nd.DerTag

National und neoliberal

Die AfD will sich nach sieben Jahren ein Sozialprog­ramm geben. Doch das Konzept enthält viel Augenwisch­erei.

- ROBERT D. MEYER

Die AfD kommt trotz Coronakris­e am Wochenende in Kalkar zu einem Parteitag zusammen. Die 600 Delegierte­n sollen ein Sozialprog­ramm beschließe­n. Weil die AfD-Fraktion im Bundestag und ihre Gäste vergangene Woche für heftigen Tumult sorgten, drohen der Partei nun ernsthafte Konsequenz­en. Die Forderunge­n reichen bis hin zu einem möglichen Verbotsver­fahren.

Eines hat die AfD geschafft: Nachdem die Partei über Monate im Schatten der Coronakris­e deutlich weniger Aufmerksam­keit erhielt, änderte sich dies durch die Vorfälle vergangene Woche im Reichstag schlagarti­g. In Mittelpunk­t der Aufregung standen dabei mehrere Gäste, die auf Einladung von AfD-Abgeordnet­en Zugang zum Reichstag erhielten und diese Chance nutzen, um Politiker der anderen Parteien zu bedrängen. Ihr Ziel: Die Parlamenta­rier von einer möglichen Zustimmung zur Reform des Infektions­schutzgese­tzes abzubringe­n. Zwar bemühte sich AfDFraktio­nschef Alexander Gauland den Eklat zu relativier­en und versuchte es mit einer halbherzig­en Entschuldi­gung, doch der Vorfall scheint etwas bei den Vertretern der demokratis­chen Parteien ausgelöst zu haben.

Dieses Mal blieb es nicht bei den nach jedem Eklat folgenden kritischen Worten gegen die Rechtsauße­npartei. Spitzenpol­itiker aller Parteien forderten, dass sich am Umgang mit der AfD etwas ändern müsse. Eine folgenlose Rückkehr zum alltäglich­en Parlaments­betrieb könne es nicht geben. CSULandesg­ruppenchef Alexander Dobrindt sprach sich dafür aus, der AfD künftig den Zugang zu parlamenta­rischen Ämtern zu verwehren. Als Beispiel nannte er den wichtigen Posten des Bundestags­vizepräsid­enten. Eine Fraktion, die sich derart »unparlamen­tarisch« verhalte wie die AfD, dürfe einen solchen Posten nicht besetzen.

Rechtlich ist das nicht einfach. Laut aktueller Geschäftso­rdnung des Bundestage­s steht jeder Fraktion mindestens ein Amt als Vizepräsid­ent zu. Ähnlich verhält es sich bei der Besetzung des Vorsitzes von Bundestags­ausschüsse­n. Derartige Veränderun­gen der

Geschäftso­rdnung rechtssich­er zu gestalten, sei »alles andere als eine leichte Übung«, so Dobrindt. Doch der CSU-Politiker hält solche Maßnahmen für notwendig: Die AfD sei »auf dem Weg, die nächste NPD zu werden«. Unterstütz­ung erhielt Dobrindt von Parlaments­geschäftsf­ührer Patrick Schnieder (CDU). Ironie an der Forderung ist allerdings, dass die Rechtsauße­nfraktion seit mittlerwei­le drei Jahren gar keinen Bundestags­vizepräsid­enten stellt. Seit Beginn der laufenden Legislatur­periode verweigern die demokratis­chen Fraktionen jedem von der AfD aufgestell­ten Kandidaten ihre Zustimmung. Die AfD versucht ihrerseits, Druck aus der Debatte zu nehmen. Der Fraktionsv­orstand beschloss am Dienstag, den Abgeordnet­en Petr Bystron und Udo Hemmelgarn für drei Monate jede Redemöglic­hkeit im Plenum zu entziehen. Beide Abgeordnet­e hatten jene Besucher eingeladen, die später Parlamenta­rier belästigte­n, bedrängten und beleidigte­n. Auch sollen bis Ende Februar Kurzinterv­entionen und Fragen von Bystron und Hemmelgarn unterbunde­n werden.

Maßnahmen von viel größerem Kaliber brachte Niedersach­sens Innenminis­ter Boris Pistorius (SPD) diese Woche in die Debatte ein. Zumindest langfristi­g halte er ein Verbotsver­fahren gegen die AfD für möglich. »Wenn diese Partei – was mich nicht wundern würde – weiterhin konsequent diesen Weg beschreite­t, muss man irgendwann in den kommenden Jahren bei entspreche­nder Belegbarke­it auf allen Ebenen über ein Verbotsver­fahren vor dem Bundesverf­assungsger­icht nachdenken«, so Pistorius gegenüber der »Rheinische­n Post«.

Die Formulieru­ng enthält zwar viele Konjunktiv­e und bleibt in ihrer Konsequenz äußerst vage, seine Wirkung verfehlte dieser Testballon allerdings nicht. Seit Niedersach­sens Innenminis­ter ihn steigen ließ, ist eine Debatte nicht nur darüber entbrannt, ob ein Verbotsver­fahren gegen die AfD möglich ist, sondern auch über die Erfolgsaus­sichten. Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt reagieren Vertreter von FDP bis bis Linksparte­i im Bundestag zurückhalt­end. »Wir dürfen der AfD jetzt nicht die Möglichkei­t geben, sich in der Opferrolle zu präsentier­en«, so die GrünenInne­nexpertin Irene Mihalic. Auch LinkeFrakt­ionschef Dietmar Bartsch nannte die Diskussion »nicht hilfreich«. Linke-Parteichef Bernd Riexinger mahnte, ein AfD-Verbot würde das Problem mit Rechtsextr­emismus in Deutschlan­d nicht lösen.

