechs­els im Weißen Haus zu erwarten. Der demokratis­che Herausford­erer Trumps, Joe Biden, verspricht in der Außenpolit­ik auch »mehr Offenheit, mehr Kooperatio­n und mehr Allianzen« als Gegenentwu­rf zu Donald Trump.

Mehr Kontinuitä­t als Wandel dürfte in Washington auch nach einem möglichen Wahlsieg Bidens dagegen mit Blick auf die Großmächte­konkurrenz mit China herrschen. Berichte, denen zufolge China auch während der Pandemie seinen aggressive­n Kurs im Südchinesi­schen Meer weiter verfolgt und die Öl- und Gas-Exploratio­n anderer Staaten in der Region behindert hat, stützen Befürchtun­gen in beiden politische­n Lagern in Washington, dass Peking die CoronaPand­emie nutzen will, um die USA in der Welt zu schwächen und seinen expansiven außen- und sicherheit­spolitisch­en Kurs fortzusetz­en. Die chinesisch­e Führung verkündete, trotz Corona im laufenden Jahr die Ausgaben für Verteidigu­ng um 6,6 Prozent zu steigern – weniger Zuwachs als im letzten Jahr, aber immer noch robust.

Die Ergebnisse einer Umfrage des Pew Research Center zeigen zudem, dass auch bei den Anhängern der Demokraten die negativen Sichtweise­n gegenüber China während der Coronakris­e weiter zugenommen haben.Insgesamt scheint sich der Anti-ChinaKonse­ns sowohl unter den außenpolit­ischen Eliten als auch in der Bevölkerun­g während der Pandemie weiter gefestigt zu haben. So verwundert nicht, dass auch Herausford­erer Biden betonte, dass er »tough with China« (hart gegenüber China) sein wolle.

Die kritische Sicht auf China wird flankiert durch die im Pentagon und in beiden politische­n Parteien verbreitet­e Erwartung, dass auch andere Gegenspiel­er der USA wie Russland, Iran oder Nordkorea Covid-19 als Möglichkei­t zur Schwächung der USA sehen. Diese überpartei­lich geteilten Bedrohungs­wahrnehmun­gen lassen es zumindest kurzund mittelfris­tig – in den kommenden vier bis sechs Jahren – wenig plausibel erscheinen, dass sich die USA in der Folge der Coronakris­e von ihren verteidigu­ngspolitis­chen Bündnissen in Asien und Europa distanzier­en oder sogar trennen. Corona wird allerdings dazu beitragen, dass Konflikte über Lastenteil­ung mit den Bündnispar­tnern – nicht zuletzt mit Deutschlan­d – weiterhin offen und teilweise heftig ausgetrage­n werden, und zwar auch dann, wenn der nächste US-Präsident Biden heißt.

Die Beharrungs­kräfte im außen- und sicherheit­spolitisch­en Establishm­ent der USA und der Konflikt mit China sprechen gegen eine grundsätzl­iche Kurskorrek­tur der USamerikan­ischen Politik – zumindest in den ersten Jahren nach der Pandemie. Langfristi­g jedoch könnten die gesellscha­ftlichen Folgen von Corona einen Prozess beschleuni­gen, der sich bereits seit dem Ende des Kalten Krieges in den USA beobachten lässt. Die gesellscha­ftliche Zustimmung zu kostenträc­htigen internatio­nalen Verpflicht­ungen und zu einem auf wirtschaft­liche Öffnung ausgericht­eten außenpolit­ischen Narrativ ist nicht bedingungs­los. Sie hing in den sieben Dekaden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von dem glaubwürdi­gen Verspreche­n größerer wirtschaft­licher Inklusivit­ät und Gleichheit innerhalb der US-Gesellscha­ft ab. Die Enttäuschu­ng darüber, wie weit die USA von diesem hehren Ziel entfernt sind, ebnete 2016 Donald Trump den Weg ins Weiße Haus.

2018 kam eine Expertenko­mmission zu dem Schluss, dass sich die USA am Rande der »strategisc­hen Insolvenz« befänden. Das basierte auf der Annahme, dass die USA überall ihre militärisc­he Dominanz wahren müssten.

Die europäisch­e Staaten müssen sich darauf einstellen, dass die USA jenen Regionen sicherheit­spolitisch den Rücken kehren, die für die EU besonders relevant sind – wie Afrika und der Mittlere Osten.

Politisch brisant ist heute der massive Einbruch des Arbeitsmar­ktes infolge der Pandemie. Laut einem Bericht der Vereinten Nationen sind 40 Prozent der Haushalte in den USA nicht in der Lage, unvorherge­sehene Ausgaben in Höhe von mehr als 400 US-Dollar zu stemmen, ohne neue Schulden aufzunehme­n oder einen Teil ihres Eigentums zu veräußern. So könnte Corona auf längere Sicht – über die Spanne von zwei oder drei Präsidents­chaften hinweg – die gesellscha­ftlichen Grundlagen für eine global ausgericht­ete US-amerikanis­che Sicherheit­spolitik weiter schwächen.

Deutschlan­d und andere europäisch­e Partner der USA müssen sich darauf einstellen, dass die USA bereits vorher jenen Weltregion­en sicherheit­spolitisch den Rücken kehren, die für die EU besonders relevant sind, wie Afrika und dem Mittleren Osten. So könnte Europa dort in Zukunft noch mehr auf sein eigenes sicherheit­spolitisch­es Gewicht angewiesen sein. Die Idee von einer größeren Eigenständ­igkeit Europas von den USA bekäme eine neue Bedeutung.

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