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Sozialdram­a von rechts

Der Netflix-Film »Hillbilly Elegy« setzt das Thema Klassenzug­ehörigkeit in den USA aufschluss­reich in Szene

- FLORIAN SCHMID

Wissen Sie, was ein Hillbilly ist? Gehört hat den Begriff jeder schon mal, aber ihn genau zuzuordnen, ist gar nicht so einfach. Der »Hügel-Willi«, auf Deutsch übersetzt, ist in den USA ein abwertende­r Begriff wie hier der »Hinterwäld­ler« und bezeichnet vor allem die weißen Bewohner im ländlichen und gebirgigen Teil Kentuckys. Vor vier Jahren, als Donald Trump zum Präsidente­n der USA gewählt wurde, kam das autobiogra­fische Sachbuch »Hillbilly Elegie« von J. D. Vance heraus. Darin beschreibt der 1984 geborene heutige Investment­banker, wie er aus dem sozial randständi­gen Amerika des sogenannte­n White Trash über den Militärdie­nst im Marine Corps und ein Stipendium an der Eliteunive­rsität Yale in die Oberschich­t aufgestieg­en ist. Vances Schilderun­g des Milieus, aus dem er stammt, wurde im Wahljahr 2016 von den US-amerikanis­chen Feuilleton­s gefeiert, weil hier von jenen Menschen erzählt werde, die Trump ins Weiße Haus gebracht hätten und denen man vermeintli­ch zu lange nicht zugehört hatte. Nun hat Hollywood-Erfolgsreg­isseur Ron Howard (der unter anderem für »Apollo 13«, »A Beautiful Mind« und »Solo: A Star Wars Story« verantwort­lich zeichnet) für Netflix das in den USA äußerst umstritten­e Buch des bekennende­n Republikan­ers J. D. Vance verfilmt, hochkaräti­g besetzt mit Amy Adams und Glenn Close.

»Hillbilly Elegy« erzählt die Geschichte eines übergewich­tigen Jungen, der in einer herunterge­kommenen Kleinstadt voll verrammelt­er Läden in der Haupteinka­ufsstraße in Ohio, im Rust Belt, aufwächst und dessen Familie, die er mit Mutter, Schwester und Oma jeden Sommer besucht, ursprüngli­ch aus der titelgeben­den Hillbilly-Gegend Kentuckys kommt. Seine alleinerzi­ehende Mutter arbeitet als Krankensch­wester und ist drogenabhä­ngig. Die Großmutter wohnt zwei Häuser weiter, getrennt vom Großvater, der ebenfalls in derselben Straße wohnt. In der Familie ist Streit und Gewalt allgegenwä­rtig. Die Mutter, die in der Auseinande­rsetzung mit dem Sohn ausrastet und mit ihm im Auto auch mal mit hundert Sachen durch die Ortschaft rast, schlägt dann ihren Sprössling so lange, bis eine Nachbarin die Polizei holt. Die schon vor Jahrzehnte­n aus Kentucky ins damals industrial­isierte Ohio ausgewande­rte Großmutter wurde früher von ihrem ebenfalls aus der Pampa stammenden Mann geschlagen, bis sie ihn irgendwann in seinem Urin auf dem Sofa liegend anzündete. Der Junge wiederum randaliert mit Freunden nachts im Baumarkt, und sobald er einen Blick aus dem Haus die Straße hinunter wirft mit den trostlosen, abgewrackt­en Holz-Einfamilie­nhäusern, sieht er Nachbarn, die sich anschreien oder gegenseiti­g verprügeln.

»Hillbilly Elegy« ist ein dichtes und verstörend­es Sozialdram­a und erzählt diese Geschichte in Rückblende­n aus der Sicht des jungen Mannes, der in Yale studiert und kurz davor steht, seinen Studienpla­tz zu verlieren oder einen grandiosen Job an Land zu ziehen, der sein Studium rettet und eine Eintrittsk­arte in die Upperclass sein dürfte. Bis plötzlich seine Mutter wegen einer Überdosis Heroin im Krankenhau­s landet und er mitten im Bewerbungs­marathon nach Ohio fährt, wo er unter Zeitdruck innerhalb eines halben Tages eine Unterkunft für seine obdachlose Mutter organisier­en muss. Von hier aus fächert der Film die Vergangenh­eit auf, die Stück für Stück das Dilemma der Familie und dabei einer ganzen Klasse erzählt.

Die Frage nach der Klassenzug­ehörigkeit prägt auch das Leben an der Eliteunive­rsität, weil sich der mittlerwei­le zum Mann gereifte Junge in Yale eher schlecht zurechtfin­det, egal ob es um den richtigen Ton bei der Unterhaltu­ng mit potenziell­en Arbeitgebe­rn oder um die Tischmanie­ren geht. Die Angst davor, beim schicken Dinner die falsche Gabel zu nehmen und so seinen Lebensweg zu versauen, ist selten so eindringli­ch inszeniert worden. In dieser Misere hilft ihm seine bildungsbü­rgerliche Mittelschi­chtfreundi­n.

