nd.DerTag

Zu Krimi, um wahr zu sein

Der beste Freund soll plötzlich Terrorist sein – eine unglaublic­he Geschichte als Podcast

- NINA SCHAEFER

Seit das Podcast-Zeitalter angebroche­n ist, bin ich süchtig nach sogenannte­n True-Crimes. Echte Geschichte­n also, die wahrhaftig passiert sind, kein fiktionale­r Actionfilm-Scheiß. Ein fieser Betrug, ein ausgeklüge­lter Mord. Dinge, die für mich im Verborgene­n oder höchstens noch in einem der skandinavi­schen Krimibüche­r passiert sind. Das Beste aber an den Podcasts: Während die Geschichte­n in aller Welt stattfinde­n, kann ich sie in meinen Alltagstro­tt – beim Wäscheaufh­ängen oder Bahnfahren – integriere­n und dabei hören.

Mit »Mein Freund, der Terrorist« startet eine sechsteili­ge Podcastser­ie des Deutschlan­dfunks Kultur, deren Story nicht irgendwo in der Welt, sondern quasi direkt vor meiner Haustür stattfand. Denn es geht um Jan, der 2015 als Flüchtling­shelfer arbeitete und um Karim, der aus Syrien nach Berlin geflohen ist. Die beiden lernen sich in einer Flüchtling­sunterkunf­t kennen, freunden sich schnell an und Karim zieht zu Jan in die Schöneberg­er Wohnung. Und die ist mit dem Fahrrad gerade mal sechs Minuten von meiner Wohnung entfernt, in der ich sitze und an den Lippen der Podcaster hänge.

Das Ganze fügt sich gut neben andere True-Crime-Serien, ist aber trotzdem eine ganz eigene, besondere Geschichte. Denn was passiert, kann nicht so simpel auf ein »Verbrechen« herunterge­brochen werden. In erster Linie geht es um Freundscha­ft. Eine Freundscha­ft zwischen zwei jungen Männern Mitte zwanzig, die sich so nah kommen, dass sie wie Brüder füreinande­r sind. Sie verbringen viel Zeit miteinande­r, gehen aus und feiern das Leben. Karim geht zu den Geburtstag­en von Jans Eltern, macht Urlaub auf Rügen mit seinen Freunden. Alles läuft gut, bis die beiden im Herbst 2016 von einem Spezialein­satzkomman­do der Polizei überwältig­t werden. Auf offener Straße. Denn Karim, der eigentlich Charfeddin­e Trabelsi heißt und aus Tunesien kommt, soll ein Terrorist sein. Und einen Anschlag geplant haben.

Im Zuge der Flüchtling­skrise 2015 und 2016 kamen knapp eine Million Menschen nach Deutschlan­d. Merkels Worte »Wir schaffen das« vom 31. August 2015 sind so berühmt wie umstritten. »Refugees welcome« riefen die einen, während sich andere dem Angstspiel der AfD anschlosse­n. Es war ein permanente­s Gerangel zwischen Willkommen­skultur und Fremdenfei­ndlichkeit. Der seit 2011 anhaltende Bürgerkrie­g in Syrien gilt als einer der Hauptgründ­e für die Flucht vieler Menschen in die angrenzend­en Länder oder nach Europa.

Gleichzeit­ig kommt es zu einem Erstarken der sunnitisch­en Terrorgrup­pe »Islamische­r Staat« (IS). Als Karim 2016 festgenomm­en wurde, war der Terror auch in Deutschlan­d angekommen. Entspreche­nd ging die Geschichte – in abgespeckt­er Form – durch die Medien: »Terrorverd­ächtiger in Berlin festgenomm­en«, titelten Zeitungen. Was für viele das Verhindern eines weiteren, schrecklic­hen Anschlags bedeutete, war für Jan eine plötzlich startende Achterbahn­fahrt der Gefühle. Sein Bruder und Freund Karim, ein Mitglied des IS?

Der Podcast beleuchtet weitaus mehr als das, was in den Medien stand. Man erfährt, dass die Freundscha­ft der beiden an diesem Punkt nicht endet. Vielmehr steht sie vor einem Wendepunkt und Jan vor einer aufwühlend­en Suche nach der Wahrheit. Warum hat Karim gelogen? Hatte er wirklich einen Anschlag geplant?

Die Journalist­en und Autoren Christoph Cadenbach und Dominik Schottner präsentier­en ihren Zuhörer*innen eine wunderbar aufgearbei­tete, fesselnde Geschichte. Nicht nur die beiden kommen zu Wort, sondern auch Jan und sein Freundeskr­eis. Und man merkt dem Ganzen eine tiefgehend­e Recherche an, wenn Aktenniede­rschriften vorgestell­t oder Sprachnach­richten abgespielt werden. Sie lassen uns live dabei sein, wenn Karim und Jan sagen: »Wie geht‘s dir, mein Bruder?«

Kurz nachdem ich das höre, radel ich die Kolonnenst­raße entlang. Hier durchsucht­e die Polizei damals Jans Wohnung. Was für mich eine Geschichte bleibt, ist für Jan ein ganz eigenes Kapitel in seinem Leben. Genauso für Karim. Zwei junge Männer, deren Freundscha­ft in einem Real-Life-Drama auf die Probe gestellt wird.

»Mein Freund, der Terrorist« erscheint seit dem 23. November als Podcast-Serie und im Frühprogra­mm von Deutschlan­dfunk Kultur um 8.35 Uhr in der Sendung »Studio 9«.

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