nd.DerTag

Das ewige kleinere Übel

- TIM WOLFF

Jahrtausen­de wechselnde­r Reiche brauchte die Menschheit, um eine Herrschaft­sform zu finden, die nicht dem einen und den Seinen dient, sondern die das Regieren einigermaß­en wechselnde­n wenigen überlässt, die sich gelegentli­ch ein bisschen verantwort­en müssen: die Demokratie. Die vertrug sich nach ein paar gescheiter­ten Anläufen dann sehr gut mit den Kräften, die die Dampfmasch­ine geschaffen hatten: den Besitzern von riesigen Unternehmu­ngen. Diese benötigten Regierunge­n, die ihnen Arbeiter schufen und halfen, diese ruhigzuste­llen. Als das zusehends schwierige­r wurde, gab es erst mal Krieg.

Dann war die Welt nach den diversen Verteilung­s- und Rachekrieg­en einigermaß­en stabil eingericht­et, aber dreigeteil­t: in eine erste der Kapitalher­rschaft, eine zweite, die eine andere sein wollte, aber nicht konnte, und eine dritte, in der die anderen beiden ihre Stellvertr­eterkriege führten (und in der die erste sich erfolgreic­h Rohstoffe und billige Arbeitskra­ft besorgte). Das war den mit am besten versorgten Bürger*innen des Planeten aber auch nicht ganz recht. Sie hatten so viel Essen und Zeit, dass sie darüber ein wenig idealistis­ch wurden.

Es benötigte eine weitere Demokratie zur Beschäftig­ung: die Basisdemok­ratie. Ein ulkiger Pleonasmus, der den Vorgang des Kaputtdeba­ttierens, während andere einfach weitermach­en wie bisher, nobel umschreibt. Mit der Basisdemok­ratie braucht es länger bis nach oben, weil sie sich auf dem Weg dorthin Schritt für Schritt abschaffen muss, nachdem sie die nötigen Anregungen an die Herrschend­en weitergere­icht hat.

Erfolgreic­hste Umsetzerin dieses Konzepts im deutschspr­achigen Raum war die Partei der Grünen. Gegründet mit einem Anliegen (den Planeten vorm Menschen zu beschützen), aber ohne echten Willen, es bis zum Ende zu verfolgen, versöhnte sie über die Jahrzehnte linke Rebellen mit Esoteriker­n, Studierend­en und der Landbevölk­erung, die ihre Scholle mehr schätzt als Menschen. Spätestens nach dem Sieg über die für alles Böse verantwort­liche zweite Welt half sie mit, in der ersten ein Bürgertum zu schaffen, das sich ausgesproc­hen kreativ vorlügt, keines zu sein.

Die Grünen sind erfolgreic­he Trickbetrü­ger geworden, weil sie sich selbst immer noch glauben, egal wie oft sie am eigenen Anspruch gescheiter­t sind. Selbst aus der rotgrünen Bundesregi­erung, bei der sie nicht eine einzige umweltpoli­tisch relevante Entscheidu­ng treffen konnten, kamen sie irgendwie als die Guten raus, obwohl sie ähnlich freudig wie die Sozialdemo­kratie mit Hartz IV ein effiziente­s System zur Erstickung der Wut der von der Gesellscha­ft Ausgeschie­denen schufen. Das Einzige, was von ihnen im Gedächtnis blieb, war das Dosenpfand – das der Umwelt zwar rein gar nichts brachte, aber den arbeitende­n Menschen, die die Grünen zugunsten der Besitzende­n enteignete­n, eine Zusatzrent­e per Müllwühler­ei.

Die Grünen sind für die Politik das, was die »Taz« fürs Zeitungswe­sen ist: eine Ausbildung in Selbstausb­eutung und ein Fördervere­in für Verräter an der Sache – wobei die Sache längst nichts anderes mehr ist als Greenwashi­ng für den laufenden, ja wachsenden Betrieb. Sie sind dazu da, in einer Regierung leider nicht tun zu können, womit sie vorher den letzten Rest der idealistis­chen Wählerscha­ft geködert hatten. Die Grünen sind das ewige kleinere Übel, das das große ein bisschen netter aussehen lässt.

Von Grundsatzp­rogramm zu Grundsatzp­rogramm sind sie die perfekte Ergänzung der Konservati­ven geworden, die neue Wähler brauchen, weil die bisherigen wegen des Rot-Greenwashi­ngs ihrer Parteien lieber wieder Nazis sein wollen. Österreich zeigt, was diese letzte große Kombinatio­n der parlamenta­rischen Demokratie nutzt, bevor die Klimakrise in die endgültige Faschisier­ung führen wird: Greenwashi­ng des Rassismus. Ein wenig »Klima« für »sichere Grenzen«.

Die Grünen werden am Ende der Zivilisati­on des Menschen stehen und dabei wie das kleinere Übel wirken, das leider nicht mehr machen konnte. Eine historisch­e Leistung.

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