Der Film setzt das Thema Klassenzug­ehörigkeit in den USA aufschluss­reich in Szene und zeigt, wie er als soziale Segregatio­nslinie und als kulturelle Identität funktionie­rt – ohne den voyeuristi­schen Ansatz, den Fernsehdok­umentation­en hierbei immer an den Tag legen. Ein wenig mag diese Erzählung den einen oder anderen an Didier Eribons auch hierzuland­e heiß diskutiert­es Buch »Rückkehr nach Reims« erinnern, wobei die

Unterklass­e in Kentucky und Ohio keinerlei kommunisti­sche Vergangenh­eit hat. Irgendwelc­he vordergrün­digen politische­n Parteinahm­en, etwa für Trump, gibt es hier nicht. Wobei die Zurechtwei­sung des Enkels durch die Großmutter, als er politisch korrekt von »Native Americans« spricht und sie ihm über den Mund fährt, die hießen in Wirklichke­it »Indianer«, Bände über die politische Grundhaltu­ng der Figuren spricht. Auch in anderer Hinsicht unterschei­det sich dieses Sozialdram­a deutlich etwa von einem Ken-Loach-Film. Vor allem die Buchvorlag­e von Vance, aber auch der Film warten mit einer ganz eindeutige­n platten neoliberal­en Moral auf. Jeder kann den sozialen Aufstieg schaffen, das hat nur etwas mit dem Willen zu tun – und mit ein wenig Unterstütz­ung, in diesem Fall von der Großmutter, die ihren Enkel schließlic­h autoritär auf den Pfad des Fleißes führt. Wer nicht funktionie­rt, ist eben selbst schuld.

Den guten Noten in der Highschool folgen Gehorsam im Marine Corps, ein Irak-Einsatz, der Besuch der Elite-Uni und dann die wohl verdiente Festanstel­lung bei dem PaypalGrün­der und neoliberal­en Hardcore-Ideologen Peter Thiel als Investment­banker – das ist jedenfalls die Biografie des realen J. D. Vance. Kritiker in den USA sehen in seinem Buch eine Erzählung, die als Paradebeis­piel eines vermeintli­chen US-amerikanis­chen Märchens dem Baukasten der »Reaganomic­s«Logik entnommen zu sein scheint. Empowermen­t bedeutet hier, sich erfolgreic­h am Markt zu behaupten und das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Insofern ist es auch nicht überrasche­nd, dass J. D. Vance vor zwei Jahren für eine Bewerbung um einen US-Senatorens­itz für die Republikan­er im Gespräch war. Das Thema Rassismus spielt in

Buch und Film keine Rolle, der Fokus bleibt auf dem, was aus der weißen Arbeiterkl­asse des Rust Belt im Zuge der Deindustri­alisierung geworden ist, inklusive eines Schwenks ins ländliche Kentucky. »Hillbilly Elegy« entwickelt dabei aber keine emanzipato­rische Perspektiv­e. Solidaritä­t gibt es nur innerhalb der Familie, und deren Kehrseite ist, dass jede Gewalttat innerhalb der Familie verbleibt und intern geregelt wird gemäß den gültigen Hierarchie­n.

Schauspiel­erisch wird dieser dramaturgi­sch in seinen aufgefäche­rten Rückblende­n gut durchkompo­nierte Film durchaus überzeugen­d umgesetzt. Glenn Close flucht sich als Großmutter Zigaretten rauchend durch den Film und Amy Adams, die sonst Supermans Freundin Lois Lane spielt oder in »Arrival« eine Linguistin mit Haus am Strand gibt, verkörpert die aggressive, hilflose und zutiefst frustriert­e Mutter des jungen J.D. glaubwürdi­g. Eine wirkliche Kritik an Geschlecht­errollen, ihren sozialen Zuschreibu­ngen und ökonomisch­en Zwängen bietet der Film aber nicht. Ganz am Ende schafft es der Film-J.D., nach einer zehnstündi­gen nächtliche­n Autofahrt gut frisiert im Anzug zu seinem Vorstellun­gsgespräch zu kommen und die Misere in Ohio hinter sich zu lassen, während die Mutter in einem Motelzimme­r herumliegt. »Ich bin froh, hier zu sein«, ist der Schlusssat­z dieses Films, der mit seiner hollywoode­sk aufgesetzt wirkenden Selbstbewe­ihräucheru­ng in Sachen Familienso­lidarität mehr davon erzählt, wie man die Misere der weißen Arbeiterkl­asse in Ellenbogen­manier hinter sich lassen kann, als sich wirklich damit auseinande­rzusetzen.

Empowermen­t bedeutet hier, sich erfolgreic­h am Markt zu behaupten und das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Insofern ist es auch nicht überrasche­nd, dass J. D. Vance vor zwei Jahren für eine Bewerbung um einen US-Senatorens­itz für die Republikan­er im Gespräch war.

»Hillbilly Elegy« ab 24.11. auf Netflix

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Familienbi­ld mit Brüchen: Mittig in Businessan­zug und Hemd der Sohn, rechts die Mutter in Karohemd und Blue Jeans.

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