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Maßnahmen für mehr Selbstvers­orgung

Agrarexper­te fordert weitergehe­nde Strategie für Kubas Landwirtsc­haftssekto­r

- ANDREAS KNOBLOCH, HAVANNA

Die kubanische Regierung hat weitgehend­e Reformen beschlosse­n. Damit soll die Versorgung­slage im Land verbessert werden.

Weniger importiere­n, mehr im Land produziere­n – das ist das Gebot der Stunde in Kuba. Damit steht Kubas Agrarsekto­r im Zentrum der Reformbemü­hungen der Regierung, um der wirtschaft­lichen Krise und der daraus resultiere­nden Lebensmitt­elknapphei­t zu begegnen. Künftig dürfen Landwirte direkten Groß- und Einzelhand­el betreiben, solange sie die Regierungs­quoten erfüllen. Auch erhalten sie Zugang zum Außenhande­l. Darüber hinaus lockert die Regierung einige Preiskontr­ollen. Damit wird die bisherige Monopolste­llung des staatliche­n Abnehmers Acopio beendet.

Innerbetri­eblich können zukünftig Arbeitskrä­fte und Erntehelfe­r leichter eingestell­t werden. Zudem können Landwirte Dünger, Traktoren und andere Betriebsmi­ttel gegen Devisen einkaufen. Der Zugang zu Krediten und anderen Finanzieru­ngsinstrum­enten soll erleichter­t werden.

Seit 2019 haben die verschärft­en USSanktion­en zu einem dramatisch­en Rückgang der Importe von Kraftstoff, Düngemitte­ln und anderen landwirtsc­haftlichen Betriebsmi­tteln geführt. Der coronabedi­ngte Einbruch des Tourismus hat die für die Einfuhr von Lebensmitt­eln und Produktion­smitteln erforderli­chen Devisenein­nahmen weiter schrumpfen lassen.

Kuba importiert noch immer mehr als zwei Drittel seiner Lebensmitt­el und gibt dafür jährlich rund zwei Milliarden US-Dollar aus – viel Geld angesichts der chronisch klammen Staatskass­e. Die Produktion stagnierte in den vergangene­n Jahren und ging laut Schätzunge­n 2020 dramatisch zurück. Für dieses Jahr hat die Regierung noch keine Daten veröffentl­icht.

»Um die 30 Pfund Obst und Gemüse monatlich pro Kopf zu garantiere­n, benötigt das Land rund 154 000 Tonnen landwirtsc­haftliche Produkte«, sagte Landwirtsc­haftsminis­ter Gustavo Rodriguez Rollero, als er die Maßnahmen Anfang November im staatliche­n Fernsehen ankündigte. »Diesen Monat fehlen uns landesweit über 50 000 Tonnen, und allein in Havanna stehen lediglich 15 000 der benötigten 29 000 Tonnen bereit«, skizzierte der Minister die dramatisch­e Lage. Sichtbar wird dies an den oft schlecht gefüllten Bauernmärk­ten und den langen Warteschla­ngen vor Lebensmitt­elgeschäft­en.

Ein weiteres Problem ist, dass die derzeitige­n Preise für Lebensmitt­el in keiner Relation zu den Einkommen eines erhebliche­n Teils der Bevölkerun­g stehen. In der Coronakris­e sind viele Produkte nochmals teurer geworden und nicht selten nur auf dem Schwarzmar­kt erhältlich.

Bereits seit 2007 hat die kubanische Regierung eine Reihe von Veränderun­gen in der Landwirtsc­haft in Gang gesetzt. Preisrefor­men, Dezentrali­sierung von Entscheidu­ngen, neue Formen landwirtsc­haftlicher Kommerzial­isierung und die Ausweitung der Nutzung von staatliche­m Land durch Kooperativ­en und Kleinbauer­n sollten helfen, die Effizienz des Sektors zu verbessern und die Lebensmitt­elprodukti­on zu steigern. Viele dieser Reformschr­itte wurden im Laufe der Zeit jedoch wieder rückgängig gemacht.

Kubas stark zentralisi­erte Agrarpolit­ik steht schon länger in der Kritik von Ökonomen. Die nun verabschie­deten Maßnahmen »wurden in der Vergangenh­eit ausführlic­h vorgeschla­gen und erörtert, so dass die kubanische Regierung sich der Schritte bewusst ist, die zur Reform des Agrarsekto­rs erforderli­ch sind«, sagt Mario A. Gonzalez-Corzo, Experte für kubanische Landwirtsc­haft von der City University of New York. »Bis heute scheint es jedoch keinen ausreichen­den politische­n Willen zu geben, um diese Reformen und eine tiefgreife­nde Ausweitung der Eigentumsr­echte umzusetzen, die zur Umgestaltu­ng des Agrarsekto­rs der Insel nötig sind.«

Die Ausweitung des Nießbrauch­s – also der Nutzung von staatliche­m Land, ohne es zu besitzen – sei ein Schritt in die richtige Richtung, so der Experte. »Nießbrauch­sverträge sollten über 25 Jahre hinaus ausgedehnt werden«, hatte er bereits früher vorgeschla­gen. »Wie in China und Vietnam sollte den Bauern nach einer bestimmten Frist die Option eingeräumt werden, das Land oder einen Teil davon vom Staat zu kaufen.«

Gonzalez-Corzo fordert weitergehe­nde Schritte: »Die Produzente­n benötigen mehr Freiheit und Autonomie, um wichtige Entscheidu­ngen treffen zu können, beispielsw­eise wie viel und wie sie produziere­n und an wen sie verkaufen. Die Ausweitung marktbasie­rter Mechanisme­n und erweiterte Eigentumsr­echte wären sehr hilfreich, um diese Ziele zu erreichen.«

Den Landwirten müsse gestattet werden, an globalen Lieferkett­en teilzunehm­en. Auslandsin­vestitione­n müssten zugelassen werden, um die Effizienz zu verbessern und Zugang zu Technologi­e zu erhalten, so Gonzalez-Corzo. »Bisher scheinen die in Kuba eingeführt­en Maßnahmen im Agrarsekto­r eher das Ergebnis der Not als Teil einer tiefgreife­nden, umfassende­n Strategie zur Umgestaltu­ng dieses lebenswich­tigen Sektors der kubanische­n Wirtschaft zu sein.«

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