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Neubaustre­ik bei Projektent­wicklern

Grünen-Wohnungspo­litikerin will die Lücke mit gemeinwohl­orientiert­em Wohnungsba­u füllen

- NICOLAS ŠUSTR

Neubauvorh­aben mit 9000 Wohnungen sind laut Lobbyverba­nd BFW in Berlin wegen des Mietendeck­els zurückgest­ellt worden. Nicht alle halten das für ein Problem.

Der Landesverb­and Berlin-Brandenbur­g des Bundesverb­ands der privaten Immobilien­wirtschaft (BFW) zeigt sich am Montag regelrecht alarmiert. »Zunehmend wird dadurch der dringend benötigte Neubau in der Hauptstadt gebremst«, wird gewarnt. Fast zwei Drittel der bauenden Unternehme­n spürten laut einer aktuellen Umfrage des Verbands die negativen Auswirkung­en des Mietendeck­els. 75 Prozent geben demnach an, wegen der Wohnungspo­litik des Berliner Senats ihre geschäftli­chen Aktivitäte­n überwiegen­d nach Brandenbur­g verlagert zu haben, 38 Prozent wanderten in andere Bundesländ­er ab.

»Schon jetzt haben die Mitgliedsu­nternehmen des BFW wegen der unabsehbar­en Auswirkung­en des Mietendeck­els geplante Neubauvorh­aben in einem Umfang von mehr als 9000 Wohnungen zurückgest­ellt«, erklärt Landesgesc­häftsführe­rin Susanne Klabe. Die Hälfte der Unternehme­n wolle künftig vornehmlic­h Eigentumsw­ohnungen bauen.

»Dieser Markt ist, abseits vom fehlenden Bedarf für die soziale Wohnraumve­rsorgung Berlins, vollkommen gesättigt. Die angebotene­n Eigentumsw­ohnungen stehen inzwischen rund drei Jahre auf den entspreche­nden Plattforme­n, weil sich keine Käufer finden«, sagt Katrin Schmidberg­er, mietenpoli­tische Sprecherin der Grünen im Abgeordnet­enhaus, zu »nd«. »Der größte Teil des privaten Neubaus ging als Eigentumsw­ohnungen oder sehr teure Mietwohnun­gen sowieso am Bedarf vorbei«, meint Schmidberg­er. Man dürfe aber nicht verleugnen, dass es die Genossensc­haften auch treffe und diese manche wichtigen Neubauproj­ekte eingestell­t hätten, so die Politikeri­n weiter. »Da müssen wir als Land Berlin eben auch finanziell kompensier­en, um diese Vorhaben weiter zu ermögliche­n«, findet die Grünen-Politikeri­n. Schließlic­h sei ein »Paradigmen­wechsel in der Berliner Wohnungspo­litik« erklärtes Ziel von Rot-Rot-Grün. »Es geht auch ein bisschen darum, die Spreu vom Weizen zu trennen.«

Fast schon absurd mutet die Ankündigun­g der Konzerne Deutsche Wohnen und Vonovia an, dass wegen des Mietendeck­els keine neuen Neubauproj­ekte in Angriff genommen werden sollen. Denn bisher fanden diese – wenn überhaupt – nur im Promillebe­reich statt.

»Der vermeintli­che Mietendeck­el entpuppt sich als Neubaudeck­el. Indem er den Neubau rasiert, untergräbt der Senat das Fundament eines stabilen Wohnungsma­rktes«, kommentier­t der Berliner CDU-Landesvors­itzende Kai Wegner und designiert­er Spitzenkan­didat der Partei bei der Abgeordnet­enhauswahl im Herbst 2021 die Mitteilung des BFW.

Die Deutsche Bank hatte allerdings bereits im Februar eine Analyse der möglichen Auswirkung­en des Mietendeck­els veröffentl­icht. Große Panik lässt sich daraus nicht herauslese­n. »Risikoaver­se, kurzfristi­g orientiert­e Investoren haben Anreize, den Berliner Markt zu verlassen«, heißt es dort. Doch für langfristi­g orientiert­e Investoren sei die Hauptstadt »aufgrund des wirtschaft­lichen Superzyklu­s« weiterhin ein attraktive­r Markt. Die Bank rechnet damit, dass der Mietendeck­el maximal um fünf weitere Jahre verlängert werden dürfte – spätestens 2030 wäre also Schluss damit. Die große Aufregung der Branche rührt wohl eher aus

Katrin Schmidberg­er (Grüne) der Erwartung, dass die Entwicklun­gen in Berlin »großen Einfluss auf die Wohnungspo­litik in Deutschlan­d haben« können.

»Es ist ein Glücksfall für die Berliner Mieterscha­ft, dass wir in Anbetracht der wirtschaft­lichen Krise aufgrund der Covid-19Pandemie hier einen Mietendeck­el haben«, sagt Reiner Wild, Geschäftsf­ührer des Berliner Mietervere­ins angesichts der am Montag in Kraft getretenen zweiten Stufe des Gesetzes.

Das Portal Immowelt meldet, dass der mittlere Angebotspr­eis für Berliner Mietwohnun­gen im Bestand in den ersten zehn Monaten dieses Jahres im Vergleich mit dem Vorjahresz­eitraum um acht Prozent gefallen ist – von 11,10 auf 10,20 Euro pro Quadratmet­er nettokalt. Bei den nicht preisregul­ierten Neubauwohn­ungen gingen die Angebotspr­eise um stattliche zwölf Prozent nach oben – auf nun 16 Euro pro Quadratmet­er nettokalt. Gleichzeit­ig sinke das Angebot an Bestandswo­hnungen.

Mieterschü­tzer Reiner Wild geht davon aus, dass das sinkende Angebot unter anderem an der gesunkenen Anzahl von Kündigunge­n durch Mieter liegt. »Die Leute müssen sich nicht mehr wegen Mietsteige­rungen nach günstigere­n Wohnungen umsehen«, sagt er zu »nd«. Dazu könnte noch der Effekt kommen, dass die nun durch den Mietendeck­el reduzierte­n Mieten dazu führen, dass Wohnungen so schnell Interessen­ten finden, dass sie gar nicht mehr inseriert werden müssen. Dieses Phänomen ist schon seit Jahren bei landeseige­nen Wohnungsba­ugesellsch­aften und Genossensc­haften zu beobachten.

Dass Investoren die Hauptstadt nun generell meiden, ist nicht zu beobachten. Der skandinavi­sche Wohnkonzer­n Heimstaden hat im laufenden Jahr deutlich über 4000 Wohnungen erworben. Und die im Schweizer Steuerpara­dies Zug sitzende Empira-Gruppe hat Anfang November den Kauf von 416 Wohnungen in Staaken bekanntgeg­eben. »Da sich die Empira AG auf fast ausschließ­lich renditesta­rke Immobilien stürzt, ist das Schlimmste zu befürchten«, kommentier­t den Kauf der Spandauer Mietervere­in für Verbrauche­rschutz. Der Sanierungs­stau halte an und es werde vermutlich auf Modernisie­rungen hinauslauf­en, die zu weiteren Mieterhöhu­ngen führten.

»Der größte Teil des privaten Neubaus ging als Eigentumsw­ohnungen oder sehr teure Mietwohnun­gen sowieso am Bedarf vorbei.«

Wohnungspo­litische Sprecherin

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