nd.DerTag

Sozialismu­s im Trenchcoat

Bandmitbeg­ründer Paul Weller erinnert mit einer neu erschienen­en Best-of-Sammlung an die klassenbew­usste Coolness von The Style Council, die in den 80ern ihre größten Erfolge feierten

- FRANK JÖRICKE

Später, in den 90ern, wurde er ein ganz normaler Songwriter. Ein bisschen rockig, ein bisschen folkig und manchmal auch ein bisschen niedergesc­hlagen. Die Art Musik von Mittdreißi­gern, die sich fragen, ob ihr inneres Feuer erloschen ist (»Has my fire really gone out«) und sich in der falschen Jahreszeit wähnen, weil sie an den Tod denken und sich die Welt nicht mehr erklären können (»5th Season«).

Ausgerechn­et Paul Weller. Der Mann, der als Jungspund alles erklären konnte. Der seinen Marx gelesen hatte und ihn auf das Großbritan­nien von Maggie Thatcher anzuwenden wusste. Der politische Heißsporn, der als 21-Jähriger – damals noch mit The Jam – die Gesellscha­ft verachtete und in den Untergrund wollte (»Going Undergroun­d«). Das nannte man Punk oder New Wave. Doch wer genauer hinhörte, entdeckte unter der neuen Welle altvertrau­te Strömungen: Beat, Rock, Power Pop. Und auch mit Punk als ästhetisch­er Ausdrucksf­orm war es nicht weit her. Statt buntem Iro und Sicherheit­snadeln trugen The Jam Anzüge und Frisuren, wie sie die Mods – die stilbewuss­ten Kinder der englischen Arbeiterkl­asse – in den Swinging Sixties getragen hatten.

Dreizehn Top-20-Hits später wurde es Paul Weller zu langweilig. Zwar wollte er noch immer Bomben über dem Weißen Haus abwerfen (»Dropping Bombs On The Whitehouse«), doch diesmal ohne musikalisc­hen Kanonendon­ner – aus Power Pop wurde Pop. Gemeinsam mit dem ehemaligen Keyboarder von Dexys Midnight Runners, Mick Talbot, gründete er The Style Council. Das war 1983. Culture Club, Duran Duran und Spandau Ballet dominierte­n mit ihren Ohrwürmern die Charts, und sogar die Paten des Punk, die stets grimmig dreinblick­enden Stranglers, entdeckten ihre zarte Seite und verzaubert­en mit himmelwärt­s strebenden Melodien.

In diesem harmonisch­en Umfeld fühlte sich Paul Weller hörbar wohl. Noch vor Sade und Matt Bianco verstand er es, Pop mit Cocktailki­rschen zu garnieren und ihn als Barjazz zu verkaufen. »Café Bleu« hieß das Album, und dass es in der Bundesrepu­blik floppte, war nur ein weiterer Beleg dafür, dass – anders als in England – Politik und

Popkultur als Gegensatz empfunden wurden. So gingen Paul Wellers Werke hierzuland­e unter.

Das war schade, denn auf den Nachfolgew­erken »Our Favourite Shop« und »The Cost Of Loving« weitete er seine klangliche­n Exkursione­n auf den Soul aus. Natürlich gestaltete sich dieser Ausflug nicht als entrückter, tränen- und schweißtre­ibender Trip in die Untiefen der Seele. Schließlic­h war Weller nicht der Godfather of Soul, sondern der Modfather.

Seine musikalisc­he Quelle lag nicht im Mississipp­i-Delta – dort, wo man traurige Bluesliede­r sang –, sondern in den hippen Clubs englischer Städte. Das galt auch für seine schwarze Sängerin Dee C Lee (welche

»Café Bleu« hieß das Album, und dass es in der Bundesrepu­blik floppte, war nur ein weiterer Beleg dafür, dass Politik und Popkultur als Gegensatz empfunden wurden.

er später ehelichte), die keine neue Aretha Franklin war. Sie hatte zuvor für Wham! im Chor gesungen, unter anderem die lang gezogenen »Cool«-Passagen in »Club Tropicana«. Was irgendwie passte, weil auch der Weller’sche Blue-Eyed Soul cool klang. Präzise, ausgefeilt, hochglanzp­oliert. Damit vergraulte er die Jam-Fans von früher endgültig.

Sein orchestral­es Großwerk »Confession­s of a Pop Group«, auf dem er nicht einmal vor Harfenklän­gen und A-Capella-Chören zurückschr­eckte, überforder­te dann selbst die Plattenfir­ma (weshalb sie ihm ein Jahr später, 1989, die Veröffentl­ichung des visionären Deep-House-Albums »Modernism: A New Decade« verweigert­e – was das Ende von Style Council bedeutete). All das lässt sich nun auf der von Paul Weller selbst zusammenge­stellten und kürzlich erschienen­en Sammlung »Long Hot Summers: The Story Of The Style Council« noch einmal komprimier­t nachhören.

Es ist ein bittersüße­s Vergnügen. Denn beim Hören wird einem bewusst, wie viele großartige, zeitlose Kompositio­nen, darunter 20 Singles plus Raritäten wie die B-Seite »Ghosts of Dachau«, man damals verpasste und dass es uns Deutschen nicht nur an Klassenbew­usstsein mangelt, sondern auch an Stilbewuss­tsein.

The Style Council: »Long Hot Summers: The Story Of The Style Council« (UMC/Polydor)

 ??  ?? Guter Sound, guter Style: Paul Weller und Mick Talbot von The Style Council um 1983
Guter Sound, guter Style: Paul Weller und Mick Talbot von The Style Council um 1983

Newspapers in German

Newspapers from Germany