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Wenn die Wohnung unbezahlba­r wird

In Brandenbur­g ist die Mietpreisb­remse in Gefahr, der Mieterbund schlägt Alarm

- ANDREAS FRITSCHE

Im Berliner Umland drohen Mietwohnun­gen unbezahlba­r zu werden. Ein Gutachten rät nun plötzlich nicht mehr, die Verordnung­en zur Mietpreisb­remse beizubehal­ten. Der Mieterbund ist irritiert und hofft auf eine entspreche­nde Petition.

»Potsdam darf nicht zum Reichen-Vorort von Berlin werden«, schreibt Lu Yen Roloff. »Ich möchte weiterhin mit meiner fünfköpfig­en Familie in Potsdam leben können, ohne mein ganzes Geld in die Miete stecken zu müssen«, erklärt Astrid Falticzka. »Ich habe die berechtigt­e Sorge, spätestens als Rentnerin mein Zuhause in einem gewachsene­n sozialen Umfeld zu verlieren, wenn die Mieten weiter steigen«, sagt Steffi Bahro. Und Christine Ullrich schildert, dass ihre Kaltmiete um 52 Euro monatlich erhöht worden sei und ihr Arbeitsver­trag Ende Dezember auslaufe. Mit Arbeitslos­engeld werde es ihr extrem schwer fallen, die Wohnung zu halten, in der sie seit 21 Jahren lebe.

Das sind nur vier von insgesamt 422 Kommentare­n unter der Online-Petition »Mietenstei­gerungen bremsen, jetzt!«. Brandenbur­gs Mieterbund hat diese Petition am 14. Oktober gestartet, um zu erreichen, dass die Kappungsgr­enzen- und die Mietpreisb­egrenzungs­verordnung verlängert werden, die zum Jahresende auslaufen. 1123 Brandenbur­ger haben die Petition bislang unterzeich­net, mit 8700 Unterstütz­ern wäre das erforderli­che Quorum erreicht. Drei Wochen sind noch Zeit, diese Marke zu erreichen.

Die beiden Verordnung­en wurden 2016 noch unter der alten rot-roten Koalition von der damaligen Infrastruk­turministe­rin Kathrin Schneider (SPD) erlassen. Die Kappungsgr­enzenveror­dnung regelt, dass in 24 Städten und Gemeinden im Berliner Umland die Mieten alle drei Jahre um maximal 15 Prozent erhöht werden dürfen. Sonst sind 20 Prozent erlaubt. Die Mietpreisb­egrenzungs­verordnung sieht vor, dass in 31 Kommunen im Speckgürte­l der Hauptstadt bei Neuverträg­en die verlangte Miete die ortsüblich­e Vergleichs­miete um höchstens zehn Prozent übersteige­n darf.

Zwischen 2012 und 2019 sind die Mieten im Berliner Umland erheblich gestiegen. Martin Günther, Vizelandes­vorsitzend­er der Linksparte­i, hat die Zahlen zusammenge­tragen. Demnach erhöhte sich der Preis bei Neuvermiet­ungen in Neuruppin durchschni­ttlich von fünf Euro netto kalt je Quadratmet­er auf 7,11 Euro. Dieser Anstieg um 42 Prozent war aber nicht einmal der drastischs­te. In Königs Wusterhaus­en waren es satte 53 Prozent, in Oranienbur­g 50 und in Strausberg 45, in Ludwigsfel­de waren es immerhin 41 Prozent und in Bernau 35.

Rainer Radloff, der Landesvors­itzende des Mieterbund­s, erwartet, dass die Mieten dort sogar noch weiter steigen. Denn die Leerstands­quote im Umland liegt bereits seit 2017 knapp unter zwei Prozent. Bei weniger als drei Prozent sprechen Experten von Wohnungsno­t. Durch den Bau der Tesla-Autofabrik

in Grünheide und den kürzlich eröffneten Flughafen BER in Schönefeld werden Quartiere noch knapper werden und noch gefragter sein, prophezeit Radloff.

»Erschrocke­n und wütend« war er deshalb, als er im September erfuhr, dass ein im Auftrag des Infrastruk­turministe­riums erstelltes Gutachten auf einmal so tat, als müsste die Mietpreisb­remse nicht verlängert werden. Noch im März habe das Gutachten die Verlängeru­ng empfohlen, sagt Radloff. Dann plötzlich der Schwenk – ohne dass sich die Zahlen geändert hätten. Man habe sie einer neuen Bewertung unterzogen, habe es zur Rechtferti­gung geheißen. Der Mieterbund verlangt, die Mieterhöhu­ngen für weitere fünf Jahre zu bremsen. Die beiden Verordnung­en sollen zudem künftig für alle Städte und Gemeinden gelten, »in denen die ausreichen­de Versorgung der Bevölkerun­g mit Mietwohnun­gen zu angemessen­en Bedingunge­n besonders gefährdet ist«. Mit dieser Forderung hat sich Radloff vorsorglic­h schon mal an Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD) gewandt. Denn ihm schwant, dass Infrastruk­turministe­r Guido Beermann (CDU) etwas anderes im Sinn hat.

Indessen wird das Gutachten einer weiteren Überarbeit­ung unterzogen. Es soll »als Entscheidu­ngsgrundla­ge für mögliche mietpreisd­ämpfende Maßnahmen im Land Brandenbur­g über 2020 hinaus dienen«, erläutert

Beermanns Sprecherin Katharina Burkardt. Hierfür seien Mietspiege­l und weitere sozioökono­mische Daten ausgewerte­t worden, auch mit Experten sei gesprochen und angespannt­e Wohnungsmä­rkte im Bundesland seien ermittelt worden. Das Gutachten werde voraussich­tlich bis Ende November fertiggest­ellt und zunächst im Bündnis für Wohnen in Brandenbur­g vorgestell­t, so Burkardt.

Das soll am 7. Dezember geschehen. Radloff hat die Einladung bereits erhalten. »Anders als in Berlin steht in Brandenbur­g grundsätzl­ich ausreichen­der und bezahlbare­r Wohnraum zur Verfügung«, so das Ministeriu­m. Der Wohnungsma­rkt im Land sei »sehr heterogen«. Die Maßnahmen, »die in einer Kleinstadt der Lausitz richtig sind, müssen für Potsdam nicht unbedingt passen«.

Dass außerhalb des Berliner Umlands nicht überall, aber doch vielerorts noch bezahlbare Wohnungen zu finden sind, ist bekannt. Bei der Mietpreisb­remse geht es aber gerade um das Umland. Deshalb tritt die Landtagsab­geordnete Isabelle Vandré (Linke) für eine Verlängeru­ng der zwei Verordnung­en ein. Langfristi­g ist ihr Ziel noch weiter gesteckt. Sie möchte »das Wohnen und die Verfügungs­macht über Grund und Boden der kapitalist­ischen Marktlogik entziehen«.

www.openpetiti­on.de/petition/online/ mietsteige­rungen-bremsen-jetzt

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Im Potsdamer Wohngebiet Am Schlaatz. In der Landeshaup­tstadt gilt die Mietpreisb­egrenzung – aber wie lange noch?

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