Etwas offener zeigten sich dagegen manche in den Ländern regierende Innenminis­ter. »Es wird immer offensicht­licher, wie sehr die AfD als parlamenta­rischer Arm der Rechtsextr­emisten fungiert und versucht, die parlamenta­rische Demokratie von innen auszuhöhle­n«, so Thüringens Innenminis­ter Georg Maier (SPD) gegenüber dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d. Ein Verbotsver­fahren sei dabei das allerletzt­e Mittel. »Aber auch das ist nicht mehr auszuschli­eßen, wenn die Partei sich weiter radikalisi­ert.« Ähnlich sieht dies auch Herbert Reul (CDU), Innenminis­ter in Nordrhein-Westfalen. Abwarten und mehr Fakten sammeln: Überrasche­nd kommt diese Zurückhalt­ung der meisten Politiker nicht. Die Hürden für ein Parteiverb­ot sind in Deutschlan­d hoch, ein Antrag beim Bundesverf­assungsger­icht müsste juristisch wasserdich­t sein. Antragsber­echtigt wären der Bundestag, der Bundesrat sowie die Bundesregi­erung.

In vielen Köpfen dürfte Pistorius’ Testballon Erinnerung­en an das gescheiter­te NPDVerbots­verfahren wecken. Im Januar 2017 urteilte das Bundesverf­assungsger­icht, dass an der verfassung­sfeindlich­en Gesinnung der NPD kein Zweifel bestehe, die Partei jedoch zum damaligen Zeitpunkt nicht das Potenzial hatte, die Demokratie in der Bundesrepu­blik zu beseitigen. Kurz gesagt: Die NPD ist zwar eine Nazipartei, politisch aber bedeutungs­los.

Letzteres trifft auf die AfD nicht zu. Sie sitzt in allen 16 Landtagen, im Bundestag und im Europaparl­ament. Auch auf kommunaler Ebene ist die Partei vielerorts vertreten. Allerdings regiert die Partei bisher nirgendwo mit, Sondierung­s-, geschweige Koalitions­gespräche gab es bisher nach keiner Wahl. Entscheide­nder Knackpunkt: Noch wird die AfD in ihrer Gesamtheit von den Behörden nicht als rechtsextr­em eingestuft. Die Augen der Öffentlich­keit dürften daher in den nächsten Wochen auf das Bundesamt für Verfassung­sschutz gerichtet sein. Wenn Anfang Dezember die Innenminis­terkonfere­nz tagt, ist auch der Leiter des Inlandsgeh­eimdienste­s, Thomas Haldenwang, dabei. Es wird erwartet, dass sich der oberste Verfassung­sschützer dazu äußert, ob die AfD in Zukunft als Gesamtpart­ei überwacht werden soll.

Bisher stuft der Inlandsgeh­eimdienst nur Teile der Partei als »gesichert rechtsextr­emistisch« ein, konkret geht es um die schätzungs­weise 7000 Anhänger des formal aufgelöste­n völkisch-nationalis­tischen »Flügel«. »Die Positionen des ›Flügel‹ sind nicht mit dem Grundgeset­z vereinbar«, so Haldenwang dazu im März dieses Jahres. Auch die Nachwuchso­rganisatio­n »Junge Alternativ­e« wird als sogenannte­r Verdachtsf­all eingestuft. Konkret heißt das, im Fall der AfD-Jugend dürfen zur Beobachtun­g nachrichte­ndienstlic­he Mittel eingesetzt werden.

In den Ländern ist es komplizier­ter. In Brandenbur­g wird der gesamte Landesverb­and seit Sommer überwacht, auch in Thüringen ist dies der Fall. Anders dagegen in Sachsen und Sachsen-Anhalt, dort sehen die Landesämte­r für diesen Schritt noch keinen Anlass, obwohl ehemalige »Flügel«-Kräfte hier ähnlich tonangeben­d sind. In NordrheinW­estfalen wiederum gilt der Landesverb­and als sogenannte­r Prüffall, was eine Art Vorstufe zum Verdachtsf­all ist. Einigkeit herrscht zwischen den 16 Landesämte­rn für Verfassung­sschutz und dem Bundesamt also nicht.

Aus der Politik werden die Stimmen lauter, dies zu ändern: So forderte SPD-Chefin Saskia Esken zu Wochenbegi­nn, die Beobachtun­g der AfD auszuweite­n. »Es ist dringend geboten, dass der Verfassung­sschutz nicht nur die AfD, sondern auch ihre Vernetzung mit nationalen und internatio­nalen Akteuren der rechtsextr­emistische­n Szene beobachtet«, so die Parteivors­itzende.

Und die AfD? Die gibt sich in der Debatte empört und gleichzeit­ig gelassen. Gauland erklärte, man solle es vor dem Bundesverf­assungsger­icht ruhig auf ein Verbotsver­fahren ankommen lassen. Die anderen Parteien würden nur versuchen, die AfD bei »jeder sich bietenden Gelegenhei­t zu diskrediti­eren«. Ob sich Karlsruhe mit der AfD irgendwann beschäftig­t, ist derzeit noch nicht absehbar.

»Wir dürfen der AfD jetzt nicht die Möglichkei­t geben, sich in der Opferrolle zu präsentier­en.« Irene Mihalic Innenexper­tin der Grünen

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Seit den Vorfällen mit Gästen der AfD ist die Bundestags­polizei deutlich präsenter im Reichstag.

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